Schon seit einigen Jahren hält der Trend an, alles auf irgendeine Art und Weise zu Digitalisieren. Vor dem Hintergrund industriell vernetzter Maschinen und den neusten Errungenschaften auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz soll alles schneller, besser und effizienter werden. Eine Entwicklung, der ich als IT Enthusiast zwar einiges abgewinnen kann, hin und wieder jedoch auch die Grenzen zu schätzen weiß. Digitale Gefühle waren bis dato immer einer dieser Entwicklungen, die ich mit einer gewissen Skepsis lieber aus der Ferne beobachtet hatte, so jedenfalls noch bis vor Kurzem. Dank Frau Pauli durfte ich „Digitale Gefühle“ nun auch mal positiv verknüpfen, denn unter dieser Bezeichnung veröffentlicht die deutschsprachige Musikerin Susanne Pauli im Sommer 2023 bereits ihr drittes Album. Erstmals dabei sogar als Vinyl, ein analoges Format, welches in einer immer digitaler werdenden Welt zum Glück weiterhin seine vollste Daseinsberechtigung genießt.
Deutscher „Post-Pandemie-Pop“ mit musikalischen Einflüssen aus dem breiten Raum der Neuen Deutschen Welle. So könnte man versuchen, die Musik zu umschreiben aber allein das wird dem Album noch nicht gerecht. Es ist deutlich mehr als „nur“ eine Neuinterpretation dieser Musikrichtung. Musikalisch geht es weit über das hinaus, was ich bereits kannte. Die Vielfalt an Instrumenten und den vielen versteckten kleinen Details haben ihren Charme und geben hier jedem Song seinen ganz eigenen Charakter. Rhythmisch geht es direkt interessant los. Der Trap ähnelnde Beat, welcher im Opener „Die Gefühle sind weg“ hervorsticht, hat mich auf Anhieb mitgerissen. In Kombination mit einem prägnanten Synthesizer im Intro kam bei mir kurzzeitig diese 80er Synthwave Stimmung auf.
„Ich kann nicht mehr“ bedient sich an Nummer zwei auf diesem Album den klassischen Pop Elementen der Musik, gemischt mit einem Hauch von Funk, der besonders im Chorus richtig hervorsticht. Ich habe die musikalische Vielfalt ja eingangs schon erwähnt, aber hier wird sie noch mal verdeutlicht. In Kombination mit dem grandiosen Text ist das für mich bereits einer der Höhepunkte dieser Platte.
Die zehn Songs harmonieren mit einer Spiellänge von etwas über 30 Minuten wunderbar miteinander und sorgen im Alleingang für die richtige Aufmerksamkeit. Die Dynamik der einzelnen Stücke ist bemerkenswert und so geht die Zeit am Ende wie so oft doch viel schneller rum, als es sich anfühlt. Neben der Vielfalt an musikalischen Finessen zeigt sich auch die inhaltliche Leidenschaft, welche Frau Pauli auf dieser Platte zum Ausdruck bringt. Mit kritischen Themen wie in „Die Gefühle sind weg“, den Doppeldeutigkeiten in „Pommes + Lachs“ und auch ein wenig Ironie beim Song „Was Jesus tut“ spricht Frau Pauli mit ihrer Musik Themen an, die jeder vielleicht auch bei sich selbst aus dem Alltag kennt. Drei Jahre Pandemie hinterlassen nun mal ihre Folgen. Kennzeichnend für mich ist dabei die Menge an unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten. Bei jedem Hördurchlauf fielen mir stets neue Details auf, welche mich dann wieder inspiriert und erneut zum Nachdenken angeregt haben.
Gefühle kommen bei dieser Platte viele auf, zum Glück aber die echten und keine digitalen Gefühle. Die leichte Post-Pandemie Melancholie, die wahrscheinlich jeder von uns kennt, gemischt mit unfassbar gut inszenierten Instrumenten, schafft bei mir eine entspannte Stimmung, die perfekt zu einem ruhigen Sommerabend unter freiem Himmel mit Freunden passt. Für mich garantiert ein Geheimtipp dieses Sommers. Veröffentlicht wurde das Album über das deutsche Indie Label unserallereins. Wer möchte, kann die Platte aktuell über Bandcamp erwerben.