Letzte Woche gab es im Interview mit Stephanie vom “Marina is Red” Fanzine schon ordentlich klare Kante zu lesen. Wer allerdings die erst kürzlich geführte Debatte um Sexismus und das Frauenbild auf Festivals auf der Homepage und Facebookseite der Band LÜGEN ein bisschen verfolgt hat, dürfte am Interview mit Sängerin Sabrina interessiert sein. Allen Kritiker*innen sei dabei gesagt: Macht euch vor allem ein Bild von der Lage, den zugrundeliegenden Gedanken und lest erst einmal selbst:
Hallo Sabrina, schön dich so kurzfristig für ein Interview gewinnen zu können. Wir sind angesichts der gerade wieder aufgeploppten Diskussionen sehr gespannt auf das, was du uns zu berichten hast. Legen wir los:
Zuerst einmal: Wann hast du dich eigentlich entschieden Musik zu machen, gab es einen speziellen Impuls und hattest du vor LÜGEN noch andere Musikprojekte? Wo und wie hat alles angefangen?
Der Impuls war sicher ein großer gemeinsamer Zorn auf die Verhältnisse. Und ähnliche Dinge, mit denen wir uns auseinandergesetzt haben, die wir gern musikalisch verarbeiten wollten. Unser Bassist und unser Gitarrist wollten gern Musik zusammen machen und wussten, dass ich schreibe und haben mich gefragt, ob ich Lust hätte mitzumachen bzw. Texte zu schreiben und zu schreien. Wir kannten uns über einen erweiterten gemeinsame Freund*innenkreis und waren uns sympathisch. Der Schlagzeuger hat nochmal gewechselt aber seit 2016 gibt es uns in dieser Besetzung. Zur ersten gemeinsamen Probe bin ich mit bestimmt sieben fertigen Texten erschienen, denn Songtexte zu schreiben war wie eine Offenbarung für mich. Diese Art Sachen, die eine nerven, runter zu schreiben und dann noch rumschreien zu können ist großartig. Ich empfehle das jede*r. Ein Grund, warum es mich so nervt, dass nur so wenige Frauen (bzw. FLINTA*) hier Zugang haben. Denn gerade die haben eine Menge Dinge zu sagen.
Bei LÜGEN bist du die einzige Frau in der Band. Ist es euch schon mal passiert, dass ihr nur für die Frauenquote gebucht wurdet? Wie geht ihr mit so etwas um?
Ich weiß nicht, ob wir schon mal „nur“ wegen einer Quote gebucht wurden. Das ist aber vorstellbar. Finde ich jetzt aber auch nicht schlimm. Woanders spielen ja auch Typen-Bands, weil irgendwer den Veranstalter kennt oder was für Gründe auch immer. Warum dann nicht auch mal ne Band spielen lassen, um Frauen mehr Sichtbarkeit zu verschaffen? Das ist doch das, was wir wollen, dass es eben nicht mehr nur vermeintlich um Musik geht (geht es eh nicht) sondern, dass mal etwas offener geschaut wird, was es neben reinen Cis-Typen Bands noch so gibt. Ich bin nicht beleidigt, wenn das ab und an so wäre. Andererseits weiß ich durch die Rückmeldungen, dass wir wesentlich öfter eingeladen werden, weil Leute unsere Musik gut finden. Wenn ich das nicht wüsste und ständig bemerken würde, dass wir eingeladen werden, damit die Veranstalter*innen ihr „Soll“ an Frauen auf der Bühne erfüllt haben, dann würde mir das bestimmt auch auf die Nerven gehen. Denn Sichtbarkeit ist das eine. Für die Musik, die mensch macht, gemocht bzw. geschätzt zu werden ist auch wichtig. Eine Quote ist aber ja auch ein Instrument um Personengruppen, die z.B. aus Gründen, die mit patriarchalen Strukturen zusammenhängen, nicht in Teilbereiche der Gesellschaft oder hier: Szene teilhaben können, Zugang zu ermöglichen. Es ist ja nicht so, dass es mehr Typen gibt, die bessere Musik machen. Es ist ja nur so, dass mehr Typen Zugang zum Musikmachen haben. Und deswegen braucht es Aufmerksamkeit für die Strukturen, die die gleichberechtigte Teilhabe verhindern. Und Vorbilder. Und wenn Konzertkollektive dann sagen: Ok, wir laden jetzt trotzdem mal eine neue, unbekannte Band ein, die nicht nur aus Cis-Typen besteht und lassen die allseits bekannte Cis-Typen Band mal weg, die kann eh immer auftreten, dann ist das doch die richtige Perspektive. Ich erlebe, dass z.B. Frauenbands viel länger brauchen, bis die sich mal zutrauen aus dem Proberaum raus und auf die Bühnen zu gehen. Und wenn die eher mal gefragt würden… wer weiß. Aber es muss auch mal hinterfragt werden, warum neben weniger Frauen auch weniger BIPoc sichtbarer Teil im Punk sind. Warum das so eine homogene Gruppe ist. Offensichtlich ist es kein wirklich nutzbarer Raum für z.B. FLINTA* oder BIPoC., sondern am ehesten für weiße Cis-Männer nutzbar. Wenn die irgendwo überwiegend auftauchen, sollte das hinterfragt werden. Kann unter Umständen nichts Gutes bedeuten.
Erst kürzlich gab es von dir auf der LÜGEN-Seite ein Statement zum Thema “zu wenig Frauenbands und Sexismus auf Festivals”, adressiert in Richtung “Just Boys Club” um Alex Schwers und das Ruhrpott Rodeo. Eine Ansage, die wichtig ist und das Thema sichtbar macht, aber unglaublich polarisiert. Was denkst du, warum es bei derart klaren Ansagen oft so viel Gegenwind gibt und die Debatten selten sachlich bleiben?
Die Ansage hat offensichtlich den Nagel auf den Kopf getroffen. Jedoch ging es gar nicht so sehr um zu wenig Frauenbands auf Festivals, sondern vor allem um das Frauenbild und den dort gelebten Sexismus. So eine Ansage tut vielen weh, zum einen, weil sie es sich in ihrer gemütlich eingefurzten Decke des „hier bin ich Punk/Mensch/Mann, hier darf ich es sein und stehe dennoch auf der richtigen Seite“ eingerichtet haben und nun aufgescheucht werden. Die haben halt keinen Bock sich zu reflektieren. Läuft doch für die. Wie verletzend Sexismus auf so einem Festival sein kann und wie schräg und teilweise unwürdig das Bild von Frauen (oder FLINTA*) ist, möchten viele halt nicht wahrhaben. Frauen wie Männer. Es gab viel Support und Solidarität auf den Artikel hin und es war interessant zu sehen, dass da einige wenige ganz viel herumagierten und die Artikel unsachlich und oftmals auch ohne sie gelesen zu haben, kritisierten. Es war uns aber auch vorher klar, dass das passiert. Wir wussten ja, wen wir da kritisieren. Der Artikel sollte auch nicht zu einem versöhnlichen Konsens mit diesen Leuten führen. Der sollte polarisieren. Wir haben es satt, Sachen die auf solchen Festivals passieren, so stehen zu lassen. Zu oft wurde das einfach so geschehen gelassen. Zu oft habe ich (und viele aus meinem Umfeld) Sexismus/Übergriffe am eigenen Leib erfahren. Überhaupt: Es gibt Typen, die uns beim Pissen auf Festival Toiletten filmen. Weiße Cis-Typen erklären, was Sexismus ist und was jetzt aber zu viel Aufregung wäre etc. Frauen und Männer sagen FLINTA*, dass sie zu emotional, falsch, übertrieben etc. sind. Und der Geist der hinter dem Ganzen steckt, hat sich doch in dem Stream des RPR (und einigen Reaktionen auf unsere Artikel hin) gezeigt: Das fängt bei einem Frauenbild an, das einfach nur noch nervt. Und wo ich keine Lust mehr habe drüber zu lachen. Sondern mir halt denke: Ja, das ist Teil des Problems. Da gibt es doch einen Zusammenhang verdammt nochmal. Und da ist das Ruhrpott Rodeo nur ein Beispiel. Aber eines, das mich betrifft, weil ich da mal gerne war. Und da war ich (waren wir) gern bereit uns den Zorn derer zuzuziehen, die denken, sie sind die Guten (weil sie z.B. gegen Nazis sind und es falsch finden Frauen zu schlagen oder so). Und Kritik, welche offenlegt, dass sie fehlerhaft sind und sie auffordert, sich selbst hinterfragen und vor allem: sie auffordert, von ihren Privilegien zurück zu treten, sie natürlich besonders hart trifft. Die, die denken, sie stehen ja schon auf der richtigen Seite, sind oft besonders hart davon getroffen, wenn mensch ihnen sagt, dass das nicht reicht. Die finden, dass dann ja wohl erstmal die, die noch schlimmer sind als sie selber, angegangen werden sollten. Das genügt aber nicht. Denn wenn ich einen Ort habe, der für mich Freiheit, Emanzipation und Alternativen bedeutet, dann habe ich dort keine Lust auf welche Form von Sexismus auch immer. Und dass das Ruhrpott Rodeo kein Ort der Emanzipation für alle ist, ist klar. Aber es hat Schnittmengen mit den Räumen, die es haben und da ist es wichtig zu sagen: Nope. Hier ist leider kein Ort, der Sexismus angemessen reflektiert. Bzw. wenn das wirklich angenommen wird, ist das Verständnis von Sexismus sehr verkürzt.
Klare Worte. Und was denkst du, wie sich die Position von Frauen im Musikbusiness in den letzten 10 Jahren generell verändert hat?
Ich kann nicht wirklich vom Musikbusiness sprechen. Die Szene, in der ich mich, wir uns bewegen ist eine kleine DIY Punk Szene. Da stehen politische Belange und was Alternatives außerhalb der etablierten Räume und Strukturen zu schaffen, mitunter im Vordergrund. Und mensch zahlt hier halt eher drauf, als dass es ein Geschäft für irgendwen ist. Für diese Szene kann ich sagen, dass ich den Eindruck habe, dass sich hier einiges tut. Es wird beim Organisieren von Konzerten mehr Wert daraufgelegt, wie so die Diversität der eingeladenen Bands eines Abends ist. Und dass Klischees nicht mehr so stark bedient werden (z.B. Frauen kochen das Bandessen und machen den Merch, Männer kümmern sich um Technik, Aufbau und Sound). Ich bemerke auch, dass immer mehr Frauen oder auch FLINTA* anfangen Instrumente zu spielen oder offen ihr Interesse bekunden, in einer Band zu singen/schreien. Aber es ist noch viel zu tun und es ist wichtig zu verstehen, dass das nicht bedeutet, dass hier keine Übergriffe und Sexismus passiert. Sondern auch hier reflektiert und offen für Kritik und Veränderungen zu bleiben. Denn inklusiv ist auch das alles längst noch nicht, sondern weiterhin ein alternativer Raum vor allem für heteronormative weiße Menschen.
Frauen und Technik – Du machst außerdem auch den Ton bei verschiedenen Veranstaltungen – ebenfalls eine männerdominierte Branche – fühlst du dich dort benachteiligt oder gibt es Ereignisse, an die du dich erinnerst, in denen du dich ungerecht behandelt gefühlt hast?
Benachteiligt fühle ich mich hier nicht. Eher manchmal etwas überfordert. Ich habe mir das zeigen lassen, weil mal für eine Demo jemand gefehlt hat der/die Ton machen kann. Und dann habe ich gesagt: Ja komm, bevor wir da keinen Ton haben, lerne ich das jetzt. Und ich lerne immer noch dazu. Inzwischen kann ich in verschiedenen Läden ganz guten Sound machen und es macht echt Spaß. Ist auch gar nicht so schwer. So die Grundlagen, die für ne Punk oder Hardcore Show in einer DIY Venue halt reichen. Ich hatte da schon einige schräge Erlebnisse, klar. Männer, die mir ungefragt Sachen erklären wollten („ich höre ja viel Musik…“) bis hin zu Band Dudes, die richtig unverschämt wurden, weil es halt nicht nach Rockpalast klang im kleinen Keller. Aber da habe ich gelernt denen halt den Mittelfinger zu zeigen und zu sagen: Wenn du MTV Unplugged willst, dann bist du hier falsch. Ich mache das ja unentgeltlich in meiner Freizeit und meist bin ich eh noch zusätzlich in die Konzert Orga involviert und die Bands pennen bei mir oder so. Und da zahle ich halt auch oft noch drauf. Aber die meisten Bands sind cool und nett und ich erlebe bei blöden Situationen immer Solidarität aus meinem Umfeld. Da sind viele froh, dass es überhaupt wer macht. Sonst würde halt vieles auch nicht stattfinden können. Und ich kann so auch außerhalb von LÜGEN-Touren mit netten Leuten saufen.
Du bezeichnest dich ja ganz offensichtlich als Feministin, oder? – Wie setzt du das in deinem Alltag um?
Na klar, was sonst? Feminismus bedeutet für mich in erster Linie das Streben nach Freiheit. Ein Ziel ist ja der Abbau von patriarchal geprägten Hierarchien (die letzten Endes den Kapitalismus aufrechterhalten) für ein Leben ohne stinkende, staubige und beschränkende Geschlechterstereotype und Rollenbilder. Es geht nicht darum eine Front (Frauen gegen Männer) aufzubauen, sondern alle Menschen gleichermaßen zu involvieren. Denn von den Einschränkungen durch sexistische, stereotypisierende Geschlechterrollen sind wir letzten Endes alle betroffen und in unseren Potenzialen beschränkt. Auch wenn einige hier privilegierter sind als andere. Feminismus ist jedoch nur in einem umfassenden Sinne solidarisch, wenn er intersektionell verstanden und gelebt wird. Das bedeutet anzuerkennen, dass es nicht nur um die Gleichstellung weißer Frauen geht und z.B. BIPoC oder Menschen mit Behinderungserfahrungen anders von Sexismus (in seiner Verschränkung mit Rassismus oder Ableismus) betroffen sein können. Sexismus ist im Übrigen das, was eine Person so erlebt. Und nicht das, was einer Person von anderen zugestanden wird als sexistisch erleben zu dürfen.
Du schreibst außerdem und trittst auch auf Lesungen auf. Worum geht es in deinen Texten?
Es geht um all die kleinen alltäglichen Ekelhaftigkeiten, die mir so begegnen. Es sind zynische oder sarkastische Kurzgeschichten, oft mit feministischen Themen, verpackt in Belletristik. Es geht in den Geschichten um Charaktere wie dich und mich. Und was die halt so tun, um z.B. gesellschaftliche Ungleichheiten zu reproduzieren, oft etwas überzeichnet dargestellt. Selbstverständlich immer mit einer überragenden politischen Botschaft dahinter;-)
Beim TRUST-Zine schreibst du ja auch noch. Wie bist du dahin gekommen und welche Themen behandelst du dort?
Ich habe Dolf (den Herausgeber) gefragt, ob ich was schreiben kann. Mein erster Artikel dort behandelte die Frage „How to suck less“ und später kamen noch Interviews mit Bands und ein langes Special über ethischen Konsum dazu. Ich schreibe außerdem noch Buch-Rezensionen. Neben dem TRUST schreibe ich aber auch noch in weiteren DIY Zines.
Cool, in welchen denn?
Mäd Mäm und Drachenmaedchen.
Thema Pandemie: Was hat Corona für dich und euch als Band verändert? Ist die “Zwangspause” Fluch und Segen zugleich? Was denkst du, wie es danach weitergeht?
Wir haben halt erstmal gar nicht mehr geprobt, dann haben wir das irgendwann wieder aufnehmen können und nun haben wir fast ein Album geschrieben. Naja, noch nicht ganz. Aber die Zwangspause hat der Kreativität ganz gut getan, denn wir haben gemerkt, dass wir doch etwas ausgelaugt waren. Wir waren die letzten Jahre immer sauviel unterwegs, da hat es uns mal ganz gut getan ne Weile auch andere Sachen (beruflich oder in der Freizeit) zu fokussieren. Aber jetzt wird es wieder Zeit. Ich vermisse das wahnsinnig. Wahrscheinlich kann ich vor dem nächsten Weekender zwei Nächte vor Aufregung nicht schlafen, und muss aufpassen mir auf der Bühne vor Lampenfieber nicht in den Mund zu kotzen.
Gibt es noch andere Projekte speziell für Frauen im Musikbusiness, die du unseren Leser*innen ans Herz legen möchtest?
Wie gesagt, im Musikbusiness kenn ich mich nicht aus, aber ansonsten z.B. Konzerte von Kollektiven wie das böse und gemein, Raccoons Darmstadt, Arsch und Frieda. Magazine wie das Missy Magazin (leider weniger Punk, dafür viel intersektioneller Feminismus) und an.schläge, überhaupt Zines (Okapi Riot, Radikarla*, Fe_Male Focus Fanzine, Brav_a, Mäd Mäm, Mantis Magazine) und Radiosendungen wie Klub Krach… Generell gilt: Support your local DIY scene!
Hast du für die Leser*innen noch eine Botschaft, die du hier gern mit auf den Weg geben möchtest oder etwas, was du sonst noch gern beantwortet hättest?
Egal wie oft etwas schon gesagt wurde, sag es trotzdem auf deine Weise. Lass dir nie erzählen du könntest etwas nicht, weil du zu viel/zu wenig „X hier irgendeinen kategorisierenden Bullshit einsetzen X“ bist.
Danke für Deine Fragen, es hat wirklich Spaß gemacht sie zu beantworten!
Danke dir Sabrina für die aufschlussreichen Worte!
Am Besten fragst du über die Band direkt mal an. Mit etwas Glück antwortet dir Sabrina sogar direkt.
Mega Interview. Echt empowernd. Danke, danke, danke.
Wo kann mensch denn die Texte von Sabrina finden, die sie auch bei Lesungen präsentiert? Würden mich sehr interessieren.