Auch ohne Konzerte und Festivals machen wir mit unserer Interview-Reihe unbeirrt weiter. Nach den letzten spannenden Interviews mit Lizal von Die Dorks und Sindy am Merch haben wir heute Ronja vom Plastic Bomb auf dem Programm – ein Interview, auf das ich mich schon seit einigen Wochen freue, aber lest selbst!
Hallo Ronja,
ist es komisch für dich mal selbst ein Interview zu geben statt eines zu führen?
Hallo zurück und nööö, also komisch nicht, ich hab auch schon öfter mal Fragen beantwortet und in meinen Vorworten und Beiträgen im Plastic Bomb gibt’s ja auch durchaus mal persönliche Sachen von mir bzw. über mich zu lesen, von dem her ist das hier kein Neuland.
Aber ich bin, um ehrlich zu sein, bei Interviews oft interessierter an den Fragen, als an den Antworten, weil ich diese Seite einfach besser kenne und weiß, wie viel Arbeit da oft drin steckt… oder wie einfallslos manche Fragen sind.
Dann hoffen wir mal, dass Dich unsere Fragen nicht langweilen 😉 Dich kennt man ja als Redakteurin vom “Plastic Bomb” – seit wann machst du das, was machst du da genau und wie hat das alles eigentlich angefangen?
Wann das angefangen hat, musste ich grade selbst mal kurz recherchieren, haha. Micha hat mich im Sommer 2006 gefragt, ob ich ab der Plastic Bomb Ausgabe #56 die „Herstory of Punk“ weiter führen möchte, das war eine Interviewreihe, in der Sarah unterschiedliche Frauen vorgestellt hat, die in Bands, in Konzert- oder Politgruppen aktiv sind.
Jedenfalls hatte Sarah keine Lust bzw. keine Zeit mehr und so hab ich das dann viele Ausgaben lang gemacht, ich glaub, die „Herstory of Punk“ gab es so bis 2015.
Nach und nach hab ich immer mehr fürs Heft gemacht und unabhängig davon vor 12 Jahren auch nen Lohnarbeitsjob beim Mailorder angefangen.
Erst 3 Tage die Woche, dann 4, hab spätestens nach Swebos Weggang immer mehr Entscheidungen mit getroffen und als Micha dann auch aufgehört hat, hat er mir seinen Anteil verkauft und seitdem bin ich die Alleinherrscherin, hehe.
Beim Mailorder bedeutet das, eine Firma zu leiten, Leute anzuweisen, alles zusammen zu halten und Entscheidungen zu treffen.
Beim Heft heißt das Koordinieren, zusammen tragen, in Form bringen, Finanzierung sichern und Leute schimpfen, wenn sie den Redaktionsschluss nicht einhalten.
Mir macht das alles nach wie vor mega Spaß, ich arbeite mit Freunden zusammen und freue mich echt jeden Tag, dass wir davon leben können, Menschen mit Musik-Infos und Vinyl zu versorgen!
Und was machst du “im echten Leben”, wenn du gerade nicht fürs Plastic Bomb schreibst?
Aktuell verbringe ich viel Zeit auf meinem Balkon, weil ja mit meiner eigentlichen Lieblingsbeschäftigung „Weggehen“ grade Essig is. Ich gehe wirklich so oft wie möglich auf Konzerte, am liebsten jedes Wochenende 2x und dank meiner flexiblen Arbeitszeiten auch noch in der Woche.
Ansonsten treffe ich meine Freunde (ja, auch jetzt zur Zeit, trotz der Kontaktsperre) und rede am liebsten über Musik und über persönlichen Kram. Ich fahre gerne weite Strecken, um Bands zu sehen oder Leute zu besuchen, bin den ganzen Sommer auf Festivals oder eben in anderen Städten auf Konzerten.
Dementsprechend macht mich die ganze Isolation und die harten Einschnitte, was die Kulturlandschaft angeht, wirklich sauer, betroffen und besorgt. Ich frage mich, wie viele Konzertläden nach dem ganzen Wahnsinn überhaupt wieder aufmachen können und was das mit der Konzertkultur im allgemeinen macht. Mit den Releases diesen Sommer, Interviews und so weiter.
Gibt es Bereiche in der redaktionellen Arbeit, in der du dich als Frau benachteiligt fühlst oder kannst du uns Geschichten erzählen, die dich diesbezüglich vielleicht aufgeregt oder erfreut haben?
Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendein Typ versucht, mir meinen Job zu erklären, an dem ich nicht kritischer hinterfragt werde als nötig oder meine Entscheidungen in Zweifel gezogen werden.
Und das hat auf jeden Fall meistens was mit Geschlechterrollen zu tun.
Gilt jetzt natürlich auch für die Arbeit beim Mailorder, aber fürs Heft natürlich in erster Linie.
Wenn ich einer Band schreibe, dass wir ihre Platte nicht im Mailorder verkaufen werden oder sie nicht fürs Heft rezensieren oder die Band interviewen wollen, wird oft mein Musikgeschmack und meine Szenekenntnis in Zweifel gezogen. Dann kommen Ratschläge wie „Überlegs dir nochmal in Ruhe“ oder „Besprich das doch bitte nochmal mit deinen Kollegen“. Probleme, die Micha und Swebo nie hatten, das haben wir alles schon 100 mal besprochen.
Wenn ich eine Band im Heft schlecht rezensiere, kriege ich danach Mails, dass ich „Die Band nicht verstanden hätte“ und ob das bitte nochmal jemand anderer aus der Redaktion rezensieren könnte. Haha, als würden wir eine Band zweimal besprechen!!
Das gleiche gilt, wenn ich eine Band ablehne (Label, Heft, Mailorder) und dann die Frage kommt, ob die Person, von der die Anfrage kommt „nochmal mit jemand anderem aus der Firma da drüber reden könne“… gemeint ist ein „männlicher Chef“.
Oder Kunden, die wir informieren müssen, dass irgendwas mit der Bestellung schief gelaufen ist, die schlagen manchmal einen ganz anderen Ton an, als bei meinen männlichen Kollegen, alles schon oft genug verglichen und besprochen. Und meistens erklären die mir dann noch, was ich in meinem Job besser machen könnte.
Aber ja, es gibt mega viele Leute, die mich mit großem Respekt behandeln. Dazu gehört der Großteil der Kundschaft, ALLE meine Labelbands, die meisten Großhändler und fast alle Labels, mit denen ich so zu tun habe. Und natürlich meine Arbeitskolleg_innen und alle, die beim Heft mitschreiben!
Achtet ihr beim Plastic Bomb darauf, dass die Geschlechterverhältnisse bei den besprochenen Bands ausgeglichen sind? Ist das überhaupt möglich und findest du so etwas notwendig?
Der Vorteil ist, dass viele Stammschreiber_innen von sich aus ein großes Interesse an weiblicher Aktivität in der Szene haben. Mir ist es immer wichtig zu betonen, dass es ja nicht nur um die sichtbare Beteiligung geht, zum Beispiel auf der Bühne. Sondern auch um Veranstalter_innen, Fanziner_innen und und und.
Und da die Sensibilität und das Interesse da eh groß ist, nicht zuletzt, weil ja auch bei uns verhältnismäßig viele Mädls mitmachen, kommt das im zufriedenstellenden Umfang von alleine. Also, ist jetzt nicht der Löwenanteil, aber im Szenevergleich wirklich auffallend präsent.
Aber ja, natürlich sollte man da grade als Fanzine ein Auge drauf haben. Denn meiner Meinung nach ist dieses „sichtbar machen“ eine der großen Chancen, nicht nur in der Szene, sondern auch in der Gesellschaft mehr Frauen zu mehr Beteiligung zu bewegen.
Indem man sie sichtbar macht, ihnen eine Stimme und ein Bild gibt, ein Spotlight auf sie richtet und sagt: „Schaut mal, was die für coolen Kram macht, das könnt ihr auch“.
Und, ganz wichtig: Dass man auch mal zuhört.
Bezeichnest du dich als Feministin und wenn ja, was bedeutet das für dich und deinen Umgang mit der Welt?
Ja sicher bezeichne ich mich als Feministin, das ist doch „Alternativlos“, haha.
Ich finde es wichtig, dass man das Thema immer wieder anspricht, immer wieder erzählt, was die positiven Entwicklungen, die Erfolge und auch die Schwachstellen sind, bis das Thema allen zu den Ohren raus kommt.
Denn das betrifft einfach mal ALLE Menschen, das ist ja kein „Frauenthema“ oder nicht nur für Randgruppen oder besonders Interessierte, sondern für die ganze Gesellschaft wichtig.
Und wenn man sich nicht die Mühe macht, das immer wieder aufzuzeigen, auch auf die Gefahr hin, die ewig nervige Ziege zu sein, die immer wieder „mit ihrem Lieblingsthema anfängt“ kommt man ja nicht weiter.
Aber ich hab auch das Selbstbewusstsein für diese ewige Wiederholung und gleichzeitig die Entertainerinnen-Qualitäten, dass man mir länger als 3 Minuten lang zuhört. Und das ist traurig genug, dass man das so sagen muss.
Aber ich nehm mir das immer gern raus, meinen männlichen Freunden oder unseren Lesern zu erklären, was IHR ganz spezieller Beitrag sein könnte oder was sie verdammt nochmal unterlassen könnten, damit die Verhältnisse mal langsam ein bisschen ausgeglichener werden.
Was denkst du wie sich die Position von Frauen im Musikbusiness in den letzten 20 Jahren verändert hat? Hast du bei deiner Arbeit eine Art “Turning Point” erlebt?
Zu Frauen in Bands, was auch für nicht-business-Bands gilt:
Da hat sich nämlich meiner Beobachtung nach so ziemlich gar nichts getan. Es gab schon immer ein paar Frauenbands, bzw. Bands mit „weiblicher Beteiligung“. Die einen haben da den Fokus drauf gelegt, die anderen wollten das Thema gar nicht so im Vordergrund haben.
Aber wirklich mehr Personen bzw. Bands sind das nicht geworden.
Die Diskussion darüber, warum das so ist, flammt in der Szene immer wieder auf, wird dann aber ergebnislos vertagt.
Mein Hauptkritikpunkt ist, dass von Frauenbands immer „mehr erwartet wird“, genau wie in der echten Gesellschaft. Man muss besser spielen können, besser singen, man muss besser aussehen und mehr aushalten können, sonst bleibt man am Besten unsichtbar im Publikum stehen.
Und selbst wenn du das als Band alles hinkriegst schreibt dann am besten noch irgendein Typ irgendeine beleidigende Scheiße über dich.
Kalle Stille hat im OX mal geschrieben, dass er der Sängerin von SVFFER „gerne Pralinen und Blumen mit zum Konzert bringen will, weil er sie so toll findet“. Klingt im ersten Moment wie ein Kompliment, ist aber übelst sexistische Kackscheiße und weist die Frau in ihre Schranken. Das ist eine der ältesten „Waffen“, eine Frau stetig zu sexualisieren und optisch zu beurteilen, obwohl sie einfach nur Mukke machen will.
Zum krönenden Abschluss hat er sie noch als „kleinen Brüllwürfel“ bezeichnet, ja prost Mahlzeit.
Ist jetzt nur ein Beispiel, aber ein ziemlich plakatives, wie ich finde, denn das OX und Kalle Stille haben ja den Anspruch, Frauenbands zu featuren… denk ta mal drüber nach.
Auf welche in der Zukunft liegenden Ereignisse freust du dich besonders? Gibt es etwas, was du unbedingt demnächst erleben willst? Bestimmte Festivals, Artikel oder Interviews, Bands, etc. …?
Hm. das ist ein echt blöder Zeitpunkt, so eine Frage zu beantworten…. Heute, Mitte April, wurden ja grade die ganzen Großveranstaltungen abgesagt. Und was in den nächsten Monaten an Konzerten stattfinden wird, weiß noch niemand.
Aber ansonsten hätte ich mich sehr gefreut auf:
Dividing Lines beim „Rock am Kuhteich“, A+P beim „Back to Future“, Dödsrit beim „Masters of the Unicorn“, natürlich hätte ich auch gern das „Gothic Pogo“ mitgemacht, diverse private Partys und sogar eine Hochzeit (was ja eigentlich gar nicht meine Baustelle ist), die aber wegen Corona vertagt werden musste.
Ich hoffe einfach, dass ich diesen Sommer noch ein paar Bands sehen werde und den Rest der Zeit mit meinen Freunden im Park verbringen „darf“.
Hast du für die Leser*innen noch eine Botschaft, die du hier gern mit auf den Weg geben möchtest oder etwas, was du sonst noch gern beantwortet hättest?
Ha, ich liebe offene letzte Fragen, versuche ich auch immer zu stellen! Also als ganz klare Handlungshinweise, nochmal zu diesem „Frauen in der Szene“-Thema:
Hört euren weiblichen Freundinnen einfach mal zu!
Haltet einfach mal kurz die Klappe, unterbrecht das „Wer schreit hat recht“ Spiel und lasst die Frauen mal zu Wort kommen.
Wenn man mal in Ruhe drüber nachdenkt, muss man zugeben, dass man Frauen einfach weniger Gehör schenkt, dass man von vorne herein davon ausgeht, dass das weniger unterhaltsam, weniger informativ und vor allem weniger musik-nerdig sein wird, als das, was der Typ daneben zu sagen hat.
Das merk ich oft, wenn eine Frau was erzählt, ein Typ fällt ihr ins Wort, alle schauen den Typen an und die Frau hält mal lieber die Klappe, weil sei eh schon ein schlechtes Gewissen hat, überhaupt den Mund aufgemacht zu haben. Beobachtet das selbst mal.
Wenn man sich diese Mühe macht, wird man merken, dass da selbstverständlich interessante Ansichten und Aspekte zum Vorschein kommen.
Egal ob das die berühmte „oben ohne auf der Bühne“ Diskussion ist oder ob es mal wieder darum geht, warum überhaupt so wenig Frauen sichtbar in der Subkultur aktiv sind.
Und das mit dem Zuhören gilt eben auch oft für Frauenbands. Auch wenn viele Leute erst mal Vorschuss-Lorbeeren geben, weil sie weibliche Aktivität ja auch unterstützen wollen, ist das ernsthafte musikalische Interesse oft gering. Und auch die Kritik. Viele Leute denken, dass eine Frauenband wie ein kleines Vögelchen ist, das weg fliegt, wenn man es erschreckt, in dem Fall kritisiert.
Dabei wären sicher auch viele Musikerinnen froh um Kritik, um Tips, um echtes Feedback. Da fühlt man sich nämlich auch ernst genommen.
Vielen Dank, dass ich hier meine Weisheiten breit treten durfte, ich bewundere eure Arbeit sehr und fühle mich geehrt, dass ich mitmachen durfte!!
Vielen Dank für das wirklich interessante und kritische Interview, liebe Ronja!
Wir zitieren richtig:
“Das nächste große Ding sind SVFFER bereits für viele, wobei da noch mehr geht. Wahnsinniges Brett mit einer zierlichen Sängerin, der man diese tiefe Tonlage kaum zutraut. Schaue ich mir sofort wieder an, wenn sie in der Gegend sind, vielleicht nehme ich dann in alter Hitparadentradition sogar ein paar Blumen mit, die nach dem schüchternen Überreichen umgehend welk gebrüllt werden. Hammer!” (OX 116)
Wer darin Pralinen, Brüllwürfel oder ungeziemliche Avancen findet, darf sie behalten.