Neue Woche – Neues Interview! Nachdem es letzten Dienstag mit Carolin bei “Frauen im Musikbusiness” einen ausführlichen Ausflug in die Anthropologie und zu den Punks in Myanmar gab, geht es heute wieder deep rein in den DIY-Sumpf. Ich habe Evelyn vom Vinyldyke Zine und der Grunge-Punk-Band Passionless Pointless ein paar Wurmlöcher in den Bauch gefragt:
Hallo Evelyn, du machst das queer-feministische Vinyldyke Zine. Wann hast du damit angefangen und wie kam es dazu? Vielleicht kannst du uns ein bisschen erzählen, worum es genau geht und wen du damit erreichen willst?
In meinem Fanzine Vinyldyke schreibe ich über die Musik, die mir wichtig ist, aus meiner eigenen Perspektive. Das ist das Tolle am Zine-Machen – du schreibst, wie du willst und bist auch beim Layout völlig frei. Ich nenne diese Art zu schreiben jetzt DIY Rockjournalismus.
Auch bin ich immer wieder freudig überrascht, wie viele verschiedene Leute sich von einem Fanzine angesprochen fühlen, das „Schallplattenlesbe“ heißt. Das ist auch das Besondere beim Herausgeben des Zines: Der Austausch und Kontakt mit anderen Zine-Macher_innen, Leser_innen, Musiker_innen und Musikfans. Ich glaube, ich wollte am Anfang einfach nur mit Menschen in Kontakt treten, die Musik genau so lieben wie ich.
Du spielst außerdem bei der Frauen-Grunge-Punk-Band Passionless Pointless – ist das deine erste Band und wie und wann habt ihr euch gegründet? Vielleicht erinnerst du dich an euer erstes Konzert. Wie war das?
Ich wollte unbedingt wieder die Musik machen, die ich auch selbst gerne als Fan hören würde. Meine absoluten Lieblingsbands sind L7 und die frühen Nirvana. Also habe ich Gitarrenriffs und neue Songs im 80er/90er Stil geschrieben und letzten Sommer in einem Video auf YT hochgeladen. Die erste Bewerberin war meine beste Freundin Kate. Unsere coole Drummerin Jyoti kam dann auch schnell dazu und konnte sich mit der Musik und den Texten identifizieren.
Unser erstes Konzert war der Knaller. Wir waren vorher so aufgeregt, dass wir bis zum Erbrechen geübt hatten. Direkt am nächsten Tag stand auch noch das zweite an – es spielten fünf Bands, die sich alle auf Grunge-Musik bezogen. Das konnte ich kaum glauben. Die Läden waren voll, das Publikum war fantastisch und alle Sorgen waren umsonst gewesen. Der Kontakt zu den anderen Bands besteht bis heute.
Hand aufs Herz: Corona trifft uns gerade im Veranstaltungsbereich bis ins Mark – wie sieht es für dich und deine Projekte für 2020 aus? Wie geht es danach weiter?
Musiker_innen sind kreative Menschen, daher denke ich, dass unsere Musik trotz der Krise bzw. auch währenddessen ihren Weg finden wird. Ich gucke gerade oft Live Stream-Konzerte, bei denen man z. B. den Eintritt online spenden kann, um die Bands und Venues zu unterstützen. Wir haben mittendrin auch unser Demo Tape „The Rockhaus Live Demos“ veröffentlicht, was wir eigentlich aufgenommen hatten, um mehr Konzerte spielen zu können. Jetzt wird es online gehört und es gab auch Bestellungen, aber ich bin froh, dass es nur ein Demotape war und kein Album, denn da ist die Promo ohne Konzerte tatsächlich schwierig.
Was denkst du, wie sich die Position von Frauen im Musikbusiness in den letzten 10 Jahren verändert hat? Hast du bei deiner Arbeit eine Art “Turning Point” erlebt?
Das ist tatsächlich schwer zu sagen. Ich durchforste jeden Tag Instagram nach neuen, interessanten Bands. Dabei bin ich auf einige kleine Plattenlabel gestoßen, die von Frauen und Queers betrieben werden, z. B. “Hell Hath No Fury Records” aus England oder “Corkscrew Records” aus der Schweiz. Auch Zines spielen bei der Verbreitung und Berichterstattung wie in den 1990ern wieder eine größere Rolle. Gerade in Großbritannien geht zur Zeit viel ab. Es ist eine ganze Reihe kleiner Festivals in Planung, z. B. das Decolonise Fest und das LOUD WOMEN Festival. Die DIY- Einstellung steht bei all dem weit oben. Das ist für mich alles so motivierend; ich freue mich, genau jetzt Teil davon zu sein, und auf das, was wir noch alles machen werden.
Wie nimmst du die Arbeit deiner männlichen Kollegen wahr und gibt es Bereiche, in denen du dich benachteiligt fühlst? Was denkst du, sind die Gründe dafür?
Die männlichen Kollegen waren bisher überwiegend lieb und unterstützend. Aber wenn z. B. eine Rockband nur aus weißen Typen besteht, finde ich das sterbenslangweilig. Mich nervt auch die Typenband, die sich als Hauptact versteht und immer viel lauter spielt und besser abgemischt wird als die anderen Bands. Im Grunde ist mein Ansatz aber, dass ich das unterstütze, was mir wichtig ist, und keine Energie in Diskussionen darüber verschwende. Ich stell mich dann raus zu den vermeintlichen Vorbands und connecte mit denen.
Bezeichnest du dich als Feministin und wenn ja, was bedeutet das für dich?
Mittlerweile gibt es so viele Arten von Feminismus. Für mich ist ein feministisches Leben immer mit der Musik verbunden, die ich gut finde. Das fing an, als ich 15 war und Riot Grrrl-Musik entdeckte, und beeinflusst immer noch, welche Bands ich höre und mit wem ich zusammen spielen will. Unsere Lyrics bei Passionless Pointless sind auch feministisch, z. B. der Song ‘Great Art’, aber es fängt schon da an, mit wem ich mich auf die Bühne stelle, selbst wenn es mal in den Lyrics nur um etwas Persönliches geht. Wichtig ist mir auch hier der Austausch mit Menschen, die aus einer anderen Position heraus sprechen, schreiben und performen und von denen ich noch etwas lernen kann.
Auf welche in der Zukunft liegenden Ereignisse freust du dich besonders? Gibt es etwas, was du unbedingt erleben möchtest, vielleicht eine Band, oder ein Festival, bei dem du in irgendeiner Art und Weise mitwirken willst?
Ich sehne mich danach, endlich wieder auf ein Konzert zu gehen! Was sich gerade musikalisch in Berlin und darüber hinaus entwickelt, verfolge ich auch mit großer Spannung, und kann es gar nicht erwarten, dass es endlich wieder losgeht. Ich habe gehört, dass das DIY Projekt “Fight Like A Grrrl Booking” aus Leipzig ein Festival plant. Das wäre natürlich der Hammer, dabei mitmachen zu können.
Gibt es noch andere Projekte speziell für Frauen im Musikbusiness, die du unseren Leser*innen ans Herz legen möchtest?
In Berlin hat sich binnen kurzer Zeit die GRRRL-NOISY Jam Session etabliert. Sie findet einmal im Monat im Toast Hawaii Club statt. Daraus hat sich eine ganze Untergrund-Musikszene entwickelt und neu formiert, denn die Organisatorinnen legen großen Wert darauf, dass sich die Musiker_innen, die dort spontan zusammen spielen, auch vernetzen. Selbst jetzt, da keine Jam Session möglich ist, haben sie sich Alternativen einfallen lassen, z. B. einen Podcast und gestreamte Konzerte.
Hast du für die Leser*innen noch eine Botschaft, die du hier gern mit auf den Weg geben möchtest oder etwas, was du sonst noch gern beantwortet hättest?
Ja. Mir ist klar geworden: Die Band, die du live sehen willst, gründe sie! Die Texte, die du lesen willst, schreib sie. Dadurch lernst du schnell Menschen kennen, die deine Begeisterung teilen. Und wer weiß, was daraus wiederum entsteht.
Liebe Evelyn, vielen Dank für das großartige Interview!