Vielleicht sollte es eine neue Rubrik unter den Vinylrubriken beim Keks geben, die sich “Sonntagsmusik” nennt. Denn Ghost Bag mit seinem neuen Album “Palindrome” bietet sich wunderbar an, um sich bei einem verregneten Sonntag nach einer vielleicht zu kurzen Nacht mit seinem Liebsten oder seiner Liebsten mit einem Heißgetränk unter einer kuscheligen Decke einzuigeln und dieser wundervollen Musik zu lauschen.
Ghost Bag ist das Alias des aus den Niederlanden stammenden Künstlers Nick Jongen, der “Palindrome” auf Adagio830 Records, dem Label mit der Kaffeekanne, herausgebracht hat. Zur Entstehung dieses Albums muss ich etwas ausholen, aber zum Glück nicht so weit.
Sein erstes Album als Ghost Bag brachte er 2018 zusammen mit Tine Fetz raus. Dieses Album war – entgegen des jetzigen – eine audiovisuelle Kooperation zwischen Nick und Tine. Tine bekam eine Einladung des Goethe-Instituts in Salvador de Bahia, um dort Projekte zu verwirklichen und brachte Nick mit. Die beiden verbrachten zwei Monate in einer Artist Residency, um an unterschiedlichen und neuen Projekten zu arbeiten. Nick hätte sogar die Chance gehabt, das Album in einem Theatersaal aufzunehmen. Er entschied sich jedoch für das örtliche Schlafzimmer, in dem er zwei Mikrofone und den aus Deutschland mitgebrachten Synthesizer aufstellte, noch eine gebrauchte Gitarre hinzunahm, die er in einem Gebrauchtwarenladen in Salvador besorgte, und mit dem was er vor Ort hatte die Lieder aufnahm. Geschrieben hat er das Album auch komplett in Bahia. Das Mixing von “Palindrome” erfolgte in seiner niederländischen Heimat Maastricht. Das Mastering erfolgte im Anschluss bei Christian Betghe in Mannheim.
Selbst in dem Video der Bis Aufs Messer-Sessions, in denen er im Januar zu Gast war, berührt er mit seinem Slowcore-Gitarrenspiel und seinem reduzierten Gesang. Live finde ich ihn sogar einen Ticken besser als auf Vinyl, auch wenn er auf Platte irgendwie auch “live” singt. Ihr könnt euch ja auch selbst überzeugen, ob euch die Live-Version oder die Vinyl-Version besser gefällt.
Nick reflektiert über die Vergangenheit, die Gegenwart und macht sich Gedanken über seine Zukunft. Er beschwört plätschernde Wolken von Gitarrentexturen herauf, die vom feinen Fingerpicking unterbrochen werden und den Hintergrund für seinen ätherischen Gesang bilden, während in der Ferne Synthies wie ein Vulkan blubbern. Er selbst sagt über sich und sein Album: “Diese Platte zu machen war existentiell, schmerzhaft und existenziell schmerzhaft. Nach meiner Rückkehr nach Europa verfolgte es mich noch über ein Jahr lang. Jetzt habe ich mich scheinbar damit abgefunden und stelle es jedem zur Verfügung, der bereit ist zuzuhören.”
Das Vinyl zu “Palindrome” ist übrigens nur single-sided. Alle Songs finden auf einer Seite Platz, was irgendwie etwas Gutes an sich hat, denn so muss man nicht immer wieder zwischendurch aufstehen und die Plattenseite wechseln. Andererseits verpufft das, was man an dem physischen Medium Vinyl gut findet. Eben dieses in die Hand zu nehmen, es zu fühlen, in der Hand zu drehen, wieder auf den Plattenteller zu legen. Das ist ja das, was das Vinyl ausmacht. Aber sehen wir das mal als Luxusproblem.
Nick, oder auch Ghost Bag, ist tatsächlich ein herausragender Künstler, der es verdient hat, viel mehr Aufmerksamkeit zu bekommen. Wer also die Chance, hat ihn live zu erleben, der sollte gerne eines seiner Konzerte besuchen. Und wer keinen Bock auf Konzerte hat, unterstützt ihn mit dem Kauf eines physischen Tonträgers. Das Vinyl gibt es, je nach Quelle, in einer hunderter Auflage in Gelb und in einer zweihunderter Auflage in Schwarz! Und zwar hier und hier oder hier!