desolat aus Wien … kann ich mich gut daran erinnern. Das Vorgänger-Album “Songs of Love in the Age of Anarchy” als 5-Track EP habe ich damals selbst besprochen. Damals war ich ganz überrascht von der Genre-Gemengelage der Band. Nun legen desolat nach zwei EPs ihr erstes Album vor – “Elegance is an Attitude… to shit on”. Der Titel macht sofort klar, am soziologischen-kulturellen Background und der Message der Band hat sich nichts geändert. Lediglich die Koordinaten haben sich ein wenig verändert – Sludge Metal, Stoner Rock, Doom, Hardcore, Death Metal und Noise-Rock sind jetzt die Pole zwischen denen sich desolat bewegen.
Die Definition von desolat ist laut dem Duden: trostlos, traurig; schlecht, miserabel. Aber ganz ehrlich? desolat klingen zwar düster, aber so ganz scheint mir “Elegance is an Attitude… to shit on” nicht der Bedeutung zu folgen. Aber dazu später mehr.
Was mir in 2020 schon auffiel, desolat hatten dieses Ding mit dem Tempo und Dynamik. Mal wälzten sich die Songs durch die Gehörgänge, dann wieder explodierten Gitarren-Riffs und die Songs nahmen an Tempo auf. desolat waren da schon Wanderer zwischen den Genres, der Kompass zeigte den Weg, aber man naschte von den Früchten links und rechts.
Einiges findet sich auf dem Album “Elegance is an Attitude… to shit on” wieder. Einiges Neues, Aufregendes kommt dazu. So sind die Songtitel wieder eine wahre Fundgrube an Kuriositäten… Beispiel gefällig? “Rollercoaster: Konfusion is staple, Confidence is Luck” – herrlich. Oder “You and Everyone Around You arme total Shite and Reserve to Puffer from Death. Hopefully everything ends soon.” – ich schmeiß mich weg.
Der Titelsong “Elegante is an attitude… to shit on” ist gleich der Opener des Albums. Der Song hat durch die Gitarren-Riffs eine hohe Dichte und verbietet eine düstere, eher unheimliche Atmosphäre, die den Hörer:in fast erdrückt. Trotzdem bleiben die knapp drei Minuten im Ohr – der Song hat etwas Eingängiges. “I Wish you the Worst” macht sich in die gleiche Richtung auf, setzt aber zum Song-Anfang gleich mal die Rückkopplungen exzessiv ein. Mit dem Song-Tempo sind desolat in der 30er-Zone im Wohngebiet unterwegs. Der tiefe Gesang verstärkt diesen Tempowechsel noch und der Song wälzt sich wie zähe Magma langsam ins Ohr. Ich finde das massiv spannend…
Im folgenden Song lassen desolat ihren Wiener Schmäh sprühen und stimmen eine liebliche Weise auf die hasserfüllten, kurzatmigen kleinen Wichser an. Sehr ruhig. Sehr melodisch. Am Ende triebt einem “Hate-Filled Short-Arsed Wee Wanker” mit dem Gesang, aufheulende Riffs, gepaart mit dem schleppenden Rhythmus eine Gänsehaut über den Rücken. Das ZNS tanzt. Herrlich. Verstörend. Man will mehr…
Kaum erholt, steigen wir mit desolat in die Achterbahn: “Rollercoaster: Confusion Is Stable, Confidence Is Luck” ist ein Brett, wo die Band alles reinschmeißt, was sie zu bieten hat. Richtig fieser Sludge und Doom – direkt nach der süßen Praline von vorhin. Die liebevolle Bearbeitung der Drums, die immer wieder das Tempo wechseln von schleppend, fast einschlafend hin zu Highspeed, ist ein Highlight für mich. So richtig nach desolat-Art.
Warum sollte es auf Seite 2 anders werden und so beginnt mit “Deaf, Dumb, Blind & Grumpy” eine Kernschmelze von Frust, Hardcore sowie einer gewissen Punk-Attitüde, deren Brennstab heiß glühend die Temperatur anschnallen lässt. Um eine solide Bass-Arbeit entsteht hier massive Lautstärke, die fast aufdringlich das Gehör der “Opfer” sucht. Das ist großes Tennis, wenn man bedenkt, dass desolat nur als Trio existieren und trotzdem diese Wucht entstehen lassen. Man mag sich nicht ausdenke, was passieren würde, wenn sich desolat vergrößern würden. “Maldoror” ist ein eher episch angelegt Song, der durch das Riffing und den Gesang seine Intensität verbreitet und so zu gefallen weiß. in “Maldoror” setzen desolat auch Samples ein, die aus Gesprächsfetzen bestehen in französisch(?). Das würde passen, da Maldoror die Hauptfigur des Romans “Die Gesänge des Maldorors” von Lautréamont ist. 1874 erschienen, gilt der Roman heute als eines der radikalsten Werke der abendländischen Literatur.
“Maldoror, Held und Ich-Figur, ist die Inkarnation des Bösen schlechthin. Er ist „ein schwarzer, zerschmetterter Erzengel von unsagbarer Schönheit“, wie Maurice Maeterlinck geschrieben hat, eine „Sonne des Bösen“ (Aurore du Mal = Maldoror) und findet sich auf unserem Planeten wieder, gestrandet unter der ihm verhassten Menschheit, der er ihre eigene Schlechtigkeit vor Augen führen will.”
An der Stelle will ich erwähnen, das die Musik von desolat aus meiner Sicht als Filmmusik taugen würde. Ich kann es nicht begründen – einfach ein Gefühl.
Es folgt “Thanks, but no Thanks” mit einer eher ruhigen Melodie, obwohl der Hörer:in mittlerweile weiß, diese Ruhe kann bei desolat trügerisch sein. “Walls as Symbols of Stupidity” wäre als gesprühte Parole geeignet, ist als Song sogar eine Überraschung, denn man traut seinen Ohren kaum: es ertönt ein lupenreines Heavy-Metal-Riff! Ein sehr kreativer Einschub an dieser Stelle. In solchen Momenten zeigt sich diese musikalische Bereitschaft von desolat zur Überschreitung von Genre-Grenzen. desolat lassen sich nicht festlegen – im Gegenteil! desolat überschreiten mit einer Kreativität und Leichtigkeit diese Grenzen.
“You And Everyone Around …” (Anwärter auf den längsten Song-Titel in 2022) erstaunt mich dann wieder einem Einschlag von Punk und einer Eingängigkeit, die zum wiederholten Male mich überzeugt. Aber auch der perfide Aufbau des Songs hat es in sich. Der Song entwickelt langsam seine Härte und Wucht, die fast körperlich zu spüren ist. Der Gesang wird abschließend noch mal eine Portion rauer, fieser, dämonengleich werden die Worte ausgespien und die Riffs springen wie junge Antilopen, die plötzlich und überraschend auftauchen. Nur um ebenso zügig wieder zu verschwinden. Am Song-Ende wird es dann dramatisch: “You And Everyone Around …” wird noch mal mit Lichtgeschwindigkeit durch den Hyperraum getrieben… einwandfrei. Ein würdiges Ende, das den Hörer:in erschöpft und glücklich zurück lässt!
https://soundcloud.com/bloodshed666records/sets/desolat-elegance-is-an?utm_source=clipboard&utm_campaign=wtshare&utm_medium=widget&utm_content=https%253A%252F%252Fsoundcloud.com%252Fbloodshed666records%252Fsets%252Fdesolat-elegance-is-an
Nach mehrmaligen Durchhören, finde ich, “Elegance is an Attitude… to shit on.” wird nicht langweilig, sondern hält kleine interessante musikalische Details bereit, die darauf entdeckt zu werden. desolat schaffen es neben dieser Wucht der Songs auf einer anderen Ebene eine Eingängigkeit der Melodien zu erzeugen, die fernab von einem brutalen, stupiden Gitarren-Gedresche sind. desolat lassen sich nicht festlegen – im Gegenteil! desolat überschreiten mit einer Kreativität und Leichtigkeit diese Grenzen und erforschen diese Terrotorien. Das zeugt für mich von Mut und Reife des Wiener Trios.
Wie damals, kann ich das Album dem geneigten Publikum empfehlen. “Elegance is an Attitude… to shit on” ist ein Cornucopia, gefüllt mit der puren Experimentierfreudigkeit und Einfallsreichtum von desolat. Das Album gibt es bei Live-Konzerten, beim Label Bloodshed666 Records oder bei Santa Diabla online. Wer die Wiener-Härte nicht mag, sollte lieber zu Palatschinken, Mozartkugeln und Sacher-Torte greifen.
In diesem Sinne …
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