Wird dieser Bandname wieder aktuell? Bisher war ich ja in der Lage zu hinterfragen, warum man einen Namen behält, obwohl es diesen Wehrdienst ja nicht mehr gibt und niemand in der BRD mehr diesen verweigern muß. Die Zeiten scheinen sich gerade umzukehren – hoffentlich nicht!
Das letzte Album ist drei Jahre her und nun legen Fahnenflucht das siebte Studioalbum nach.
Damals klangen sie noch etwas mehr nach Alarmsignal oder die wie sie, zwinker. Wobei Fahnenflucht noch nie mit angezogener Handbremse gefahren sind. Im Grunde sind sie eine (fast schon) klassische Deutschpunkband, die die ’90er noch in den Gitarrenriffs stecken hat.
Ich bekomme also das Angebot, die neue Fahnenflucht zu besprechen.
„Molotov Zitrone“ heißt sie und schlägt hier als Box-Set auf!
Wow. Erstmal spreche ich über das Artwork und den Inhalt dieser Box. Wirklich toll und mit viel Liebe bestückt!
Eine gelbgrüne Zitrone ziert den Boxdeckel.
Da steckt nicht nur Musik drin, die Platte in gelb-schwarzem splatter marmorierten Vinyl. Dazu ein Rückenpatch, Sprühschablone, Slipmat, Poster und Sticker.
Insgesamt ist alles in dieser Farblichkeit gehalten, auf dem Cover ein computergeneriertes Abbild eines Menschen, ein brennender Globus – die Richtung, um was es inhaltlich gehen wird, ist schnell klar. Kritischer Punkrock.
Die Platte rennt los, 33rpm, ich habe mich mental, wie immer, nicht darauf vorbereitet und Fahnenflucht schon ewig nicht mehr gehört. Das letzte Album „Weiter Weiter“ hörte ich mal, ich erwähnte es ja oben schon. Ist aber ’ne Weile her.
Nun also „Molotov Zitrone“, die ja dafür stehen kann, dass das Leben bittersüß ist. Da sie offensichtlich brennt, könnte sie also für unseren bittersüßen Planeten stehen, den wir so erfolgreich am brennen halten. Oder einen Kometenschweif hat.
„Molotov Zitrone“ ist die Eiscreme der Verlierer.
Wie auch immer: es geht los mit einem knüppelharten Track „Schöner scheitern“. Der Text spricht mir direkt aus der Seele. Es geht darum, eine kritische Band zu sein, die nicht immer „schöne“ Lieder spielt. Die mal einen Partyhit schreiben soll, weil die Musik ist ja viel zu hart und so depressiv und mal lieber ’ne Hymne.
Es gibt allerdings keine Parole, die einem in diesem Dreck Trost spenden könnte; hier gibt es selten Happy- Ends.
Jap. Für 98% der Hörer*innen ist Musik Unterhaltung. Sie wollen ihre Bubble damit verlassen, träumen und nicht hart den Straßenrand küssen.
Der zweite Song „Staub“ ist auch eine Videosingle.
Und genau das ist, was textlich angesprochen wird: ein fordernder Song, klare Aussagen, Hardcore-Riffing, straighter Ufta auf dem Schlagzeug.
Das zieht sich dann durch den Rest der insgesamt 13 Tracks. 2 1/2 bis 3 Minuten geben sie sich um alles reinzupacken, was die jahrelange musische Punkerfahrung in die Instrumente gespült hat.
Auf das mindeste reduziert. Aus dem Pogopart wird am Ende noch ein Beatdown!
Wie sagt man auch: „Mit minimalem Aufwand zu maximalem Ergebnis“. Oder so.
Der Sound ist durchweg klar und fast schon trocken. Die Zerre hardcorig, könnte fast schon Metal sein.
Die Stimme zwischen Lemmy und dem Sänger von Knud Voss (ich muss den Vergleich einfach bringen).
Die Band weiß, sich zu inszenieren, die Videos stimmig im Look des Artwork. Hier haben Visual Attack ganze Arbeit geleistet und in einem tollen Video zu „Tag der Rache“ visualisiert, was textlich vorgegeben war.
Aus hochmelodischen Punk-Parts wird ein Rock-Metal-Part, der knallhart nach vorne gespielt wird.
Zum Glück ist das so bei Fahnenflucht, denn es gibt genug Rockbands, die meinen, sie spielten Punk ganz hart, machen aber eben nur Rockmusik.
Nein, ich will euch nicht erklären, was Punk ist.
Ich weiß, was Punk ist. Ihr nicht, zwinker. Nein, eben diese Rockbands wissen das nicht. Und dann heißt es immer „ja, aber …. das ist halt unsere Interpretation von Punk“.
Da niemand so genau weiß, wo Punk anfängt, kann man doch trotzdem einen Strich ziehen und sagen: „hier hört er auf“?
Das Album „Molotov Zitrone“ ist gegen die ganze Welt. Gegen die Social Media Welt, in der unreflektierter Bullshit in die Welt geschoben wird und als Journalismus dargestellt wird.
Die Zeiten des ungezügelten Wachtums sind vorbei. Das gilt für sehr viele Bereiche.
Ach, ich merke mal wieder, dass mich das „ach so depressive“ hier zum Nachdenken anregt. Ich denke, ich könnte auch eine Stunde lang mit der Band selbst über all das diskutieren.
Das ist Punk. Kritisch bleiben, offen sein. Gegen Unmenschlichkeit.
Oder wie es Gitarrist Kai sagt: “ (…) ich würde sogar soweit gehen zu sagen, dass politisches Engagement im Privaten beginnen muss, zuallererst bei sich selbst. (…)“
Ich dreh dann mal die Seite um. Es geht etwas ruhiger zu, denn die Stimme verändert sich etwas, es wird nicht mehr ganz so gebrüllt. „Unterm roten Stern“ wartet mit einer Balaleika auf.
„Die Letzten“ mit einem Synthie, Vocoder und der Erinnerung an die Zeiten der Neuen Deutschen Welle. Und die Frage, so verstehe ich das, danach, ob das wirklich die letzte Generation ist. Schon damals wurde auf sehr ähnliche Missstände aufmerksam gemacht.
„Im Zweifel für den Zweifel“ ist ein gelungenes Outro für diese Platte. Da wird nochmal deutlich gemacht, um was es der Band geht. Gegen das Patriarchat, Bevölkerungsausstauch und dass alle Linken lügen.
Vielleicht sollten wir Linken aufhören, uns viel zu oft für die kleinsten Fehler zu entschuldigen. Die Konservativen bügeln da doch auch drüber! Klar, man muss, darf, sollte nicht unmenschlich sein. Dennoch wird Demut ausgenutzt von den Mackern da draußen.
Nun. Eine tolle Platte.
Fahnenflucht – Molotov Zitrone.
Die Box gibt es bei Out of Vogue, auch als CD oder LP in zwei Farben. Sicherlich auch bei eurem Plattendealer!