Es bleibt auch diese Woche bei unserer Interview-Reihe “Frauen im Musikbusiness” spannend. Nachdem die letzten Interviews unter anderem mit Ronja vom Plastic Bomb und Lizal von Die Dorks geführt wurden, kommt heute eine Frau zum Zuge, welche vielen Bekannt sein dürfte.
Bernadette La Hengst ist eine Vollblutmusikerin und setzt sich seit langer Zeit unter anderem für die Flüchtlingshilfe ein und ist selbst in dem Bereich sehr aktiv. Viel Spaß beim lesen und lasst doch gerne auch mal ein Feedback in den Kommentaren da.
Hallo Bernadette, erzähl mal, was du bisher so im Musikbereich gemacht hast, was aktuell bei dir so am laufen ist und was du so in nächster Zeit in der Pipeline hast?
Ich hab angefangen in den 1980ern, meine ersten Songs zu schreiben, so mit 17/18, als ich in meiner Kleinstadt Bad Salzuflen die Bands und Songschreiber des ostwestfälischen Kassettenlabels Fast Weltweit kennengelernt habe. Da dachte ich, yeahhhh! was die können, kann ich auch. Ich nahm dann meine ersten Songs in dem kleinen Fast Weltweit Tonstudio auf, 1989 kam sogar der ehemalige Fehlfarben Produzent nach Bad Salzuflen, um mir im Studio bei den Aufnahmen zu helfen.
Kurz danach zog ich von Berlin, wo ich zwei Jahre in freien Theatergruppen gespielt hatte, nach Hamburg, um dort Die Braut haut ins Auge zu gründen.
Die Braut war die einzige Frauenband der sogenannten Hamburger Schule, wir spielten 10 Jahre lang zusammen, tourten durch Deutschland, Europa, Russland und die USA und brachten 3 Studio Alben raus.
2000 trennten wir uns, und veröffentlichten noch eine Live Platte bei unserer Abschiedstour.
Seitdem spiele ich unter meinem Namen Bernadette La Hengst (das „La” hatte ich mir zugelegt, um endlich einen Künstlernamen zu haben, denn mein ganzes Leben lang dachten die Leute, mein Name Bernadette Hengst sei ein Künstlername)
Ich hatte verschiedene Gäste auf der Bühne und auf meinen Alben, von Sergej Jensen, einem bildenden Künstler, der mittlerweile in New York lebt, über den Elektromusiker Ekkehard Ehlers, der mein zweites Album La Beat mit produzierte, bis zu Hans Joachim Irmler von der Krautrock Legende Faust, in dessen Studio ich mit seiner Hilfe mein Album „Machinette“ aufnahm. Friedrich Greiling von Mittekill war zeitweise als Mitmusiker auf Tour, jahrelang spielte ich mit der Schlagzeugerin Wanja Saatkamp zusammen, die mittlerweile in Dresden im Staatsschauspiel das Montagscafé betreibt (ein kultureller Treffpunkt für Geflüchtete und Dresdner*innen). Meine ehemalige Die Braut Mitmusikerin Peta Devlin hat einige Alben mitproduziert in ihrem kleinen Hamburger Studio.
Die letzte und immer noch aktuelle Tour zu meinem 6. Solo Album „Wir sind die Vielen“ spiele ich mit der Schauspielerin, Cellistin und Sängerin Claudia Wiedemer zusammen, sowie mit dem singenden ehemaligen UN Pressesprecher des Klimasekretariats Nick Nuttall, der gleichzeitig mein Lebenspartner ist. Die Saxophonistin Samantha Wright und die Posaunistin Sonja Beeh, mit denen ich im David Bowie Musical Lazarus (mit Alexander Scheer in der Hauptrolle) im Schauspielhaus Hamburg seit 1 1/2 Jahren auf der Bühne stehe, spielen auch in meiner Band, wenn die Gage es erlaubt.
Ich spiele außerdem mit den großartigen Banda Internationale aus Dresden zusammen, eine Brassband, fast ein Orchester aus Dresdnern und Musikern aus Syrien, Irak und anderen Ländern. Wir haben zusammen ein Brecht Programm entwickelt, mit Brecht Liedern und Texten aus dem Exil und eigenen Songs über Flucht und Vertreibung.
Seit vielen Jahren erarbeite ich auch partizipative Theaterprojekte u.a. in Berlin, Hamburg, Freiburg, bei denen die Songs und die Musik immer ein sehr wichtiger Bestandteil sind.
Außerdem bin ich bedingungslose Chorleiterin, und gründe Chöre in verschiedensten Orten, um mit den Stadt- und Dorfbewohner*innen selbstgeschriebene utopische Songs zu singen.
Seit dem Sommer 2019 gibt es z.B. den Chor der Statistik, mit dem wir zweiwöchentlich im Haus der Statistik am „Allesandersplatz” in Berlin proben. Das Haus der Statistik ist ein seit 10 Jahren leerstehendes Gebäude direkt am Alexanderplatz, das jetzt von einer Initiative aus Künstler*innen, Stadtplaner*innen und Anwohner*innen bespielt wird, um in einem partizipativen Planungsprozess herauszufinden, was mit dem Haus in der Zukunft geschehen soll.
Zur Zeit finden die Proben online statt. Jeden Mittwoch um 18:30 Uhr gibt es auf unserer Seite www.facebook.com/ChorderStatistik einen live stream, in dem ich den Chor zum mitsingen anleite. Ihr könnt jederzeit dazu kommen. Wir sind ein offener Chor und freuen uns über neue Sänger*innen.
Letzten Samstag habe ich mein erstes Balkon Konzert als live stream gespielt, in meinem Genossenschaftshaus in Berlin. Es war wirklich eine Freude, die Nachbar*innen haben von den Fenstern und Balkonen mitgesungen und gleichzeitig haben es über 10.000 Leute online gesehen.
Ich glaube, es ist total wichtig, daß wir uns die Kunst, Kultur und Begegnungen nicht nehmen lassen, denn die Isolation trifft vor allem die, die keine Familie oder eine/n Lebenspartner*in haben, am meisten. Und natürlich diejenigen, die nicht mehr aus dem Haus gehen können. Ich selbst bin relativ privilegiert, denn ich wohne mit meiner 15jährigen Tochter zusammen und mein Freund kommt auch sehr oft zu Besuch.
Es geht also tatsächlich um das Wort der Stunde, über das ich auch ein Lied geschrieben habe: „Süße Solidarität“ mit denen, die auch ohne die Corona Krise schon marginalisiert waren und jetzt noch mehr unter den Folgen der Isolation leiden.
Und was gerade an den EU Außengrenzen passiert, ist so erschütternd, daß sich Europa dafür schämen sollte. Ich schreibe und produziere gerade zusammen mit der wundervollen Barbara Morgenstern, die übrigens auch Chorleiterin des tollen “Chor der Kulturen” ist, eine neue Europahymne. Angelehnt an die “Ode an die Freude” stellen wir Forderungen an Europa, sich solidarisch zu verhalten und die Grenzen zu öffnen.
Wir planen ein Video dazu zu drehen, für die Aktionstage am 8./9. Mai, die wir mit “die Vielen” geplant haben. Die Vielen sind ein Netzwerk und Verein aus Theatern, Kulturinstitutionen und Künstler*innen, die seit zwei Jahren Strategien gegen rechts und gegen Angriffe auf die Kunstfreiheit entwickeln und auf die Straße tragen.
Am 8. Mai wollen wir den 75. Jahrestag der Befreiung feiern und zum bundesweiten Feiertag machen, am 9. Mai, dem Europatag, wollten wir eigentlich mit vielen Berliner Chören vor dem Bundestag singen. Jetzt werden wir das ganze wahrscheinlich als online Demo/Aktion organisieren.
Wow, schon jetzt sieht man, dass du enorm engagiert und viel unterwegs bist. Du bist ja Mutter einer 15 jährigen Tochter. Ich selber bin ja auch Vater von 2 Kindern und stelle mir nun die Frage, wie man das alles unter deinen Voraussetzungen unter einen Hut bekommen kann?
Na ja, es gibt ja noch den Vater meiner Tochter, bei dem sie auch wohnt, außerdem gab es immer auch ein gutes Netzwerk aus Freund*innen. Oft habe ich sie mitgenommen, wenn ich für z.B. 2 Monate in Freiburg oder Hamburg Theaterstücke erarbeitet habe. Sie ist gerne mit mir in anderen Städten gewesen, und ich habe gelernt, mir die Arbeit so einzuteilen, daß ich trotzdem genug Zeit für sie hatte. Aber die Frage ist natürlich grundsätzlich, wie kann man sich als Künstler*in Arbeitsverhältnisse schaffen, in denen man nicht ständig vor einem burn out steht und gesund und kreativ das Elternsein und die Arbeit miteinander verbinden kann. Denn oft sind es doch eher die Frauen, die die meiste CARE Arbeit übernehmen, und der Spagat zwischen der Arbeit als freischaffende/r Künstlerer*in, die unregelmäßig, emotional und finanziell prekär ist und der Verlässlichkeit, die ein Kind braucht, ist enorm.
Ich war vor ein paar Monaten zu einem Podiumsgespräch eingeladen anläßlich des Buches „Theatermusik“ von David Roesner. Und da haben alle anwesenden Musiker*innen auch über dieses Problem gesprochen. Auch die männlichen Musiker, die mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen, fordern andere Arbeitsstrukturen, in denen sie nicht nächtelang am Laptop die Musik produzieren müssen, sondern tagsüber, während die Schauspieler*innen proben. Grundsätzlich geht es auch um die fehlende gesellschaftliche Wertschätzung von Kunst und somit auch den Künstler*innen, die ja, wie man jetzt gerade in der Corona Krise sieht, anscheinend nicht systemrelevant sind, und deshalb mehr als viele andere Berufe von der Krise bedroht sind.
Wir haben ja beide auch die Arbeit mit Migrantinnen und Migranten gemeinsam. Ich merke immer wieder, wenn ich im Osten der Republik unterwegs bin, dass es da mehr zu ausländerfeindlichen Auseinandersetzungen kommt wie im Westen. Wie erklärst du dir die unterschiedliche Akzeptanz innerhalb des Landes?
In Dresden arbeite ich seit zwei Jahren immer wieder am Montagscafé, seit 2015 ein Treffpunkt für Geflüchtete und Dresdner*innen am Staatsschauspiel, in dem es jeden Montag ein kulturelles Angebot gibt mit künstlerischen Workshops, Lesungen, Diskussionen und Konzerten. Ich habe dort mit den Besucher*innen des Montagscafés Lieder geschrieben und als New Dresden Chor zusammen gesungen. Solche Orte sind wahnsinnig wichtig, denn es gibt nicht viele Angebote in der Stadt, wo Leute sich einfach so treffen können, um sich auszutauschen. Leider ist die Situation außerhalb des Viertels Neustadt für Migrant*innen furchtbar ausgrenzend und die Aggressionen gegen Fremde werden durch die Pegida und AfD weiterhin geschürt. Auch in ländlicheren Gebieten ist diese Feinseligkeit zu spüren, obwohl dort sehr wenig Geflüchtete leben. In Weißwasser in der Oberlausitz habe ich 2018/2019 ein partizipatives Stadtprojekt gemacht, und obwohl dort extrem wenige Geflüchtete wohnen, ist die AfD dort sehr stark. Die Menschen fühlen sich allein gelassen mit ihren Problemen, dem Strukturwandel, der Schrumpfung der Stadt, etc. Und es ist immer das einfachste, die Flüchtlinge dafür verantwortlich zu machen oder „die da oben“. Ich sehe auch einen Zusammenhang zwischen der verdrängten Geschichte der 14 Millionen Vertriebenen nach dem 2. Weltkrieg, die in mehreren Generationen zu Ausgrenzung führte, und die nie verarbeitet wurde. Alles was unter den Teppich gekehrt wurde, kommt wieder hoch. Genauso wie die Wende und der Ausverkauf der DDR.
Es wird ja immer in den Medien von den bösen Männern, die Frauen vergewaltigen und alle Menschen ausrauben, gelesen. Wo siehst du die Ursache für diese fremdenfeindlichen medialen Einflüsse und hast du selber jemals negative Erfahrungen in Bezug auf Übergriffe oder ähnlichem machen müssen? Hierbei möchte ich betonen, dass es nicht nur um Migrantinnen und Migranten geht, denn auch deutsche Bürgerinnen und Bürger sind oft gewalttätig!
Ich selbst wohne in Berlin Mitte, an der Grenze zum Wedding, und der Unterschied zwischen diesen beiden Stadtteilen ist enorm. In Mitte ist der Migrationsanteil verschwindend gering, u.a. weil die Mieten unbezahlbar geworden sind (außer in dem Genossenschaftshaus, in dem ich wohne), im Wedding ist es genau anders rum. Meine Tochter ging in eine Weddinger Grundschule mit einem sehr hohen Migrationsanteil, und sie ging in die Klasse mit Kindern, die arabische, afrikanische oder türkische Wurzeln hatten. Einige Jungs dort waren im stereotypen Sinne kleine Machos, die versuchten, die Mädchen zu unterdrücken oder zu bedrohen. Allerdings waren die Lehrer*innen der Schule auch sehr aufmerksam und haben verschiedene Formate entwickelt, um mit Gewalt und Mobbing auf dem Schulhof umzugehen und dem entgegen zu wirken. Ich glaube, das wichtigste für eine Gesellschaft ohne Diskriminierung und Gewalt ist die Schule, denn dort kann den Kindern jeder Herkunft gezeigt werden, wie man respektvoll miteinander umgeht. Und dafür braucht es auch männliche Pädagogen, die den Jungs ein positives Role Model bieten, ohne Gewalt und mit der Fähigkeit zu Empathie und Solidarität.
Genauso brauchen auch die biodeutschen Kinder Rollenbilder von migrantischen Erwachsenen, die anders sind als die Stereotypen des „arabischen Drogendealers“ oder des „türkischen homophoben Gangster-Rappers“. Die Musiker von der Dresdner Brassband Banda Internationale geben z.B. viele Workshops an Schulen, vor allem die syrischen, irakischen und afrikanischen Musiker zeigen den Kindern ein anderes Bild ihrer Kultur und ihrer Musik, das sehr bereichernd ist und Vorurteile abbauen kann.
Was war denn im Gegenzug dein schönstes Erlebnis, welches du in Bezug auf dein musikalisches Schaffen erleben konntest?
Ich mache schon so lange Musik, daß ich das nicht genau sagen kann. Viele Konzerte sind für mich besondere Momente des Augenblicks, in denen ich im besten Falle mit dem Publikum verschmelze, und da sind die kleinen Konzerte genauso wichtig wie die großen. Das Konzert mit meiner ehemaligen Band „Die Braut haut ins Auge“ auf dem größten Rockfestival Russlands in St. Petersburg 1996 war ein unvergessliches Erlebnis. Vor 10.000. Menschen zu spielen, die meine meist deutschen Texte nicht verstanden und trotzdem total begeistert waren, hat mich in meinem Glauben bestätigt, daß die Musik universell ist. Ähnlich war es, als ich 2017 auf meiner musikalischen Expedition zwischen Madrid und Casablanca in einem alten Hippiebus Liebeslieder mit Passanten gesammelt habe. Aus der eigenen Komfort Zone herauszutreten und mit Menschen aus anderen Kulturkreisen zusammen Musik zu machen, war wirklich eine besondere Erfahrung.
Da es ja auch um Musik geht, würde ich gerne noch wissen, was deine fünf LieblingskünstlerInnen sind?
Rio Reiser, Hildegard Knef, Le Tigre, Derya Yildirim, Nina Simone
Willst du noch etwas loswerden oder all unseren LeserInnen mit auf den Weg geben?
Nehmt die Entschleunigung an als ein Geschenk… Die Krise als Chance für den Augenblick…. Bedingungsloses Grundeinkommen für alle… #LeaveNoOneBehind
Vielen Dank Bernadette, dass du dir die Zeit für dieses sehr tiefgreifende und umfassende Interview genommen hast (Nico).
danke, Superfrau, für die Energie die du verströmst und verschenkst