Die gelesenen Texte auf Tape mit dem Albumtitel „Tendenziell Unverständlich” von Sebastian Aumann, sind eine Ansammlung von 11 kurzen Titeln, die ganz entfernt an kryptische Tagebucheinträge erinnern. Die meisten Menschen wären schlicht zu faul, diese Gedanken festzuhalten und erst recht, sie zu veröffentlichen. Vielleicht liegt gerade hierin der widerwillige Charme. Es ist okay, Kopfnicken, die Szenerie kommt mir bekannt vor, habe ich irgendwann doch schon so oder so ähnlich erlebt oder gesehen, den Typ, den Habitus, die Gedanken. Strange war es schon immer. Die raue Alltagssprache passt dazu perfekt.
„Die nicht ganz Live Lesung für zu Hause!“ verspricht das Booklet.
25 Minuten
10 Gedichte
1 Musiker
1 Stümperhafter Schriftsteller
und ein Cameo eines Philosophie-Professors.
Erschienen bereits im Oktober 2022 auf Band dank unserem Felix Frantic, Provinzpostille und Krachige Platten. Aha, erwischt! Wieso habe ich das Tape erst jetzt am Wickel? Was weiß ich! War es Schicksal, war es Faulheit, auf meiner Seite, auf vielen Seiten, auf allen Seiten? Eine Verkettung, tragisch, immer wieder? Fragen, deren Antwort nicht lohnt. Wer keine alten Kekse und keinen kalten Kaffee mag, wird hier schlecht bedient, sorry, not sorry. An kaltem Kaffee kann man sich wenigstens nicht den Mund verbrühen, die Themen der Short Stories bleiben aktuell. Runter jetzt damit, Prost Mahlzeit!
Das Hauptthema ist wohl am ehesten die Beschäftigung mit den eigenen Gedanken und dem eigenen Leben. Die Verzweiflung herauszufinden, wie die Welt funktioniert. Dabei steht vordergründig die Ambivalenz, gleichwohl von ihr angezogen wie abgestoßen zu sein. Es ist der ewige Versuch, das permanente Probieren, das andauernde Abprallen. Am Gesellschaftsleben teilnehmen und gleichzeitig im Groben zu scheitern bzw. sich erhobenen Hauptes trotzig aus dem Versagen eine Willenserklärung zurechtzubiegen.
Es könnte sich hierbei gut um autobiografische Texte und eigene Gedankenfetzen des Autors handeln, was natürlich sehr einfach wäre. Aber ebenso gut könnten dies die Gedankenfetzen seiner Kunstfigur sein. Die Kunstfigur träte dabei unter dem Namen „Schnitzel“ auf. Vielleicht ist der Autor selbst dieser Schnitzel, vielleicht ist dieser Schnitzel selbst Autor, aber eben eine literarische Figur. Ich lasse es mir gerne offen und ignoriere, was ich weiß.
Schnitzel scheint wie der typische Außenseiter, der sich auf Partys und in Kneipen rumtreibt. Er ruft vermutlich in den anderen Menschen in seinem Umfeld besagtes Unverständnis, sicher auch Unbehagen und Ablehnung hervor. Seine selbstausgrenzende Haltung, in der er in tiefster, verschrobener Selbstisolation an den gesellschaftlichen Ereignissen teilnimmt, voll Selbsthass und gleichzeitiger Selbstverherrlichung, tut ihren Teil dazu.
Wieviel Einsamkeit kann ein Mensch unter anderen Menschen erfahren und ertragen? Wie ausgegrenzt, ratlos bis misstrauisch kann man sich als Loser des sozialen Systems fühlen?
Sebastian Aumann lässt uns tief in den Schuttberg der Gedankenströme seines Einzelgängers kriechen. In Gewaltphantasien, Größenwahn, Gesellschaftskritik, Selbstverachtung und Selbstmitleid steht er drüber und geht unter. Er bleibt durchgängig dem Kernthema treu in unterschiedlichen Settings. Er ist der manifestierte Kampf zwischen Ablehnung der Gesellschaft und dem dringenden Wunsch, doch dazuzugehören.
Das führt immer wieder in die unglückliche Situation, sich zwar unter vielen Menschen zu bewegen, dabei jedoch abgekapselt als stiller Beobachter anwesend zu sein. Es richtet sich der beobachtende Blick dabei meistens nach innen in die eigene Erlebenswelt. Als bestünde eine Mauer zwischen der Innen- und der Außenwelt. Durch diese ist es ihm unmöglich, mehr zu tun, als seinen lauten Gedanken über die Welt nachzuhängen, anstatt mit ihr zu kommunizieren. Verhindert durch gegenseitiges Unverständnis.
Das Unvermögen von beiden Seiten, miteinander Kontakt zu knüpfen, führt letztendlich zu dem Versuch, die Gesellschaft durch das Schreiben zu erreichen. Immer wieder thematisiert Aumann, dass der Protagonist regelrecht unter einem Schreibzwang leiden würde, als Rechtfertigung seiner Schreiberei.
Ja, dass er Schreiben als Therapie nutzen würde. Dies führt auch dazu, dass er seine Texte mehr als Mittel zum Zweck, denn als wirklich wertvoll betrachten kann. Die kreierte Figur ist ein Außenseiter, die mich sehr an den Song “Etikette tötet“ von Slime erinnert, deren Brief am Ende niemand gelesen hat.
Gelesen werden diese Texte vom Autor Sebastian Aumann persönlich. Eine Ausnahme bildet der Text “Du hast das Zauberwort vergessen”, der von der Altherrenstimme des Karlsruher Philosophieprofessors Heinz-Ulrich Nennen vorgetragen wird. Hier kristallisiert sich der Kontrast zwischen dem Inhalt und der Assoziation mit der Stimme des Vorlesers heraus. Dieser könnte zum einen die gesetzte Gesellschaft vertreten, die den seltsamen Outlaw beobachtet, aber ebensogut könnte sie zum anderen die Vision des Future-Selbst der Figur namens Schnitzel als alternder Kneipenknacker sein.
Der Text, der von Nennen vorgelesen wurde, hat mir persönlich am besten gefallen, nicht zuletzt aufgrund seiner professionellen Vortragskünste. Der Track erinnert mich wohlig-gruselig an die untergehenden, verrauchten Kiezkneipen in Berlin, den Schultheiss und Kindl Eck’s mit der vor Jahren zum Inventar gewordenen Stammkundschaft. Eiche Rustikal, Frank Zander, voller Aschenbecher, Rosi. Dazwischen Punkrock-Kids, wen juckt’s. Gentrifizierung, Tourism Bloom, Franchise United und hippen Berlin-Mitte-StylerInnen gewichen. Identität verloren und neu geboren, eine Stadt im Wandel, tja. Nicht mit “Schnitzel” vermutlich, denn Schnitzel bleibt Schnitzel, bleibt Schnitzel, zäh und voll Panade. Wer weiß, wozu das gut ist.
Begleitet wird die Sammlung nachdenklicher Texte zum Beginn jeden neuen Tracks musikalisch durch kurze Musiksamples von JB Jabels (Joscha Brünner) und Moritz Berg (Schlagzeug Punk Track). Eingespielt unter Anderem mit Instrumenten wie Blockflöte, Keyboard, Schlagzeug, E-Gitarre und Akkordeon. Mal handelt es sich mehr um leiernd sphärische Elektro-Klänge, mal sind es rockig klingende, kurze Sound Snippets. Der Musiker und der Poet wechseln sich ab. Auf einen kurzen Einspieler der Musik folgt die Poetry.
Das Cover zeigt ein extrem unappetitliches Schnitzel auf gelbem Grund, welches hellbraun, schief und quer drapiert daliegt mit einem… ja was nur, ist das etwa ein Genderstern? Haha, wahrscheinlich nicht, eher wohl ein Fußnotenzeichen. Von weiter weg sieht das Ensemble aus Schnitzel mit Sternchen fast aus wie die gewissen Hinterlassenschaften auf dem Gehsteig, mit einem fetten, schwarzen Brummer im Anflug.
Und als wäre es noch nicht zu viel verlangt, selbst bei dieser schlichten Darstellung genauer hinschauen zu müssen, um das Objekt zu erkennen, foppen die Buchstaben in der Unterüberschrift und der des Fußtextes die Augen. Was steht denn da?! Ich kann es nicht entziffern, nur einzelne Lettern kann ich erahnen, also diese Schrift ist halt…. Tendenziell Unverständlich!
Ausgedacht, nein äh Künstliche Intelligenz machen lassen, äh Regie für das Design geführt hat Manuel Köcher. So ist KI eben, sie versteht eh nicht, was sie da macht und versucht deswegen einfach brav in die Richtung der Gedankenspiele ihres Herrchens oder Frauchens zu rudern. Trial and >error, Automatikmodus und Zufall.
Fazit: Ich würde sagen, ein Schnitzel ist drauf und unverständlich sind die Schrift und das Sternchen auch, Auftrag erledigt. Ist doch schön, dass es so einfach geht und keinen durch KI namenlos gewordenen, ungefragten, urhebenden Kunstschaffenden Credits oder gar Lohn gezollt werden müssen, deren Schnitzel-Pics und Lettern da verwurstet werden? Das Outcome kann dann ja auch gleich wieder von anderen KI-Nutzenden weiterrecycelt werden bis zur Unendlichkeit. Henne und Ei, alles ein Brei, hurra.
Nach dem Hören bleibt ein Geschmack von latenter Suizidalität, schwerer Depression, Alkoholismus, Außenseitertum und Resignation. Manche fühlen sich möglicherweise abgeholt und bestätigt. Dies vermittelt sicher ein wohliges Gefühl von Groll und Zugehörigkeit, die hier geradezu bitterlich gesucht und gleichzeitig verflucht wird, wie in der Berliner U-Bahn morgens früh um 7:00 Uhr. Ein kuschelig pessimistisches Werk für die misanthropische Weltanschauung, ein Seelenstreichler für alle Genießenden der Vereinigung in Griesgram und des gelebten Einzelkämpfertums m/w/d. Holt es euch hier als Gute-Nacht-Marie-Zubettgehgeschichte, U-Bahnfahrgeschichte oder für die geheime Anti-Poolparty mit dem Walkman. Das Tape gibt’s zu kaufen für den stolzen oder läppischen Preis von “pay what you want” oder bequem dem Preisvorschlag von 6,66€ folgend.