Was für ein spannendes Gespräch, das ich mit Zhong von der Pekinger 70´s Punk/Power Pop/Garage-Band Sino Hearts führen konnte. Zhong ist gebürtiger Chinese, hat dann aber seit Anfang seiner Teenager-Zeit in Österreich gelebt. Dort war er musikalisch schon sehr aktiv, hat in Bands gespielt, dort schon die Sino Hearts gegründet und sich vor allem in der Punk-Szene umfangreich vernetzt. Jetzt wohnt er wieder in seinem Heimatland und hat durch den westlichen Hintergrund nun einen reflektierten Blick auf die Verhältnisse in seinem Land. Zhong spricht unter anderem darüber, mit welchen Tricks chinesische Bands die Zensur umgehen, wie beliebt Punk in China ist und wie er den gewollt unperfekten Sound auf dem aktuellen Album Mandarin A-GOGO seiner Band Sino Hearts hinbekommen hat.
Hallo Zhong, schön, dass du Zeit für ein Interview hast. Erzähl zuerst mal was über deine Band Sino Hearts – Was ist das für eine Band, aus welchen Instrumenten besteht ihr, was macht ihr für Musik?
Wir sind eine Punk-Powerpop-Band aus Peking. Ich habe dieses Projekt in Wien begonnen. Die Originalbesetzung war also mit österreichischen Musikern. Damals haben wir schon ein paar Videos und eine Single aufgenommen und dann vor etwa vier Jahren bin ich von Wien wieder nach Peking gezogen und dann habe ich hier die Band mit chinesischen Musikern unter dem gleichen Namen fortgeführt. Ich schreibe sowieso alle Songs, eingeschlossen der Texte, selbst. Und außer dem Schlagzeug spiele ich auch alles selbst ein. Für Live-Auftritte kommen dann Li am Bass und Xu am Schlagzeug dazu.
Ihr habt ja im Herbst euer zweites Album (Mandarin A-GOGO) veröffentlicht. Was hast du dir dabei gedacht, als du die Songs dafür geschrieben hast? Was war dein Ziel und wie würdest du das Album jetzt beschreiben?
Nach der ersten Sino-Hearts-Platte „Leave The World Behind“ hatte ich den Plan, wieder nach Europa zurückzukehren. Deshalb dachte ich, vielleicht können wir diesmal auch gleich in Europa das Album aufnehmen. Dann waren wir 2019 auf Europatour. Da haben wir bei meinem Kumpel in Graz mit analogem Equipment aufgenommen. Ich habe die Platte „Mandarin A-GoGo“ genannt, denn das klingt für mich nach einem exotischen Porno. Und das nicht nur für Europäer, sondern auch für das chinesische Publikum. Zur Musik der Platte: Es gibt 60er Jahre Beat-Garage-Songs und auch britische UK-77-beeinflusste Nummern. Und daneben gibt es auch Stücke, die von Power Pop & Mod beeinflusst sind. Solche Musikrichtungen sind in China fast unbekannt. Deswegen wollte ich mehrere Stile auf einer Platte vereinen. Das ist sicher interessant für Musikliebhaber weltweit. Außerdem bin ich sehr dankbar, dass wir die LP-Version über Topsy Turvy Records und Soundflat Records aus Köln veröffentlichen konnten. Das ist mein Lieblings-Garage-Label aus Europa. Lustig war, ich habe den Label-Chef nicht in Europa getroffen, sondern als wir in Japan auf Tour waren, weil er zufällig auch gerade da war. Und wir haben uns dann dort zwischen lauter Japanern auf Deutsch unterhalten. Da haben wir überraschte Blicke geerntet. Gerade erschienen ist die LP übrigens auch in den USA. Dort allerdings unter dem Namen „Rock´n´roll Hurricane“ und über das Label Otitis Media aus Texas. Im Sommer wird das Album in Japan auf CD erscheinen und im März kommt unsere China-Version in digitaler Form. Ich bin sehr zufrieden damit.
Unser Musikmagazin hat sich ja auf Vinyl spezialisiert. Welche Bedeutung hat denn für dich Vinyl heutzutage?
Musikalisch bin ich sehr altmodisch. Ich steh einfach auf Vinyl. Das ist das beste Medium für wahre Musikliebhaber. Aber seit ich wieder in Asien bin habe ich gemerkt, dass Vinyl in Südkorea und China eher ein unterhaltendes Hobby für die High Society ist – das ist da nicht für jedermann was. Ich habe unsere letzte Vinyl-Platte in China gepresst und unser chinesisches Label hat sie sehr fancy produziert – 180 Gramm, Luxus-Cover. Aber wenn ich Vinyl auf Tour mitbringe ist das eigentlich zu schwer. Also pro Scheibe 350 Gramm – das ist ein Albtraum, sowas auf Tournee mitzuschleppen. Aber in Deutschland und den USA gibt es ja dann schon die LPs unseres Albums, dann muss ich die nicht mehr im Flieger mitnehmen. Das ist praktisch. In China ist sowieso alles digital. CDs hören sie auch, aber ich glaube bei Vinyl dauert es dort noch etwas, bis sich das durchsetzt.
Was findest du denn persönlich, wenn du Musik hörst, an Vinyl besonders toll?
Nummer eins ist die Klangfarbe. Es klingt wärmer und natürlicher. Und zweitens ist es eine Kunstform. Es ist groß und schwer und wie der Schlagzeuger der Beatles Ringo Starr gesagt hat: „Wir sind nicht reich, aber wir haben Vinyl“. Den Satz habe ich mir als Kind schon gemerkt und jetzt, einige Jahre später, gibt es Vinyl, auf dem mein Name steht. Das ist ein schönes Gefühl.
Nochmal zum Album – das habt ihr ja mit einem alten Tonbandgerät abgemischt und gemastert. Erklär mal warum.
Wir waren im Herbst 2019 auf Tour zwischen Österreich und Italien und mit meinen alten Bandkollegen haben wir 16-jähriges Bandjubiläum in Wien gefeiert und haben dann in Graz diese Platte aufgenommen. Unser Producer Tom Zwanzger war von den 90ern bis 2000 Mitglied einer politischen Ska-Punk-Band in Graz – die hießen die Antimaniax. Wir kennen uns schon lange aus der österreichischen Punkszene. Und wir haben einen ähnlichen Geschmack – Wir lieben die Beatles, 60er Jahre Sound, Rolling Stones, Brian Jones, in die Richtung. Deswegen haben wir mit Analog-Equipment aufgenommen und es digitalisiert. Und dann haben wir es anschließend mit einem Analog-Mixer gemischt und gemastert. Und es klingt wirklich ziemlich ähnlich einer original 60er Platte. Es klingt natürlicher als digitale Musik und ich finde es ist nicht perfekt. Die aktuelle Musik heutzutage ist oft überproduziert und extrem perfekt. Aber unsere Platte ist genauso unperfekt wie die Platten damals. Und ich finde im Unperfekten liegt die Seele des Rock´n´Roll.
Du schreibst ja alle Texte selbst. Worum geht es da?
Meine Texte drehen sich meist ums Alltagsleben oder es sind Love-Songs über Liebe und Kummer. Die Melodie ist oft fröhlich, aber wenn man in die Texte schaut sieht man, dass es da um Einsamkeit im Ausland geht, um ein gebrochenes Herz oder auch um Politik. Ich bin ein Fan von französischen Nouvelle Vague Filmen, Fassbinder usw. Jeder meiner Songs erinnert ein bisschen an diese alten Filme.
Wie bist du eigentlich zum Punkmusik-Machen gekommen und was ist für dich Punk?
Punk ist eine Lebenseinstellung, vielleicht ein bisschen veraltet, aber es ist eine alternative Denkweise gegen Autorität. Ich bin ja in China aufgewachsen. China ist das einzige Land, wo Kommunismus noch wirklich überlebt hat und das auf einem hohen Niveau. Ich war bis ich auf´s Gymnasium kam in China. Als ich Teenager war, habe ich die kommunistische Gehirnwäsche erlebt. Es wird hier versucht, alles mögliche zu kontrollieren. Und dann kriegst du nur vorgesetzt, was die wollen. Und über Punkrock habe ich dann eine alternative Denkweise für mich entdeckt. Ich darf einfach mal Nein sagen und etwas anders machen. Dadurch habe ich entschieden, wenn es in der Zukunft eine Gelegenheit gibt, im Ausland zu wohnen, würde ich die Gelegenheit ergreifen. Punk ist für mich ein Fenster zur Welt. Ich habe aber in Europa dann auch gemerkt, ok, es ist nur eine Subkultur. Das ist nicht alles. Aber ich finde für Jugendliche ist Punk wirklich gut, es ist sehr einfach aufgebaut und dadurch für den Einstieg geeignet. Und das ist gut.
Beim Punk war ja immer auch der Grundgedanke, dass es durch den einfachen Aufbau leichter fällt, einzusteigen, auch ins Selbst-Musikmachen.
Ja genau. Ich war früher ein Schüler der klassischen Musik, habe Klavier gespielt. Ich höre auch heute noch sehr viel von Rachmaninow bis Schönberg. Ich bin auch großer Fan von Progressive Rock. Aber Punkrock ist direkter. Für junge Leute macht das glaube ich mehr Sinn, es ist mehr in your face oder Nein sagen. Nicht Zehntausend Akkorde und irgendwann kommt mal eine Meinung.
Du wohnst ja in Peking. Ich hab gelesen, dass es in Peking eine Punk-Underground-Szene gibt. Erzähl mal was darüber.
Punk war sehr populär hier in China Anfang der 2000er, aber momentan ist der Haupttrend schon vorbei. Momentan hören die chinesischen Jugendlichen eher Postrock, Indierock, Shoegaze und so. Als ich in der Mittelschule war, also 13-15 Jahre alt, gab es in Peking eine große Punkszene, viele auch „richtige“ Punks mit drei Irokesen. Aber die Zeit ist vorbei. Die neue Generation hört lieber ruhige Pop/Rock-Musik. Der Hintergrund ist meiner Meinung nach, dass es so für die chinesische Regierung einfacher ist, die Jugendlichen zu manipulieren. In der SU und der DDR wurde das ja auch versucht aber da war es nicht auf so einem hohen Niveau der Macht wie es jetzt in China ist. Ich weiß nicht ob das gut oder schlecht ist, aber das ist die Wahrheit.
Mit Macht meinst du da den Einfluss international oder nach innen in China?
Nach außen hat China eine Superpower und nach innen ist die Macht schon absolut. Die Regierung ist hier eine Mega-Autorität. Das ist eine finale Version von „1984“ (Anm. d. Red.: Roman von Orson Welles). Eine erfolgreiche Version. Die unmenschlichen Maßnahmen zeigen sich ja jetzt auch wieder beim Corona-Virus. Die chinesische Regierung regiert ihr Volk ziemlich hart.
Wie kommst du denn damit klar? Du machst Punk, das bedeutet Aufmüpfigkeit und das sieht die chinesische Regierung nicht so gern. Wie ist das zum Beispiel wenn du Texte schreibst?
Ich hab kein Problem damit, weil ich ja international veröffentliche. Und dadurch kann ich die politischen Songs im Ausland raus bringen. Es gibt Inlandversionen unserer Alben, wo es meist zwei, drei weniger Songs auf dem Album gibt, weil ich kein Problem mit der Regierung haben will. So funktioniert das ganz gut.
Kennst du da Geschichten, was anderen Bands in dieser Richtung schon passiert ist?
Es gibt einige chinesische Punkbands, die Tricks anwenden, damit ihre Texte akzeptiert werden. Damit eine Platte erscheinen darf, muss man die Texte einreichen, wie es in der DDR oder der Sowjetunion damals war. Aber da gibt es Tricks, denn wenn die Texte auf Englisch sind, übersetzt man sie dann zur Überprüfung auf Chinesisch und dann ersetzt man die Wörter, die problematisch sein könnten, einfach durch unproblematische. Es gibt allerdings auch einige Bands, die auf Chinesisch singen und da ist dann die Konsequenz, dass sie nicht veröffentlichen dürfen. Vielleicht haben sie auch Probleme mit Polizei oder Autorität. Seit neustem ist es noch schlimmer als vorher. Die Kontrolle der Kultur ist extrem ausgeprägt. Da hat man keine Chance. Und ich glaube diese Zensur und Kontrolle ist die Ursache dafür, dass Jugendliche jetzt viel mehr seichtere Musik hören als Punkrock.
Hast du ein Beispiel für einen Song, den du nicht in China veröffentlicht hast?
Auf unserer aktuellen Platte „Mandarin A-GOGO“ gibt es den „War Song“, da habe ich über Krieg geschrieben. Und dann hat mein chinesischer Manager gesagt, dass die Wörter Panzer, Blut, sterben und Patrone auf offiziellen Veröffentlichungen tabu sind. Dann habe ich gesagt, ok, dann wird der Song nur im Ausland veröffentlicht. Wir haben 2021 und trotzdem ist das noch so. Wir haben auch mal auf einem Punksampler einen Song veröffentlicht und der hieß eigentlich „Psycho Baby“. Und mein Manager sagte auch da, dass beide Wörter wahrscheinlich von der Zensur einkassiert werden. Dann haben wir da getrickst bei der Übersetzung ins Chinesische. Ich glaube „nervöse Kinder“ hieß es dann auf Chinesisch. Da ist es mir das erste Mal passiert und seitdem habe ich gemerkt, ok, ich lebe in China und ich muss eine Methode finden, um mit diesem System umzugehen.
Warum hast du dich denn entschieden, wieder nach China zu gehen, obwohl hier in Europa alles freier ist?
Ich war fast 10 Jahre in Europa, viel zu lang. Und meine Familie will nicht nach Europa ziehen. Damals hatte dann meine Mutter eine Operation und lag im Krankenhaus und ich war auf Tournee in Bayern und ich habe meine Heimat vermisst und wollte wieder wissen, wie China sich jetzt als Erwachsener anfühlt. Ich hatte in den Medien immer vom Wirtschaftsboom in China gelesen und dann hab ich mich entschieden, wieder hierher zu ziehen und mir das mal anzusehen. Eigentlich wollte ich nur fünf Jahre hier leben und nun kam Corona. Also schauen wir mal.
Wie ist denn die Situation aktuell hinsichtlich Corona, gerade als Musiker?
In Peking gibt es seit einem Monat wieder neue Fälle und seitdem gibt es wieder kleine Lockdowns, bis März auch für Auftrittsorte. Wir haben Silvester noch vor 1000 Leuten gespielt und jetzt ist es in Peking gerade wieder unmöglich, aufzutreten. Aber wenn wir trotzdem auftreten wollen, müssen wir einen Corona-Test machen, der sieben Tage gültig ist. Silvester haben wir das auch schon so gemacht. Das Konzert war in der Hauptstadt der Mongolei.
Und die Zuschauer?
Zuschauer müssen keinen Test machen, weil jeder eine App benutzen muss, egal wohin man geht. Wenn sie grün anzeigt, ist alles ok, aber wenn sie rot zeigt, hast du Probleme. Dann musst du dich melden oder wirst vom Magistrat aufgesucht. Ich träume schon von dieser App. Ich bin aber nicht dagegen, wenn man dadurch das Virus unter Kontrolle kriegt. Ich will es nicht so haben wie in Österreich, wo es viel mehr Einschränkungen gibt.
Welche Punkbands aus China kannst du denn empfehlen für uns als Europäer?
Eine befreundete Band heißt Gum Bleed, die waren schon in Europa auf Tour und haben auch in Deutschland schon einen Namen. Sie waren zum Beispiel beim Force Attack Festival und beim Back to Future Festival. Sie machen Hardcore-Street-Punk. Bei ihrer letzten Platte habe ich beim Gesang ausgeholfen. Die empfehle ich. Eine weitere Band, das war eine Pekinger Garage-Band, die Bed Stars. Die haben sich leider schon aufgelöst. Die waren beeinflusst vom 70er Jahre CBGB-Punkrock in Richtung der „New York Dolls“ oder Johnny Thunders. Ich habe sie tausend mal gefragt, ob sie sich auch mit der westlichen Welt verbinden wollen aber die sind richtige Chinesen. Die vertrauen mir nicht. Die haben sich dann auch aufgelöst. Das ist ein Problem in den postkommunistischen Ländern. Die Leute vertrauen nicht so leicht anderen. Das ist nicht nur in China so, auch in Ostdeutschland oder Osteuropa. Das hab ich oft schon so empfunden.
Du hast ja China und Westeuropa kennengelernt. Was sind denn da sonst noch Unterschiede?
Als Musiker, finde ich, kann man in Westeuropa alle Ressourcen, die man will, bekommen. Man hat alle Gelegenheiten, weltklasse Musik live zu sehen oder zu hören oder zu spielen. Man kann seinen eigenen Weg finden. Weil es da leicht ist, einen weiten musikalischen Horizont zu entwickeln. Aber in China ist das anders. Große Bands kommen kaum hierher. Die meisten, die eine Asien-Tour machen spielen nur in Japan. Seit ich wieder hier bin habe ich aber schon über zehn europäische Punkbands auf China-Tour mitgebracht. Langsam wird sich die Situation verändern. Durch Corona geht es natürlich gerade nicht so gut.
Du beteiligst dich also aktiv daran, dass es in China mehr internationale Einflüsse gibt.
Ja genau. Früher gab es auch einige Bands, die in China spielen wollten, aber die vertrauten dann den chinesischen Booking-Agenturen nicht so bzw. es gab da Probleme wegen kultureller Unterschiede. Denn China ist sehr anders als Japan zum Beispiel. Das ist viel entwickelter und die Gesellschaft ist da ähnlicher zu Deutschland und Österreich. China hat sich ja erst 1997 glaube ich der westlichen Welt geöffnet – da fehlt kulturell noch viel zum Anschluss. Seit ich wieder in China bin kümmere ich mich deshalb um die Vermittlung, denn ich bin schon lange vernetzt in der europäischen Szene und deshalb vertrauen die Leute mir. Ich mach das sehr gern.
Was plant ihr für die Zukunft?
Wir haben schon mit der nächsten Platte angefangen. Letztes Jahr habe ich 31 Lieder geschrieben. Denn es gab ja keine Tournee usw., da hatte ich viel Zeit. Und dann habe ich 13 Songs davon für die kommende Aufnahme ausgewählt. Vier davon haben wir schon aufgenommen. Nach Corona würde ich gern wieder auf der ganzen Welt touren. Und nachträglich Werbung für die Platte machen.
Lieben Dank für das sehr interessante Gespräch und viel Erfolg noch!
Ebenfalls danke.