Wer oder was ist Grrrl Noisy? Das lässt sich kurz und knapp mit den eigenen Worten des Kollektivs am besten erklären:
„GRRRL-NOISY is a Berlin music collective by and for FLINTA (Women, Lesbians, Inter, Nonbinary, trans and agender people) that was founded in Berlin in 2019, is self-organised and based on volunteer work. We are a collective that brings together diverse voices, talents and expertise from the genres of noise, grunge, punk, doom, metal or other extraordinary styles of the underground music scene, working together for an inclusive musical landscape in Berlin and beyond.“ Zitat Grrrl Noisy
Zu den Akteurinnen gehören zum Beispiel die Band 24/7 Diva Heaven, Dancing Shoes Promotion und andere, manche finden später in diesem Text Erwähnung. Seit 2023 ist zu den Grrrl Noisy Jam-Sessions, die ein Safer Space für FLINTA sind, ein Festival gekommen, das nicht nur für FLINTA, sondern offen für alle ist, wie es gelegentlich auch die Jam Sessions sind. Wie sie die Berliner Musikszene mitgestalten und umgestalten, lässt sich nicht verleugnen, der Berlin Award dürfte ein Beweis sein für die Anerkennung, die dem Grrrl Noisy Kollektiv zuteil wird.
Das zweite Grrrl Noisy Festival stand am 13.07.2024 an, präsentiert von Flux FM, faemm sowie MusicBwomen* und versprach ein Open Air Summer Event.
Als ich am Festivalmorgen des 13. Juli aufwache, drehe ich mich gleich wieder enttäuscht im Bett um, von Summer-Vibes keine Spur, denn es schüttet wie aus Eimern. Bäh! Den Tag davor hat es auch schon ordentlich gewittert, alles ist aufgeweicht, die Matsche liegt überall.
Als Location hat sich das preisgekrönte Berliner Kollektiv Grrrl Noisy den Mellowpark in Berlin ausgesucht. Dort wird es neben Drinks, Food & Live Music auch sportliche Action geben, nämlich einen Skateworkshop für FLINTA mit dem SKATE SPACE LEIPZIG.
Durch die Skateanlage ist das Areal, was den Boden angeht, glücklicherweise nicht überall matschanfällig. Ich nehme mir vor, den Tag nicht vor dem Abend zu tadeln. Richtig, der Himmel zeigt bald ein verstohlenes Lächeln, später ein breites Grinsen und schließlich am frühen Abend lacht er blau. Nun können wir im Mellowpark sogar das eigene Stück Spreeufer genießen, an dem unter schattigen Bäumen gemächlich und breit die Berliner Spree glitzernd durch die Nachmittagssonne fließt.
Schööön isses! Ich sehe ein Pärchen Hand in Hand mit tropfnasser Badekleidung durch die Location schlendern. Vielleicht sind sie vom Steg aus rein gesprungen und in der Spree baden gegangen, wer weiß.
Wir skaten, spielen Tischtennis, essen Kuchen oder Salate, fläzen am Ufer, als plötzlich die Korken knallen an der Open Air Bar! Drummerin Mary von 24/7 Diva Heaven, die zum Grrrl Noisy Kollektiv gehören, hat heute Geburtstag und eröffnet das Festival mit einer Runde feinstem Ex-DDR Rotkäppchen-Schampus mit und ohne Promille. Wir singen laut „Happy Birthday“ für sie. 🙂
Dann geht es rein ins Atrium mit Skate Pool, wo heute die Bands spielen werden.
Im Skate Pool markiert ein roter Orient-Teppich den Bühnenbereich. Die Technik liegt auf dem Boden, der Himmel ist durch Sonnenplanen leicht abgeschattet. Regnen dürfte es wohl wirklich nicht. Tut es auch nicht. Wer das Regenradar gecheckt hat, weiß das. Der DIY-Geist schwebt wohlwollend über allem und wacht über uns. Es gibt verschiedene Stände: eine kleine Bar ist aufgebaut, auf einer Skate-Rampe ist der Merchstand, auf einer anderen Skate-Rampe ist die Tontechnikerin platziert, weitere Skate-Rampen dienen als Podest oder Sitzgelegenheit für’s Publikum.
Oft habe ich mich gefragt, ob diese Reihe den Namen Diversity Dive verdient, wenn es zwar klappt, alte weiße Männer wegzulassen, aber dafür dann halt weiße Frauen deren Platz hauptsächlich einnehmen. Bei den Grrrl Noisy Jams und dem Festival kann ich mich jedoch immer darauf verlassen, dass sich vom im Line Up, genauso wie vom Publikum her, immer eine gute Mischung angezogen fühlt.
Nicht nur das Publikum betrifft diese Diversität, sogar mit vollkommen übergreifenden Genres wird Vielfalt geboten. Im Grrrl-Noisy-Festival-Publikum unterschiedlicher Ethnien befinden sich viele FLINTA, aber Cis-Dudes sind auch nicht wenige dabei, es ist durchweg sehr gemischt. Das passiert, wenn genau diese unterschiedlichen Personen ihren Raum auf der Bühne finden dürfen. Je einheitlicher die Personen auf der Bühne, desto einheitlicher die Personen vor der Bühne und andersherum?
Keine Zeit darüber lange nachzudenken, denn da steht auch schon die erste Band auf dem Teppich, der heute die Welt bedeutet: Isoscope! Das neue Album Conclusive Mess kam im November 2023 bei Noisolution heraus. Ich hatte es versprochen, weitere Mitglieder des Grrrl Noisy Kollektivs zu erwähnen, jetzt ist es soweit, denn es sind welche von ihnen aktiv in der Berliner Band Isoscope. Gleichzeitig ein Festival zu planen und an den Drums zu sitzen ist dabei bestimmt nicht immer einfach, gelingt hier aber gut.
Bald schon frage ich mich, welches Genre zu Isoscope am ehesten passt. Noch viel mehr frage ich mich, wer hier eigentlich für die Vocals verantwortlich ist? Diese Frage ist schnell beantwortet: Alle! Nicht etwa gleichzeitig, sondern in Songs abwechselnd und vierstimmig geben Phillip, Merle, Bonnie und Konstantin den individuellen Ton an. Klingt der Gesang der Drummerin angry, so kommt beim Song der Bassistin Darkness ins Spiel und die beiden Gitarristen haben ebenfalls ihren eigenen Stil.
Das macht es schwer, diese Band in eine Schublade zu stecken. Ein neuer Song ist wie eine neue Band, ist wie neues Glück. Es fallen Vokabeln wie Postpunk, Wave, Mathrock, Indie und Metal bei der Beschreibung, dazu sind sie extrem experimentierfreudig unterwegs und kreieren ihren ganz eigenen Sound mit einer breiten Palette an Effekten. Gegründet 2019, haben Isoscope mittlerweile gut Reden von sich gemacht und zwei Alben draußen.
Das Publikum tanzt ausgelassen, mittendrin das Grrl Noisy Kollektiv in Birthday-Partylaune gänzlich ohne Star-Allüren. Genau das liebe ich so sehr an den kleinen DIY-Veranstaltungen. Der Backstagebereich ist vor der Bühne, DIY immer dabei, und trotzdem fehlt es nicht an Professionalität beim Grrrl Noisy Festival.
Es ist hier überschaubar, obwohl ich auf dem Hinweg extremen Menschenmassen in diesem ruhigen Außenbezirk Berlins begegnete. Denn zur ausverkauften Parkbühne Wuhlheide, gegenüber vom Mellowpark, waren 17.000 Menschen unterwegs gewesen, als folgten sie dem Gravitationsgesetz: Die Masse zieht die Masse an und umgekehrt. Sie pilgerten vom S-Bahnhof oder folgten brav mit dem Auto dem Parkleitsystem, weil heute Bonnie Tyler, Sandra, Münchner Freiheit, Hermes Hausband, MASCHINE (von den Puhdys) und Matthias Reim auftreten. Die Stars werden auf der Bühne stehen, wahrscheinlich klein wie Ameisen, wobei sie gleichzeitig groß, wie Mikroben unter dem Mikroskop, über die Leinwände flimmern werden. Eine logistische und veranstalterische Leistung, die Massen sicher durch diese Veranstaltung zu lotsen. Aus der Ferne himmelt man dort die Unnahbaren an, während wir Sekt trinken und abtanzen mit unseren Stars. Es ist doch was besonders schönes, dieser familiäre Touch von kleinen Veranstaltungen.
Ich mag es nahbar und DIY. Genau das setzt die nächste Berliner Band WüT stark um. Die Sängerin lässt nämlich ihre extrem krasse Stimme, direkt im Publikum stehend, auf uns los. Energiegeladener Crust Punk ballert uns um die Ohren. Sie verlässt den Bühnenbereich immer wieder und singt unerschrocken aus dem Pulk der headbangenden und umherspringenden Leute. Das klingt nach Power, das klingt definitiv nicht nach der als typisch weiblich bezeichneten Stimme und zeigt, welche Range manchen zur Verfügung steht, sobald FLINTA sich trauen, alte Erwartungen zu überwinden und neue Wege zu besingen.
So tief und powerful zu screamen, ist schon krass, setzt aber nicht, wie manche jetzt vielleicht meinen könnten, eine besonders tiefe Sprechstimme voraus. Das wird noch deutlicher, als die Ansage von WüT’s Sängerin in einer ganz normalen Tonlage erklingt. WüT’s Dank geht raus ans Grrrl Noisy Kollektiv, denn die Band hat sich nämlich bei den Grrrl Noisy Jam Sessions gebildet. Ich erinnere mich noch an die Jams, bevor sie eine Band waren. Die Jam’s begleitet stets das Netzwerken und es folgen Verabredungen zu weiteren öffentlichen, aber auch privaten Jam’s z.B. bei stundenweise mietbaren Proberäumen in Berlin wie Noisy Rooms.
Durch die Präsentation der ersten beiden Bands, die direkt mit dem Grrrl Noisy Kollektiv verknüpft sind, können alle sehen, wie deren Ermutigung funktioniert. Wenn Menschen einen sicheren Raum zur Verfügung gestellt bekommen, in dem sie sich ausprobieren dürfen. Klar ist die Orga von solchen Jams ein fettes ehrenamtliches Projekt, das eventuell aus Zeitmangel irgendwann aufgegeben werden muss, aber hier und heute die Früchte zu sehen und zu zeigen, macht das Grrrl Noisy Kollektiv bestimmt stolz..
Die gemischte, durch Grrrl Noisy Jams entstandene Band WüT räumt richtig ab, mit 80’er Jahre Metalgitarre auf der Bühne, im Publikum mit Pogo, Headbangen und Kopfnicken.
Danach drängen andere Gäst*innen in die Frontrow. Denn jetzt kommt statt der leider verhinderten Band OKRA, Post-Punk-Band mit German-Turkish (almancı vocals), der Auftritt von SIDDHI SHA. Andere Gäst*innen stimmt nicht ganz, denn die Punkrockfans machen lediglich Platz in der ersten Reihe vor der Bühne für die Bauchfreifans mit den kreisenden Hüften, die sich nun vorne zur Musik bewegen.
Aber auch in den hinteren Reihen wird sich bewegt, bis der ganze Skate Pool aus springenden, tanzenden Leuten besteht. Die Inderin SIDDHI SHA hat ein fettes DJane Set mitgebracht, in dem sie gekonnt die Menge immer wieder aus entspannten Rhythmen zu schneller und schneller werdenden Bewegungen führt, um dann mit fetten Bässen schließlich als Befreiung den springenden Höhepunkt einzuleuten.
Wie der Endspurt nach dem Joggen fühlt sich sowas an, als ob Ketten gesprengt werden. Dann beginnt der Kreislauf aus Entspannung und Anspannung von Neuem. Auch ich bin als alte Punkrockerin tatsächlich schon viele Jahre für elektronische Beats zu haben, besonders wenn sie gekonnt gemixt sind. Wie das gehen soll? Das geht! So einfach ist das. Nicht umsonst gibt es schon immer Underground-Strömungen und Subversives in der Techno & Elektro-Szene sowie direkte Verschmelzungen mit dem Punk.
SIDDHI SHA hat für ihr elektronisches DJane Set ein gutes Händchen, weiß genau, wo die Tanzenden gerade abgeholt werden wollen. Was wir hier geboten bekommen, ist allerdings nicht einfach nur die Kunst einer DJane mit Bollywood Sounds auf Elektro-Beats, sondern on Top eine Solo Live Percussion Show. SIDDHI SHA hat um ihr Mischpult verschiedene Drums aufgebaut. Zwischen diesen Drums und ihrem verkabelten Laptop switcht sie die Drumsticks und Regler absolut gekonnt.
Es ist eine gute Form von Perfektionismus, denn die Live Drum Beats werden von ihr akribisch genau in das DJ Set verpflanzt. Eine Elektroparty mit Punkrockkonzert, ja das geht also. Gut, ich bin natürlich wählerisch, weil Elektro jetzt nicht mein Lieblingsgenre ist. Für mich muss es immer irgendwo edgy bleiben. Und an dieser Stelle sind mir die Songs, die SIDDHI SHA in ihr DJane Set einbaut, dann teilweise etwas zu Mainstream. Bei der indischen Variante vom Knightrider-Soundtrack bin ich persönlich definitiv raus, während andere erst zur Höchstform aufspringen. Die fett abtanzende Meute im ganzen Skate-Pool beweist genau das zu SIDDHI SHA’s DJane & Percusssion Performance.
Ich nutze die Ruhe abseits des Sturms und gehe in der Zwischenzeit zum Merch. Eine gute Idee, denn hier erwartet mich mit Liebe Handgemachtes. Zum Beispiel die weinroten WüT Party Pänts, die Baumwoll-Hot-Pants im Look einer 80’s Sporthose, die ein Lichtblick am Himmel der Linolschnitte und des Siebdruck sind. Der Preis mit Selbsteinschätzung liegt zwischen 6€ und 8€. Für mich bitte mehr solchen farbenfrohen Merch speziell für FLINTA-Körperformen, statt der typisch kastenförmigen, mir persönlich selbst in Größe S grundspätzlich zu großen, Männershirts in Schwarz-Weiß.
Ich bin gespannt auf DORNIKA’s Auftritt, der findet drinnen statt. Die in Berlin lebende DORNIKA hat bereits eine Förderung durch Music Board Berlin erhalten, wer mehr über die Art der Förderung wissen will, Music Board Berlin hatten wir hier bei Vinylkeks im MusInclusion Interview. DORNIKA ist, jetzt müsste man erstmal Luft zum Aufzählen holen, Amerikanisch-Iranisch und Gender-Fluide Musikerin, bildende Künstlerin, Drag-Perfomerin, Gesangslehrerin und Awardgewinnerin. DORNIKA’s Texte richten sich stark nach aktivistischen Themen, sind sozialkritisch, wobei ihr Genre Rap / Singer Songwriterin ist.
Wieder einmal zeigt sich die Fähigkeit des Grrrl Noisy Kollektivs, unterschiedlichste Musikgenres sowie viele verschiedene Menschen und Geschmäcker miteinander zu vereinen.
DORNIKA’s Musik kommt von den Turntables, dazu performt DORNIKA im handgefertigten Kostüm ihren dramatischen Gesang live. DORNIKA bewegt sich in majestätischen Moves, die mir aus dem Bauchtanz bekannt vorkommen. Zu Hip Hop Beats wiederholt sie die Worte „All Eyes on the Revolution“ als Mantra. Das Publikum hält ehrfürchtig Abstand zur flachen Holzbühne in dem engen Raum, doch DORNIKA scheut den Publikumskontakt nicht, fordert es auf, näher zu kommen. DORNIKA wirkt durch ihre Erscheinung wie eine Diva, dabei ist sie aber absolut erreichbar, holt das gemischte Publikum mit ihrer Show zu sich. Eine gute Vorbereitung auf die Aftershow-Party, die hier in diesem Raum mit Bar steigen wird, wo DJ Karo (Bassistin bei 24/7 Diva Heaven) & RYL DJ Set die Aftershow-Party mit Punkrock Tunes und Lieblingshits schmeißen werden.
Für mich geht ein schöner Festivaltag vorbei, auf den ich, wie immer bei allen Grrrl Noisy Veranstaltungen, sehr gerne alleine gekommen bin. Andere FLINTA besuchen ebenso gerne selbstbestimmt und unabhängig diese Veranstaltungen. Ich fühle mich einfach frei, wenn ich spontan irgendwo aufschlage und dann schaue, wer noch so da ist.
Ich lasse mich gerne überraschen und freue mich umso mehr, jemanden unverhofft zu treffen, das Gefühl ist einfach unschlagbar. Zwar komme ich alleine, bleibe aber nicht einsam. Das Positive daran, wenn sich die Grüppchen erst während der Veranstaltung bilden, sind nämlich mehr Zeit für viele neue Gesprächsthemen und Kontakte. Diese offene Atmosphäre ist noch so etwas, das die Grrrl Noisy Veranstaltungen ausmacht.
Fazit: klein und fein war’s. Mit ganz viel spannender Musik, neuen Kontakten und Party Pänts im Gepäck fahre ich zufrieden nach Hause. Danke dafür Grrrl Noisy!