Mit Black Flag hat er einst Musikgeschichte geschrieben, über seine weiteren musikalischen Aktivitäten zanken sich die Gelehrten. Mit seiner Spoken Word-Show ist er unschlagbar. Die Rede ist – und der Superlativ der lebenden Legende mag hier bitte, bitte erlaubt sein – na klar, von Henry Rollins.
Dieser gastierte am 12.03. im Ludwigsburger Scala. Überbegrifflich ein Ort für Kultur, bietet das Scala schön flauschige Kinosessel, in die man sich reinkuscheln kann. Es ist schließlich Sonntagabend, ab morgen beginnt die Elternzeit, da wollen wir uns doch nicht kurz vorher noch nen Bandscheibenvorfall oder sonst nen Quatsch wegen unzumutbarer Sitzmöbel zuziehen. Außerdem macht mir der nette Herr neben mir ein wenig Angst. Er sei heute das fünfte Mal bei Henry Rollins und beim letzten Mal habe dieser dreieinhalb Stunden performed. Performed, guter Mann! Das klingt wohl eher nach Barbarei. Bei aller Liebe, aber ich bekomme es mit der Angst zu tun. 3,5 Stunden Gelaber! Und dann auch noch auf Englisch! Grundgütiger, worauf hab ich mich da bloß eingelassen. Angstperlen auf meiner Stirn und ich will hier raus. Aber halt, der durchaus stolze Preis von 37,50€ im VVK. Nee, der Riedinger ist zu schwäbisch um jetzt noch nen Rückzieher zu machen. Da muss er jetzt durch.
Pünktlich wie die Maurer – jawoll, der Herr Rollins wird in unmittelbarer Zukunft mehrmals betonen, dass er ein working class hero sei – hüpft er dann auf die Bühne. Und gleich blablabla. Ohne Punkt und Komma. Ich höre aber raus, er wolle uns alle heute nicht allzu lange belästigen. Schließlich sei ja Sonntag und sicherlich müsse man morgen früh raus wegen Maloche, Schulbank, Arbeitsamt oder whatever. Puh, so viele gute Nachrichten gleich zu Beginn. Ich kann mich wieder bisschen lockerer machen und verkrieche mich im Kinosessel. Zur Not: Homer Simpson-Brille auf und später dann angeben mit “ich war dabei”.
Ha, aber Pustekuchen. Was in den nächsten zweieinhalb Stunden kommen wird, reizt meine Lachmuskeln bis auf’s äußerste, zieht mich in den Bann, so dass ich alles um mich herum vergesse und ringt mir große Ehrfurcht ab vor diesem 62jährigen Mann, der scheinbar alles erlebt hat, und gegenüber dem ich mir dennoch schon so uralt vorkomme. Das pure Leben. Ein Energiebündel und großer Performer, der trotz sichtbarem Elektrolyteverlust während der kompletten Show nicht einen Tropfen Wasser zu sich nehmen muss. Aber nicht doch etwa, weil er halb Maschine, die er irgendwie zu sein scheint, kein Wasser braucht. Nein, nein. Vielmehr habe ich den Eindruck, er lebt so sehr für das, was er da tut, setzt alles an Adrenalin und Endorphin frei, was sein beeindruckender Körper abrufen kann – und will seine kostbare Zeit auf der Bühne nicht mit so was belanglosem wie dem Trinken vergeuden. Schließlich götzt das Publikum nach seinen Worten, nicht nach seinen Taten.
Nochmal zum netten Herrn von vorhin. Der meinte ja, er habe noch nie zweimal das gleiche von Henry Rollins gehört. Klar, sicherlich hat der Sir Henry einen reichhaltigen Fundus an Stories für mindestens 50 Shows auf Lager. Dass er sich aber tatsächlich die Mühe macht, das Rad stets neu zu erfinden, das finde ich absolut bemerkenswert. Er wäre definitiv nicht der Erste, der jahrelang die gleiche Show abzieht, um trotzdem immer wieder vor den gleichen Nasen aufzutreten.
Heute jedenfalls scheint er sich mehr auf private Anekdoten, denn als auf lustige Selbstmordkommandogeschichten mit Black Flag zu konzentrieren. Aber klar, trotzdem fällt der Name der Band mit den vier ikonischen Balken immer wieder mal. Genauso wie auch die Namen anderer legendärer Freunde und Bands wie Minor Threat, Ian McKaye oder den Minutemen. Dennoch: unschlagbar gut ist die Geschichte der Asche seiner Mutter, auf die sich, in weiße Biobeutelchen verpackt, die Enten in Washington D.C. gestürzt haben, nachdem die Familie Rollins diese im Teich versenken wollten. Oder auch der psychotische Finne, dessen Stimme im Kopf ihm gesagt habe, er müsse nun von Helsinki nach L.A. reisen, um dort einem gewissen Herrn Rollins das Mobiliar zu zerdeppern. Herrlich und hanebüchen – und trotzdem so, wie es nur das Leben schreiben kann. Zumindest das Leben einer Musiklegende.
Und eben eine solche versteht es auch, wie man ein Mikrofon anständig bedient. Durch verschiedene Abstände, Winkel, Sinus-, vielleicht auch Cosinuskurven und dergleichen, erzeugt Henry Rollins eine Dynamik von laut/leise, eine Dynamik von Spaß und Ernst wie ich sie von Mensch alleine auf Bühne mit Mikro als Arbeitsgerät noch nie erlebt habe. Ein wahrer Künstler, ein großer Entertainer, ein noch großartigerer Abend und so ziemlich genau um 22:30 Uhr bin ich dann schon ein bisschen sauer mit dem Herrn Rollins, dass er uns ausgerechnet heute nur ein kurzes Set bieten will!