Die neue Woche startet bei uns gleich wieder mit einer starken Frau im Musikbusiness! Wer die letzte Woche verpasst hat, kann hier noch einmal das legendäre Interview von Marta vom Femme Rebellion Fest nachlesen. Heute begrüßen wir Maria vom “Count Your Bruises” Magazin – und nicht nur das: Was Maria sonst noch so umtreibt, erfahrt ihr hier:
Maria, Du bist sehr vielseitig tätig, verlegst gemeinsam mit einer Freundin das Musikmagazin Count Your Bruises, veranstaltest DIY Konzerte bei True Believers Shows und bist auch noch als Fotografin unterwegs – vielleicht kannst du uns kurz deine Werdegang nachskizzieren und erzählen, wie das alles eigentlich angefangen hat?
Du startest also direkt mit der schwersten Frage (lacht). Um ehrlich zu sein, bin ich da so reingerutscht. Das waren wilde Zeiten und teilweise sind die zwischen Fußball, meinem Studentenleben, Festivals und Konzerten ein bisschen vernebelt. Es gibt ein paar Schlüsselpersonen, die all das möglich gemacht haben und mutig genug waren an das, was ich damals noch zu Papier brachte, zu glauben und wahrscheinlich auch an mich zu glauben. Das ist mindestens zehn Jahre her. Es folgte ein klassischer Entwicklungsprozess: Man hat mich an die Hand genommen und in der Szene wachsen lassen. Irgendwann löste ich mich und begann mein eigenes Ding zu machen – immer mit einem sehr guten Background voller fantastischer Menschen. Das mit dem Fotografieren entstand tatsächlich aus der Not der Krankheitsvertretung. Die ersten Jahre fanden größtenteils auf dem Deichbrand Festival, im Kulturzentrum Faust und im Béi Chéz Heinz in Hannover statt. Bands und Redakteure aus meinem Freundeskreis gaben mir die Möglichkeit Erfahrungen zu sammeln und der Kreis, mit dem ich „reiste“, vergrößerte sich. Irgendwann in der Zeit lernte ich über Freunde Hanna kennen, die ein Fanzine und Shows hatte, über die berichtet werden sollte. Es gab zu dem Zeitpunkt aber niemanden der Bilder lieferte. Im Laufe der Zeit wurde ich Co-Verlegerin des Count Your Bruises Magazins. Für mich habe ich damals nicht nur eine „Kollegin“ gewonnen, sondern auch eine der engsten und vertrautesten Freundinnen.
Kannst du dich an dein allererstes Konzert erinnern, das du selbst mitveranstaltet hast? Wer hat da gespielt?
Klar! Auch das kam eher durch Zufall. Joel von Blank TV schrieb mich an und fragte, ob ich nicht Doc Rotten aus New Jersey in Hannover treffen und kennenlernen wolle. Er wollte den Jungs ein Sprungbrett in die europäische Szene geben und versuchte einige Kolleg*innen aufmerksam zu machen, denke ich. Obwohl gerade alles um mich sehr chaotisch war, hab ich nach vielem Hin und Her zugesagt. Ich weiß noch, dass ich mich mit den Jungs verabredet hatte und nach einer 6-stündigen Zugfahrt völlig verspätet in einer meiner damaligen Lieblingskneipen aufschlug, ohne zu wissen, was mir im nächsten Moment passieren würde. Die Chemie zwischen A.J., Wes, Andrew und mir hat sofort gestimmt und es wurde ein echt lustiger Abend oder um ganz ehrlich zu sein, eine echt lustige Woche, da sich die Amis für die nächsten Tage bei mir einquartierten. Wir trafen Ben, meine bessere True Believers Shows Hälfte. Er veranstaltete parallel schon kleine Plattenladen Shows. So kam eins zum anderen und nach einer sehr spontanen DIY-Show, die wir innerhalb von zwei Tagen auf die Beine stellten, kam uns die Idee gemeinsame Sache zu machen und True Believers Shows zu etablieren. Seitdem ist ein gutes Jahr vergangen und wir können auf 25 unfassbar spannende Konzerte zurückschauen, von denen ich kein einziges vermissen möchte.
Wie kann man sich die Redaktionsarbeit bei “Count Your Bruises” vorstellen? Wie ist das Format? Seid ihr geschlechtertechnisch ausgeglichen und gibt es vielleicht Bereiche, in denen du dich als Frau benachteiligt fühlst?
Ich habe mich glücklicherweise als Frau oder besser gesagt, aufgrund meines Geschlechtes, noch nie benachteiligt gefühlt. Ich habe immer gemacht, was ich gut fand und das hat (klopft auf Holz) bisher ganz gut funktioniert. Die Redaktionsarbeit beim Count Your Bruises Magazin wird nicht allein von Hanna und mir geleistet. Neben Sarah, die uns unfassbar engagiert im Tagesgeschäft unterstützt, gehören aktuell 21 andere Köpfe zur Redaktion – alle ganz ehrenamtlich, alles online. Wie du siehst, ist unser Magazin rein weiblich geleitet. Unser Team ist aber ganz bunt gemischt; mit einer leichten weiblichen Mehrheit. Das wurde nie so angebahnt, sondern hat sich einfach ergeben. Für uns spielt das allerdings auch keine übergeordnete Rolle. Wir haben ein Team voll mit tollen Menschen und das Count Your Bruises Magazin lebt allein von unserem und deren Idealismus. Das klingt jetzt bestimmt super romantisch, sichert aber keinesfalls unser Bestehen. Es sind definitiv kniffelige Zeiten für den Musikjournalismus und ich beobachte, dass an vielen Stellen der Konsum – in all seiner Schnelllebigkeit – über die Qualität gestellt wird. Das finde ich gruselig.
Du fotografierst auch Live-Konzerte. Gibt es ein besonders ergreifendes, tolles oder sogar mieses Erlebnis in deiner Zeit als Fotografin, das du mit Sicherheit nie vergessen wirst?
Puuh. Es gibt von jeder Kategorie vieles. Mir ist sehr bewusst, dass das, was ich mache und machen darf keine Selbstverständlichkeit ist. Es ist ein großes Glück, dass ich mich meist so entfalten kann, wie ich das möchte. Sehr fasziniert bin ich auch immer wieder von den tollen Menschen, die ich auf diesem Weg kennen und lieben lernen durfte. In all den Jahren gab es in Fotogräben und Pits aber auch immer wieder – pardon my french – Arschlochfotograf*innen, die arrogant, ignorant und egoistisch agierten. Die sich für sehr viel wichtiger, als den Rest hielten und denen ich gern mal ein Bein gestellt hätte. (Hab ich natürlich nicht).
Zum Glück ist der Pool derer, die ich sehr schätze, viel größer. Wenn ich jetzt gerade so darüber nachdenke, merke ich auch, dass mir dieser Moment, in ein Venue zu kommen und die Kolleg*innen in den Arm zu nehmen und einen kurzen Plausch zu halten, sehr fehlt. Fuck Corona!
Für mich ist die Frank Turner Zeile „In a world that has decided, that it’s going to lose its mind be more kind, my friends. Try to be more kind.“ unfassbar wichtig geworden. Ich glaube wir müssen – in einer Zeit, in der es hip ist eine Digitalkamera zu haben und sich Fotograf*in zu nennen – noch viel enger zusammenstehen, um eben diese Qualität zu schützen.
Was machst du “im echten Leben” und wie bringst du Job und deine ganzen Tätigkeiten in der subkulturellen Szene unter einen Hut?
Ich bin Ergotherapeutin B.Sc. und leite ein dreizehnköpfiges Team. Manchmal sind 24 Stunden pro Tag eindeutig zu kurz, aber in der Regel bekomme ich das alles ganz gut unter einen Hut. Ich war schon immer Hans Dampf in allen Gassen und glaube, dass ich mir so einen (meist) guten Ausgleich verschaffen konnte. Das zeigt mir gerade auch die Pandemie, in der ich zwar immer noch ordentlich zu tun habe, da für mich eigentlich nur das Veranstalten und Besuchen von Shows wegfällt, ich mich aber trotzdem nicht vollends erfüllt und ausgelastet fühle. Dafür liebe ich es einfach zu sehr unter Menschen zu sein. Kultur ist Menschrecht, das lässt sich nicht diskutieren. Das reicht nicht über Bildschirme – auch wenn ich echt froh bin eine unglaublich selbstwirksame und aktive Szene zu beobachten, die sich (gefühlt) so gar nicht klein bekommen lässt.
Was denkst du, wie sich die Position von Frauen im Musikbusiness – und speziell in der Fotografie – in den letzten 20 Jahren verändert hat? Hast du bei deiner Arbeit eine Art “Turning Point” erlebt?
Puh, das ist ja in den verschiedenen Genre ganz unterschiedlich. Um ehrlich zu sein, kann ich dazu keine gesicherte Antwort geben. Wenn ich bei deiner Frage aber versuche zwischen den Zeilen zu lesen, kann man sicher sagen, dass es ganz klar stimmt, dass ein Teil der Subkultur besonders männerdominiert ist – das ist zugegeben aber nur ein sehr kleiner Teil des Musikbusiness. Und auch da sollte man gewissenhafter hinterfragen, woran es genau liegt. Ich bin beispielsweise mit Punk Frauen wie Brody Dalle, Courtney Love, Bikini Kill, den Lunachicks, Nina Hagen und L7 groß geworden. Ich würde wirklich gern wissen, woran es ernsthaft liegt, dass die Punk- und Hardcoreszene im Verhältnis weniger Frauen aufweist, denn ich glaube nicht, dass es immer noch nur an der Männerdomäne oder der Erwartungshaltung an das weibliche Geschlecht liegen kann. Dafür erlebe ich (zumindest in meiner subjektiven Blase) sehr viele Männer, die unfassbar motiviert sind immer wieder Bands mit weiblichen Mitgliedern zu finden. Fat Wreck beispielsweise signed deutlich mehr female fronted Bands, als früher. Ich wünsche mir außerdem, dass Frauen aufhören sich gegenseitig so viel Druck zu machen.
Ich finde, dass es gar nicht so wenige Frauen in der Konzertfotografie gibt. Das, was wir machen, ist ein richtig harter Job, der nichts mit wilden Abenden im Backstage und postromantischen Ideen vom Tourleben zu tun hat, wie man das immer mal wieder (geschlechtsunabhängig) hören darf. Oft stinkt dieser Job sogar –sinnbildlich- ziemlich. (lacht) Beschissenes Licht, das eher einen Nährboden für eine verdammt nebelige Straßenschlacht liefert, Fotoverträge, die 30 Sekunden des ersten Songs einräumen, Violent Dancing und und und – die Liste ist endlos und macht keinen Unterschied zwischen Mann und Frau. Am Ende geht es immer um dieses eine Bild, dem jeder hinterherjagt. Für mich geht es aber vielmehr darum, dass ich es liebe einen Teil Subkultur zu dokumentieren. Für mich muss eine gute Konzertfotografie so realistisch wie möglich sein und diesen einen Moment, den es kein zweites Mal geben wird, reproduzieren. Außerdem ist es mir wichtig, nicht irgendetwas zu veröffentlichen. Wir wollen alle nicht willkürlich abgebildet werden. Besonders nicht, wenn es für die ganze Welt verfügbar ist.
Ich kenne viele richtig gute Fotografinnen und Fotografen, die das genauso sehen und die sich echt den Arsch für das Handwerk und die Szene aufreißen und nicht irgendwas und Hauptsache irgendein scharfes Bild veröffentlichen. Ich kenne aber auch einige Trittbrettfahrer. Ich glaube in der Konzertfotografie geht es aktuell um so viele basale Themen. Offen gesprochen habe ich viele sehr unschöne, unkollegiale, überhebliche und peinliche Situationen erleben müssen. Das macht mich echt traurig und lässt mich manchmal auch verzweifeln. Für mich hat sich vieles dahingehend verändert, als das wir früher eine echte Front waren – Frauen und Männer verbunden. Ich wünsche mir sehr, dass man wieder dahin zurückkommt und dass es wieder einen Wert hat Musikfotograf*in zu sein, so fühlt es sich nämlich in den letzten Jahren überhaupt nicht mehr an. Solange „Fotograf*innen“ ihr Eigentum verschenken und Musikinteressierte nur konsumieren, wird die Verrohung der Szene wohl nicht aufzuhalten sein und man kann nur hoffen, dass sich die, die echt was draufhaben durchsetzen und Agenturen, Labels, Künstler, Veranstalter und Managements das erkennen und unterstützen.
Bezeichnest du dich selbst als Feministin und wenn ja, was bedeutet das für dich?
Feminismus ist indiskutabel wichtig. Am liebsten bezeichne ich mich allerdings als Mensch. Ich kategorisiere ungern und schon gar nicht mich. Es gibt super gut und richtig scheiße und dazwischen ist unfassbar viel Luft. Dass wir nicht aufhören dürfen für Gleichberechtigung zu kämpfen und uns sexistischen, homophoben und rassistischen Aussagen und Aktionen klar und entschieden gegenüberzustellen ist für mich dabei elementar. Ich habe zum Glück nie von außen bestimmte traditionelle Rollenverteilungen leben und erleben müssen, sondern bin sehr gleichberechtigt und aufgeschlossen aufgewachsen, erzogen und von den Menschen in meinem Umfeld aufgenommen wurden. Was für ein heftiges Privileg, oder? Das zog sich in allen Lebenslagen, – bereichen und – jahren durch und am Ende war es immer genau das, was ich für mich ausgesucht hatte. Auf diesem Weg begleiteten mich viele tolle Menschen. Der Weg in die Szene wurde mir – wenn ich so zurück denke – ausschließlich von Männern geebnet. Danke Jungs! Mir ist in letzter Zeit aber auch oft durch den Kopf gegangen, wie unfassbar traurig es ist, dass wir unverändert dringend für Themen, wie Gleichberechtigung und Gerechtigkeit, auf die Straße gehen müssen. Der pure Fakt kotzt mich unfassbar an und mir fehlen einfach die Worte, wie salonfähig Alltagsrassismus mittlerweile ist. Ich könnte gefühlt 10x am Tag wegen solcher Themen heulen. Das ist doch echt scheiße.
Auf welche in der Zukunft liegenden Ereignisse freust du dich besonders? Gibt es etwas, was du unbedingt demnächst erleben willst? Bestimmte Festivals, Artikel im Musikmagazin, Bands, etc. …?
Gefühlt freue ich mich auf alles, was stattfinden wird. 2020 hat sich ja zumindest im Liveevent Bereich dazu entschieden, eine ganz schöne Durststrecke zu werden. Ich habe kürzlich festgestellt, dass ich seit fast 20 Jahren ununterbrochen Festivals besuche – da hatte ich plötzlich einen ganz schönen Kloß im Hals und musste mir ein bisschen Schleifpapier aus den Augen reiben. Mir fehlt dieses Gemeinschaftsgefühl und diese Magie des Sommers auf den Ackern der Republik. Mir fehlt meine Booze Cruise und Ruhrpott Rodeo Wahlfamilie, mir fehlt es Weißwein auf dem Reload, zwischen all den Metalheads zu trinken und mir fehlt der schönste Backstage Bereich der Welt auf dem Fährmannsfest in Hannover. Ich hatte geplant endlich mal zum SBÄM Fest nach Österreich zu fahren und das 40-Jährige mit Bad Religion im Poble Espanyol in Barcelona zu feiern. Mir fehlt aber auch das Reisen und meine Familie. Ich liebe es andere Länder und Kulturen zu entdecken und mich darin treiben zu lassen. Und während ich weiß, wie gut es mir in der aktuellen Situation geht, warte ich ein bisschen Hufe scharrend darauf, einen Flug buchen und meinen Rucksack packen zu dürfen, wenn ich ehrlich bin. Schnauze voll von good old Germany. Am meisten freue ich mich aber darauf, die Menschen, die ich liebe, wieder umarmen zu dürfen.
Hast du für die Leser*innen noch eine Botschaft, die du hier gern mit auf den Weg geben möchtest oder etwas, was du sonst noch gern beantwortet hättest?
Be more kind my friends. Try to be more kind!
Vielen Dank für das tolle Interview, Maria!