Ob Punk oder HipHop – viele Musikgenres sind auch im 21. Jahrhundert noch größtenteils männerdominiert. In unserer Interview-Reihe lassen wir Frauen aus dem Musikbusiness subkultureller Szenen zu Wort kommen.
Den Beginn unserer Reihe machte bereits letzte Woche Jette Schatta (Fotografin) aus Berlin. Heute gibt es Einblicke in die Welt von Diana Ringelsiep, deren Sampler “A Global Mess” zur gleichnamigen Dokumentation und Buch schon einmal hier besprochen wurde.
Hallo Diana,
danke, dass du dir die Zeit genommen hast, uns ein paar Fragen zu deiner Arbeit und deinem Wirken zu beantworten. Los geht’s:
Diana, Du bist Journalistin, Feministin und Antifaschistin – seit wann schreibst du und gab es ein spezielles Ereignis, weshalb du damit angefangen hast?
Schreiben war schon immer meine Ausdrucksform. Andere haben Gitarre gespielt, ich habe stapelweise Tagebücher und Briefe mit meinen Gedanken gefüllt. Nach dem Schulabschluss bin ich dann mit einem Freund nach Australien gereist. Und da es 2004 weder Facebook noch WhatsApp gab, um mit den Leuten zuhause in Kontakt zu bleiben, schrieb ich einfach alles auf, was wir erlebten. Nach unserer Rückkehr lieh sich ein befreundeter Journalist meiner Mutter mein Reisetagebuch aus, weil er sich für Down Under interessierte. Als er es durchgelesen hatte, nahm er mich zur Seite und riet mir, das mit dem Schreiben auch beruflich in Betracht zu ziehen. Damit rannte er bei mir natürlich offene Türen ein. Das Economics-Studium, mit dem ich gerade begonnen hatte, schloss ich trotzdem ab. Der eigentliche Startschuss fiel daher erst einige Jahre später mit Beginn meines Kulturjournalismus-Studiums.
Was war deine erste Veröffentlichung?
Das Masterstudium war sehr praxisbezogen und wir bekamen bereits währenddessen zahlreiche Möglichkeiten, unsere Artikel in renommierten Zeitungen wie der taz zu veröffentlichen. Da ich jedoch einen Narren am Musikjournalismus gefressen hatte, begann ich parallel für ein Online-Magazin zu schreiben. Deren erster Auftrag war ein Interview mit der Punkband Dritte Wahl, die gerade ihr 20-jähriges Jubiläum feierte. Ich weiß noch, dass ich das gesamte Gespräch über total aufgeregt war. Doch als ich den Backstage-Bereich im Anschluss verließ, wusste ich, dass ich meine „Berufung“ gefunden hatte.
Kannst du uns einen kurzen Einblick geben, wofür du seither geschrieben hast?
Im Anschluss an mein Studium habe ich mich der Crew vom PUNKROCK! Fanzine angeschlossen und das Heft fast drei Jahre lang mitherausgegeben. Das heißt, ich war an der Heftplanung beteiligt, hatte eine eigene Kolumne, habe viele große Stories beigesteuert und war u. a. auch für das Schlussredigat verantwortlich. Leider hat der Verlag 2015 starke Sparmaßnahmen ergriffen und alle Musikmagazine eingestellt. Danach brauchte ich einen Tapetenwechsel. Also habe ich das Angebot einer Berliner Agentur angenommen und für einen großen Auftraggeber eine Entertainment-Redaktion aufgebaut, die ich später auch geleitet habe. Das war natürlich das absolute Kontrastprogramm. Plötzlich lief ich hinter den Kulissen von „Voice of Germany“ herum und habe Bands wie Silbermond interviewt. Aber auch das war eine spannende Erfahrung. Danach war ich bei einer Agentur in Essen beschäftigt und an der Umsetzung verschiedener Kundenmagazine und Beilagen überregionaler Zeitungen beteiligt. Im Januar 2018 habe ich mich schließlich selbstständig gemacht – seitdem schreibe ich freiberuflich.
Was waren bis jetzt die prägendsten Ereignisse in deiner journalistischen Laufbahn?
Grundsätzlich sind natürlich alle ersten Male etwas Besonderes. Das erste Interview ist mir daher genauso im Gedächtnis geblieben wie meine erste Titelstory, die kurz darauf im Zuge eines Praktikums bei einer Musikzeitschrift entstand. Und ich erinnere mich auch noch genau an mein erstes englischsprachiges Interview, das erste vor laufender Kamera, meinen ersten Radiobeitrag und viele andere Premieren. Natürlich sind mir auch einige Gesprächspartner*innen in besonderer Erinnerung geblieben. Bela B. und Wanda Jackson zum Beispiel. Dasselbe gilt für die Hintergrundgespräche, die wir in Südostasien – unter teils nicht ganz ungefährlichen Bedingungen – für unser Buch geführt haben.
Gibt es ein besonders ergreifendes, tolles oder sogar mieses Erlebnis in deiner Zeit als Journalistin, das du nie vergessen wirst?
Vor einigen Jahren habe ich die Beatsteaks auf einem Schiff getroffen und bin mit ihnen über die Spree geschippert. Da ich stellvertretend für zwei Magazine dort war, hat das Interview etwas länger gedauert als üblich, aber es lief richtig gut. Wir haben viel gelacht und ich konnte ihnen ein paar schöne Antworten entlocken. Als wir eine Stunde später wieder anlegten und ich bester Laune von Bord ging, checkte ich beiläufig meine Tonaufnahme und kam dabei aus Versehen auf den falschen Knopf. Der Mittschnitt war somit Geschichte. Unwiderruflich gelöscht. Einen solchen Schreckmoment vergisst man nicht. Seitdem checke ich alle fünf Minuten, ob die Aufzeichnung noch läuft und schreibe zur Sicherheit mit. Das Gedächtnisprotokoll des Beatsteaks-Interviews habe ich damals übrigens noch am Ufer zu Papier gebracht. Die Band hatte bei der späteren Autorisierung meiner Artikel nichts auszusetzen. Ich bin also noch mal mit einem blauen Auge davongekommen.
Kannst du von deiner Arbeit als freie Journalistin und Autorin inzwischen leben und wie steinig war der Weg dorthin?
Von der Freiberuflichkeit einmal ganz abgesehen: Die ersten Jahre waren ein einziger „pain in the ass“. Trotz Studium und jeder Menge Praxiserfahrungen, wurden mir anfangs bloß einjährige unbezahlte Praktika und andere haarsträubende Einstiegsmöglichkeiten angeboten – wenn überhaupt. Die komplette Print- und Hörfunkbranche kämpft seit Jahren ums blanke Überleben und spart, wo es nur geht. Online ist hingegen oft nicht viel drin. Natürlich gibt es Ausnahmen. Doch diejenigen, die einen solchen Job ergattert haben, geben ihn natürlich nicht mehr her. Und wenn doch mal eine Stelle frei wird, stehen Hunderte gut ausgebildete Journalist*innen auf der Matte und scharren mit den Hufen. Darüber muss man sich im Klaren sein, wenn man diesen Weg einschlagen will. Ich kann inzwischen gut vom Schreiben leben, allerdings muss ich dafür auch Kompromisse eingehen. Ich nehme zwischendurch zum Beispiel auch „Corporate Publishing“-Aufträge an, da Unternehmen einfach besser zahlen als unabhängige Medien. Aber der lange Atem hat sich gelohnt, ich kann mir nicht vorstellen, etwas anderes zu machen.
Für dein Projekt „A Global Mess” (erschienen als Buch, Film und Vinyl-Sampler) warst du zusammen mit Felix Bundschuh in verschiedenen Teilen Südostasiens unterwegs, um den subkulturellen Underground zu erkunden. Wie hast du die Frauen in der dortigen Szene wahrgenommen? Gibt es bedeutende Unterschiede zu Europa?
Das ist nur sehr schwer zu beantworten, da in den Ländern, in denen wir uns bewegt haben, unterschiedlichste Bedingungen herrschen. Singapur zählt zum Beispiel zu den reichsten Ländern der Welt und ist insgesamt sehr westlich geprägt. Dort haben wir u. a. Musikerinnen aus feministischen Hardcore-Bands getroffen, die sich mit ähnlichen Themen auseinandersetzen wie wir. Zum Beispiel mit fragwürdigen Schönheitsidealen, Fat-Shaming und Online-Mobbing. Im Nachbarland Malaysia haben wir hingegen eine junge Künstlerin kennengelernt, die uns erzählte, dass sie auf der Straße angespuckt wird, weil sie kein Kopftuch trägt. In der Vergangenheit musste sie sogar ins Gefängnis, weil sie unverheirateter Weise mit zwei Männern in einer WG zusammenlebte. Die Rahmenbedingungen bezüglich Staatsform, Religion und Wohlstand sehen in jedem einzelnen Land anders aus. Deshalb ist es unmöglich, eine allgemeingültige Antwort für ganz Südostasien zu geben.
Du bezeichnest dich selbst als Feministin, wie setzt du das praktisch in deinem Leben um?
Feminismus bedeutet für mich, dass ich nicht alles hinnehmen muss, bloß weil es ständig passiert oder schon immer so war. Es ist okay, einem Kollegen zu sagen, dass seine sexistischen Witze herablassend und peinlich sind. Es ist okay, einen „flirty“ Typ in der Kneipe darauf hinzuweisen, dass man sich unwohl in seiner Gegenwart fühlt und er seine Finger bei sich behalten soll. Und wir müssen auch keine Kopfschmerzen vortäuschen, wenn uns eigentlich Menstruationskrämpfe in die Knie zwingen. Ich versuche, mein Umfeld dafür zu sensibilisieren, dass Feminismus nicht gleichbedeutend mit Männerhass ist, sondern dass es um Gleichberechtigung und Selbstbestimmung geht. Außerdem lese ich viel zu dem Thema und befasse mich mit zeitgenössischen Feministinnen wie Magarete Stokowski oder Kübra Gümüsay. Zum einen geht mir so der Input nicht aus, zum anderen zeigt es mir, dass wir viele sind und etwas verändern können.
Was denkst du, wie sich die Position von Frauen im Musikbusiness – und speziell im Journalismus – in den letzten 10 Jahren verändert hat? Hast du während deiner Schaffenszeit einen „Turning Point” erlebt?
Die Musikbranche ist allgemein sehr männerdominiert und Frauen haben es schwer, dort Fuß zu fassen – egal, in welchem Beruf. Das fällt mir immer besonders auf, wenn ich Backstage unterwegs bin und beobachte, wie all die männlichen Musiker, Manager, Booker, Redakteure und Fotografen aufeinandertreffen. Da wird sich kumpelmäßig abgeklatscht, groß getönt und laut gelacht. Und sobald sich eine Frau in die Runde gesellt, wird sie entweder nicht beachtet oder die Grundstimmung verändert sich so abrupt, dass sie sich zwangsläufig wie ein Störfaktor fühlt. Insgesamt versinnbildlicht das die allgegenwärtige Locker-Room-Stimmung in der Musikbranche leider ganz gut. Davon ab ist mir aber auch eine positive Veränderung aufgefallen. Anfangs kam es mir oft so vor, als gäbe es ein ungeschriebenes Gesetz, das maximal eine Alibi-Frau pro Team erlaubt. Die Folge war ein absurdes Konkurrenzdenken unter den wenigen Frauen, was von außen dann gerne als „Stutenbissigkeit“ interpretiert wurde. Doch in letzter Zeit beobachte ich immer wieder, dass sich Frauen beruflich füreinander einsetzen. Das zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Wie nimmst du die Arbeit deiner männlichen Kollegen wahr und gibt es Bereiche, in denen du dich benachteiligt fühlst? Was denkst du, sind die Gründe dafür?
Natürlich fühle ich mich benachteiligt. Die Kluft zwischen Frauen und Männern ist ein Fakt, den ich schon mehr als einmal am eigenen Leib zu spüren bekam. Frauen erhalten seltener unbefristete Festanstellungen, bekommen weniger Verantwortung übertragen, steigen seltener in Führungspositionen auf und kämpfen nach wie vor mit dem Gender-Pay-Gap. Inzwischen gibt es zahlreiche Studien, die belegen, dass die selbstbewusste Gehaltsforderung eines Mannes als Zeichen seiner Kompetenz, die einer Frau hingegen als Arroganz wahrgenommen wird – und das bei identischen Voraussetzungen. Also ja, diese Ungleichheit fuckt mich ab!
Auf welche in der Zukunft liegenden Ereignisse freust du dich besonders? Ist vielleicht ein weiteres Buch- oder Dokumentationsprojekt geplant?
Sowohl als auch. Die letzten zwei Jahre waren sehr turbulent, da „A Global Mess“ ein sehr zeitintensives Projekt gewesen ist. Rückblickend ist es uns selbst ein Rätsel, wie wir das alles in der kurzen Zeit geschafft haben, denn nach der Reise ging die Arbeit ja erst richtig los. Wir haben ein Crowdfunding gemacht, das Buch geschrieben, den Film selbst geschnitten, eine Platte herausgebracht, zahlreiche Vorträge gehalten, Interviews gegeben und dann auch noch eine fünfwöchige Lesetour durch ganz Deutschland absolviert. Das ging phasenweise schon an die Substanz, daher werden wir nun erst mal einen Gang zurückschalten. Ich arbeite allerdings tatsächlich schon an einem zweiten Buch, in dem ich anhand meiner eigenen Geschichte aufzeigen will, dass wir von einer gleichberechtigten Gesellschaft noch weit entfernt sind. Es gibt nämlich eine ganze Reihe von Dingen, die nur selten hinterfragt werden, aber trauriger Alltag für Millionen heranwachsender Frauen sind. Und was „A Global Mess“ angeht, waren Felix und ich uns von Anfang an einig, dass es eines Tages weitergehen muss. Wann es soweit ist und wohin die nächste Reise gehen wird, steht jedoch noch nicht fest.
Hast du für die Leser*innen noch eine Botschaft, die du ihnen mit auf den Weg geben möchtest?
Wenn ich eins gelernt habe, dann dass Beziehungen und Solidarität in umkämpften Branchen das A und O sind. Also supportet euch gegenseitig, anstatt euch das Leben unnötig schwer zu machen. Und lasst euch nicht entmutigen, denn jeder Weg ist anders und irgendwie zu schaffen, solange man die Augen nicht vor den Hürden verschließt. Mehr Einblicke in meine Arbeit gibt’s übrigens bei Facebook und Instagram:
https://www.instagram.com/punkrockana
https://www.facebook.com/D.Ringelsiep
Vielen Dank für Deine Zeit und Deine Antworten!