Während in dieser Reihe natürlich viele Musiker*innen Interviews geben, freue ich mich immer ganz besonders, wenn auch andere rund ums Musikbusiness meine Fragen beantworten. Bad Cop/Bad Cop-Tourmanagerin Ines packt heute aus und erzählt allerhand zum Touralltag, über ihr Merchandise-Unternehmen und auch zum neuerlich eher unglücklich geäußerten Statement von Fat Mike im OX zum Thema Frauen im Punkrock. Seid gespannt und nehmt euch ne ruhige Minute für reichlich Input! Hier könnt ihr auch noch einmal das Interview von letzter Woche mit Lulu von LULU & DIE EINHORNFARM nachlesen. Jetzt aber viel Spaß mit Ines!
Hallo Ines, schön, dass du Zeit für das Interview hast! Du bist Tourmanagerin von Bad Cop/Bad Cop – wann hast du damit angefangen und wie kam es dazu? Gab es einen speziellen Auslöser?
Hallo! Ich bin seit ca. 3 Jahren die Tour-Managerin von Bad Cop/Bad Cop. Den Merchandise-Verkauf mache ich schon etwas länger.
Die Band kenne ich seit 2014 persönlich. Beim Punk Rock Bowling in Las Vegas hab ich sie einfach angequatscht, ein paar Monate später waren sie das erste Mal auf Europa-Tour und ich hab mit ihnen zwei Tage Sightseeing in Berlin gemacht. Im Jahr danach war ich für ein paar Wochen in Kalifornien und seitdem begleite ich sie (zunächst jobbedingt unregelmäßig) auf ihren Touren. Als Ben, der ehemalige TM, einen anderen Job zeitgleich zur zweiten Europatour 2018 hatte, haben sie mich gefragt, ob ich mir das vorstellen könnte zu übernehmen. Ich wollte wissen, was sie von mir als Tour-Managerin erwarten – als Antwort kam “auf den Zeitplan achten, das Geld im Auge behalten, gucken dass immer alles passt mit Unterkunft, Essen etc.” – da hab ich gesagt, “joah also ne Mutti – TM steht für TourMom – kein Problem!” Dann kam noch Tom, unser Fahrer und Roadie, dazu und seitdem sind wir ein Dreamteam.
Außerdem machst du ja noch viele andere spannende Sachen, wie schon erwähnt den Merchandise. Wie kam es dazu und wie läuft das ganze gerade jetzt während Corona?
Ich habe 2020 einen Onlineshop für Merchandise gegründet: TMom-Merch.com.
Zunächst sollte der Shop für den übrig gebliebenen Merch von Bad Cop/Bad Cop und MakeWar unserer gemeinsamen pandemie-bedingt gekürzten Tour im Frühjahr 2020 sein. Relativ bald war aber klar, so schnell gibt es keine Shows oder Touren mehr und ich habe angefangen andere befreundete Band zu fragen, ob sie Lust haben im Shop vertreten zu sein. Mittlerweile habe ich noch The Last Gang und The Venomous Pinks aus den USA dabei. Aber auch deutsche Bands wie Berlin Blackouts (Anmerkung: Hier geht’s zum Interview mit Katja von Berlin Blackouts) und Sick Times. Diese Bands zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht nur aus cis white males bestehen und damit möchte ich bisher wenig repräsentierten Künstler*innen eine gemeinsame Plattform zu bieten.
Dazu kommt, dass der Merchandise fair und nachhaltig und größtenteils in Berlin hergestellt bzw. veredelt wird. Ausnahmen hier sind lediglich die Produkte die von den Bands eventuell schon vor Gründung meines Shops beauftragt worden. So haben Sick Times zum Beispiel ihre geplante Italientour 2020 aus den bekannten Gründen absagen müssen und hatten schon den Merch im Proberaum liegen. Diesen findet man jetzt auch bei TMom Merch. Alles was neu produziert wird, ist fair, nachhaltig und/oder regional von kleinen Unternehmen hergestellt. Außerdem lege ich Wert auf genderneutrale Produkte und Inklusion/Body Positivity = es gibt keine typischen “Girls” Shirts und eine 5XL kostet genauso viel wie eine XS Größe. Ich habe auch eine Menge Vinyl im Angebot, da kommt meine eigene Sammelleidenschaft und Begeisterung ziemlich durch.
Der Shop wächst langsam, aber stetig. Ich habe mittlerweile einen tollen Kreis aus Stammkund*innen von Glasgow bis Hong Kong! Die Fans sind sehr happy, dass sie zumindest den Band-Merch kaufen können, wenn schon kein Live-Erlebnis möglich ist.
Ich bin sehr glücklich, dass ich die Idee umgesetzt habe und weiter mit den Bands arbeiten kann und das Bewusstsein für nachhaltigen und inklusiven Merch voranbringe. Es werden bald noch weitere tolle US und europäische Bands dazu kommen! Es lohnt sich also immer mal wieder reinzuschauen.
Wir behalten das im Auge! Gibt es ein besonders ergreifendes, tolles oder sogar mieses Erlebnis als Tour-Managerin, das du mit Sicherheit nie vergessen wirst?
Öhm… ja, also ziemlich das Abgefahrenste waren wohl die letzten 72 Stunden der Tour 2020:
Die Vorstellung, die Tour irgendwo abbrechen zu müssen schwebte schon im Raum bevor wir überhaupt starteten. Richtig klar war mir das, als wir an der tschechischen Grenze von der Armee in vollster Biohazard-Montur kontrolliert wurden. Von da an war es ein Spiel auf Zeit. In der Schweiz war dann absehbar, es endet schneller als gedacht. Tom und ich haben dann mehrere Exit-Strategien durchgespielt, wann wir wie aufhören müssen und wie dann die Logistik etc laufen wird. Wir waren ja in dem Moment für beide Ami-Bands verantwortlich, da der MakeWar Tour Manager auch aus den USA kommt und wieder zurück musste. Sehr wenig Schlaf und gefolgt von einer 10 Stunden Fahrt nach Paris mit Updates von der Agentur im 30min Takt, den Promotern, dem Van Verleih oder auch meinen privaten Kontakten: Absagen, Einschränkungen, Verlegungen, Infos zu Grenzschließungen etc.: Also Hotels versuchen zu stornieren, Routen neu planen, telefonieren und gleichzeitig auch schon mal nach Flügen schauen. Kurz vor Paris war klar, heute ist die letzte Show. Die war sehr bewegend, schließlich wusste keiner, wann wir uns wieder sehen und trotzdem musste soviel noch geplant und organisiert werden. Gleich nach der Show sind wir zum Flughafen, da war natürlich alles dicht. Die Bands hatten dann zum Glück online Flüge buchen können und wir haben sie in einem Hotel mit Shuttleservice in der Nähe untergebracht. Tom und ich mussten so schnell wie möglich die beiden Vans nach Deutschland bringen und sind bis auf 3 Stunden Schlaf an einer Raststätte straight nach Berlin durchgefahren. Das war völlig surreal, die Autobahnen waren schon leer, wir sind in Kolonne gefahren und haben mit allen möglichen Leuten telefoniert um die Strecke zu schaffen und natürlich auch die vielen besorgten Freund*innen und Familien auf den neuesten Stand bringen. Besonders hart war es, dass Tom in Paris ja schon zuhause war und es recht ungewiss war, ob er gut zurück kommt. Er nahm am nächsten Morgen einen Zug ab Berlin, dieser wurde natürlich auch noch irgendwo mit Corona-Verdacht gestoppt, er verpasste den Anschluss und hat mit Ach und Krach den wahrscheinlich letzten Zug über die Grenze bekommen. Als endlich alle dort angekommen waren, wo sie sein wollten: Paris, Los Angeles, New York und ich in Berlin – das war für mich nach über 72 Stunden höchster Anspannung und Konzentration echt sehr krass.
Mieses Erlebnis: Ach, ich ärgere mich eher im Nachhinein, wenn ich über Situationen länger nachdenke und ich vielleicht schlagfertiger oder bewusster hätte reagieren sollte. Zum Beispiel wenn ich das Gefühl habe mir wird als Tour-Managerin dreister begegnet als männlichen Kollegen.
Tolles Erlebnis: Egal wie anstrengend der Tag war, sobald die Band auf der Bühne steht bin ich überglücklich! Meine Freundinnen spielen zu sehen, die Fans und den ganzen Vibe einer Show, egal ob Club oder Festival, das ist unbeschreiblich schön.
Was denkst du wie sich die Position von Frauen im Musikbusiness in den letzten 10 Jahren verändert hat? Hast du bei deiner Arbeit eine Art “Turning Point” erlebt?
Ich kenne einige Frauen im Business, die das schon sehr lange machen und ich habe nicht unbedingt das Gefühl, es wären in den letzten 10 Jahren außergewöhnlich mehr geworden – sie sind aber endlich lauter, selbstbewusster und präsenter! Man rückt näher zusammen, unterstützt sich gegenseitig – mehr Solidarität, das finde ich super wichtig! Früher hat man sich vielleicht eher als Konkurrenz gesehen, heute ist man Verbündete. Ich bin seit 25 Jahren in der Punkrock-Szene, mittlerweile achte ich vermehrt darauf Frauen in allen Positionen zu unterstützen, ihnen Feedback für ihr Engagement und am liebsten den Vorrang auch bei beruflichen Entscheidungen zu geben.
Du hast es schon kurz angesprochen: Wie nimmst du die Arbeit deiner männlichen Kollegen wahr und gibt es Bereiche, in denen du dich benachteiligt fühlst? Was denkst du, sind die Gründe dafür?
Ich habe oft den Eindruck, übrigens unabhängig vom Musikbusiness, dass Männer (damit meine ich vorrangig cis white males) gern höher stapeln als sie eigentlich können. Und im Gegenzug stellen sich Frauen leider eher unter den Scheffel, da nehme ich mich nicht raus. Sich selbstbewusst zu präsentieren und klare Ansagen zu machen: “Das kann ich! Ich bin da gut drin!” sind Sätze, die Frauen wesentlich schwerer über die Lippen kommen.
Benachteiligt fühle ich mich im Biz weniger, aber oft unterschätzt oder nicht Ernst genommen. Das ist schon ärgerlich, aber führt auch dazu, dass ich mir mittlerweile ein recht dickes Fell zugelegt habe und konsequenter agiere. Über Gründe könnte ich hier nur spekulieren und möchte dem eigentlich keinen Raum geben. Ich habe natürlich auch viel von Männern gelernt, nicht nur was Tourmanagement und die Musikbranche angeht! Ich packe aber vieles anders an und habe andere Prioritäten. Im Besten Fall lernt man, wie man es nicht machen sollte.
Was denkst du wie man es fördern und verändern kann, dass auf Rock- und Punk-Bühnen endlich mehr Frauen stehen?
Es kostet ein bisschen mehr Zeit und etwas Mut sich neue Bands anzuhören, vielleicht andere um Rat zu fragen und mal ein Risiko einzugehen anstatt immer die gleichen Shows mit den gleichen Buddies zu organisieren. Ich finde das Prinzip von Propagandhi z.B. und auch BCBC gut, die darauf Wert legen eine diversitäre Support Band zu haben. Das ist nicht nur umsetzbar, sondern ziemlich erfolgreich für alle Stakeholder. Das sollte doch auch bei anderen Bands möglich sein. Ich bin mir nicht sicher, ob eine starre Quote etwas bringt, aber natürlich schaue ich mir Festival Lineups an und ist da nicht viel Abwechslung erkennbar, zieht es mich privat kaum dahin. So geht es sicher einigen. Und ehrlich, hat irgendwer den Eindruck Veranstaltungen wachsen mit immer dem gleichen Typ Band? – Nein. Also ich sehe in Diversität eine Chance auch ein breites Publikum anzusprechen. Wer nicht wachsen will, was auch okay ist, der kann doch die Rahmenbedingungen mit dem Genre klarer eingrenzen und trotzdem findet sich eine neue tolle diversitäre Band, egal ob Metal oder poppiger Punkrock.
Bad Cop/Bad Cop sind ja auch auf dem Fat Wreck Label von Mike von NOFX. Zuletzt hat Fat Mike im Interview mit dem OX Fanzine gesagt, dass Frauen-Stimmen eher für andere Genres als Rockmusik geeignet sind und Frauen auch nicht so gern Rockmusikinstrumente lernen – “that’s how it is”, sagte er. Was denkst du darüber?
Ich habe zuerst nur ein vielfach geteiltes Zitat aus dem Interview gelesen und war ziemlich irritiert, schließlich weiß ich, wie sehr Mike unter anderen Bad Cop/Bad Cop liebt und sie unterstützt. Ich habe dann mehrfach das ganze Interview gelesen, es übersetzt und dies auch ausführlich mit einer Freundin in den USA diskutiert.
Das Interview ist lang, verworren und wenig stringent aufgebaut, dazu auch übersetzt, was kaum dazu beiträgt da irgendwie einen roten Faden erkennen zu können. Die Aussagen auf die du ansprichst werden wenig später teilweise wieder relativiert:
“Frauen werden schon von klein auf eher dazu ermutigt zu singen, als das bei Männern der Fall ist. So ist das eben. Das könnte man ändern aber das liegt nicht in unserem Verantwortungsbereich.”
Für mich ergibt es im Ganzen folgende Kernaussagen: Ja, es gibt ein Ungleichgewicht von Frauen im Punkrock und anderen Genres. Ja, das ist gesellschaftlich bedingt, da sie in Rollenbilder erzogen werden. Ja, das ist veränderbar. Nein, Mike sieht sich selbst nicht in der Verantwortung dafür.
Und zu der verantwortlichen Rolle habe ich eine klar andere Position: Gerade wenn man erkennt, dass Benachteiligung sozialisiert wird und das noch im eigenen Umfeld, reicht es nicht aus schulterzuckend daneben zu stehen. Es bedarf der aktiven Unterstützung Marginalisierter. Damit schließe ich auch die später im Interview erwähnte Sichtbarkeit von POC im Punkrock ein.
Abschließend: Die Zitate von Mike wurden viel zu oft aus dem Zusammenhang gerissen, geteilt und gebasht, ohne dass viele überhaupt das ganze Interview gelesen haben. Besonders erschreckend fand ich, dass auch Mikes Sexualität bewertet, höhnisch kommentiert und ihm sogar seine Queerness abgesprochen wurde!
Ja, da gab es in der Tat einige Shitstorms… Danke fürs Nachrecherchieren!
Du bist ja auch auf Tour mit den Mädels von Bad Cop/Bad Cop – würdest du sagen, da geht es anders zu als auf “Männer-Tourneen”? Hast du direkte Vergleiche?
Nein, einen direkten Vergleich habe ich nicht, in allen Bands mit denen ich unterwegs war spielten auch Frauen mit. Was ich aber weiß, dass BCBC als Band und wir als Team sehr eng miteinander verbunden sind. Also wir haben nicht nur sehr viel Spaß auf Tour, wir reden über alles und ein wesentlicher Punkt: wir verbringen auch unsere Freizeit miteinander. Das machen viele andere Bands nicht, da gehen einige sich ganz aus dem Weg oder machen ihr eigenes Ding an freien Tagen. Persönliche Me-Time kann sich natürlich auch jede*r nehmen, egal ob Sightseeing, Sport oder Rumgammeln. Aber wir genießen es auch sehr zusammen einen Tag im Freibad abzuhängen oder gemeinsam essen zu gehen.
Natürlich kracht es bei uns auch mal, die Nerven liegen nach ein paar Tagen 24/7 zusammen hocken oft blank und wir kennen uns schon ein paar Jahre, dann weiß man ganz genau wie die andere Person tickt.
Der Tourbus wird, da bin ich mir sicher, genauso vollgefurzt und zugemüllt wie bei Männern und ständig sucht irgendwer irgendwas. Na gut, ich achte da eher drauf den Müll zu trennen, es gibt eine große Menstruation-Emergency-Tasche zur freien Verfügung und wir versuchen mehr gesunde Snacks zu haben. Was eher am Anfang einer Tour gelingt, am Ende gibt’s 6 Sorten Chips und sehr viele verschiedene Biersorten und eklige Softdrinks. Trotzdem bereite ich den Tourstart immer akribisch vor: Kissen, Decken und kleine Goodie-Bags für jeden. Dazu mehrere Vorschläge für die Gestaltung der freien Tage. Das ist super wichtig für die gute Stimmung. Auch wenn das Programm mal herausfordernd ist: bei der letzten Tour waren wir in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg. Wir haben von Dennis (Irish Handcuffs) dort eine persönliche Führung bekommen, im Schneeregen vier US-Amerikanerinnen mit teils mexikanischen und vietnamesischen Wurzeln, dazu ein Ire aus Paris und ich als Ost-Deutsche. Das war sehr einprägsam und bewegend für uns alle. Mit Bildungsauftrag auf Tour – auch nicht ganz so gewöhnlich.
Hast du für die Leser*innen noch eine Botschaft, die du hier gern mit auf den Weg geben möchtest oder etwas, was du sonst noch gern beantwortet hättest?
Ich freue mich, dass sich mittlerweile mehr Bands mit nachhaltigen und fairen Merch sowie umweltverträglichem Touring auseinander setzen. Auch viele Fans legen Wert auf Nachhaltigkeit und bestärken mich sehr in meiner Arbeit. Ich werde mich noch intensiver diesen Themen widmen und auf verschiedenen Wegen dazu Informationen veröffentlichen.
Für Fragen, Anregungen und Kritik kann man sich jederzeit an mich wenden.
Danke dir für das tolle Interview, Ines!