Einen an der Waffel oder noch ganz knusper? Aber immer noch kein Stück weise!
Was war das denn! Der erste Song auf dem Album „Vida en Color“ der hannoveraner Ska-Punk-Band Wisecräcker hinterlässt bei mir ein riesengroßes Fragezeichen. Hier wird sich scherzhaft und fröhlich ausgelassen über eine Erkrankung?! Eine, die durchaus einen GDB (Grad der Behinderung) erreichen kann in schweren Fällen. Für Betroffene und deren Familien ist das dann oftmals kein Spaziergang, sondern kann die Auseinandersetzung mit Ausgrenzung, Stigmatisierung, Diskriminierung und Medikation im Alltag bedeuten. Das Wortspiel im Titel „Ska-DHS“ ist bezogen auf ADHS. Wisecräcker greift damit ganz tief in die Grabbelkiste mit den Wortgag-Sonderposten. Das taten sie schon auf ihrem Debütalbum beim Songtitel „Final Cunt-Down“ (Cunt = engl. F*tze). Das war damals für die Coverversion des Songs „Final Countdown“ von Europe. Sexismus und Ableismus gehen gut zusammen. Bäh!
Ableism and Sexism in Punk? Andere Punkbands mögen das auch bedienen. Wen überrascht’s: Die Art des Songs erinnert mich vom Stil her an das auf lustig gemachte Liedchen „Mongo mit der Bongo“ von den Kassierern. Auf den ersten Blick fällt die Behindertenfeindlichkeit kaum auf, war doch gar nicht so gemeint, oder? Doch, war so gemeint. Ich analysiere das gerne mal am genannten Beispielsong der Kassierer, den einige für genial gesellschaftskritisch halten. Der Song geht um einen arglosen Jungen, der den ganzen Tag nur Bongo spielt und Torte isst. Sein ganzes Lebensglück liegt in einem Tortenstück. Wäre die ganze Welt so naiv wie er, gäbe es keine Kriege mehr. So weit, so gut.
Ich habe absichtlich weggelassen, dass der Junge Trisomie 21 hat, auch bekannt als Down-Syndrom. Diese Eigenschaft macht auf einer rein logischen Grundlage nämlich erstmal gar keinen Sinn. Denn um ein harmloser, tortenessender Bongospieler zu sein, braucht der Junge im Song nicht zwingend diese Genvarianz zu haben. Auch andere Menschen können komplett ahnungslos und naiv sein. Selbstverständlich gibt es demgegenüber Menschen mit Trisomie 21, die Abitur gemacht, studiert haben und in einem anspruchsvollen Beruf arbeiten. Alle Menschen können fies, aggressiv, nett, kriegerisch, militaristisch, pazifistisch, friedliebend, whatever sein, sowohl mit als auch ohne Trisomie 21.
Es ist also logischerweise wirklich nicht zwingend nötig, einen Gemütszustand, der auch ohne diese Behinderung erreicht und erklärt werden kann, mit einem Wortspiel oder einem simplen Reim auf Behinderte zu umschreiben. Reines Stigma. Warum ist es also so wichtig, dass er ein Mongo ist? Mit dem Wort Mongo wird die im einfältigen Reim auf Mongo / Bongo abzubilden versuchte Einfachheit des Gemüts boshaft gesteigert durch ein Schimpfwort. Mongo ist eine Beleidigung für Menschen mit Trisomie 21, das wissen alle, das weiß selbst Wikipedia. Mongo ist aber auch allgemein ein behindertenfeindliches Schimpfwort aus der Umgangssprache, genauso wie Spast.
Ende vom Lied: Die Gesellschaft sollte wahrscheinlich mit den Lyrics geschmäht werden durch den Vergleich mit einem Mongo (abgewertete Person). Denn selbst ein Mongo hat es im Endeffekt, ohne sich überhaupt anzustrengen, mehr drauf und ist besser.
Gesellschaftskritik gemeistert, oder? Leider nein.
Der Song ist genau durch diesen Move mit dem herabgewürdigten behinderten Jungen nicht dabei, die Gesellschaft zu kritisieren, sondern reproduziert gesellschaftliche Probleme! Der Song ist nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Und zwar durch die Vertiefung und Zementierung von Vorurteilen, toxischer Stereotypisierung und Abwertung von Behinderten. Es mündet in die sinnlose, diskriminierende Vorführung marginalisierter Gruppen zur Belustigung.
Und das ist das Stichwort für Ska-DHS. Genau in diese Kerbe hauen Wisecräcker mit Ska-DHS nämlich ebenfalls. Der spaßige Vergleich mit einer gesicherten Erkrankung und möglichen Behinderung. Auf der einen Seite steht die wenig erstrebenswerte reale ADHS-Person auf Ritalin, die leider nur eine Behandlung vom Standardarzt bekommt. Auf der anderen Seite die coole Person mit „Ska-DHS“, Alkohol und Frau Doktor am Start. Das Featuring von Frau Doktor unterstreicht das Wortspiel mit dem Bandnamen fett. Der übertrieben verstört aussehende Typ auf dem Single-Coverbild bringt es auf die visuelle Ebene.
Aber was genau soll so ein Humor jetzt eigentlich für einen Gewinn bringen und für wen?
Der Effekt dahinter ist ganz einfach gestrickt, das Rezept dazu uralt.
Witze auf Kosten anderer im Abwärtsvergleich rufen ein Gefühl der freudevollen und lustvollen Überlegenheit hervor, was dann zu einer psychischen Entlastungssituation führt: „Ahhh – Wie gut, dass es mir besser geht als denen da! Wie gut, dass ich was besseres bin, als die oder der da!“ Solche Witze sind eine leichtgemachte Selbstaufwertung auf unmoralische Art, die in diesem Fall von Ableismus geprägt sind.
Ach komm schon, ist es denn wirklich so schlimm uncool mal paar ableistische Witze rauszuhauen? Tja, Ableismus ist nicht neu. In Konzentrationslagern wurden zu tausenden Menschen mit Krankheiten und Behinderungen inhaftiert und durch den „Euthanasie“-Erlass von 1939 ermordet. Ableismus ganz allgemein auf dem Schirm zu haben, empfehle ich denjenigen definitiv, die gegen Nazis sind. Aber zum Beispiel auch denjenigen, die Diversität fordern.
Wisecräcker sind gegen Nazis, das steht auf ihrem Profilzettel. Das ist schön, bravo.
Die Band liefert Beweise und covert auch auf diesem Album wieder. Und zwar das jiddische Lied „Dana Dana“ oder „Das Kelbl“ von Sholom Secunda und Aaron Zeitlin aus dem Jahr 1940, das den Holocaust bearbeitet. Hier als Version „Donna, Donna“ gecovert, welche bekannt durch Joan Baez ist.
Zum Songinhalt: Ein trauervoll dreinblickendes Kalb wird darin vom Bauern zum Markt bzw. zur Schlachtbank geführt. Das Kalb steht dabei für die Deportierten, der Bauer für die Handlanger des Regimes. Dies Unrecht geschieht dem Kalb nur, weil es als Kalb geboren wurde. Dafür kann es weder etwas, noch kann es etwas daran ändern. Es ist und bleibt schlicht ein Kalb und das Schicksal eines Kalbes ist es, geschlachtet zu werden. Eine Schwalbe fliegt über den Bauern und das Kalb hinweg und verkörpert die freie Seele, die freien Gedanken oder die Freiheit an sich. Den Wind kümmert dies alles nicht, er lacht und wirbelt weiter. So, wie die Menschen, die die Gräueltaten einst alle nicht bemerkt haben wollten.
„Donna, Donna“ lässt sich genauso auf die Bevölkerungsgruppe mit Behinderung, wie auf andere vom Holocaust betroffene Bevölkerungsgruppen übertragen. Und mal im Ernst, über diese Gruppen würde jemand korrektes auch keine Witze mit Abwärtsgefälle machen.
Die Textpassage von „Donna, Donna“: „How the winds are laughing, they laugh with all their might,“ klingt da schon sehr zynisch auf einem Album mit ableistischem Text.
Ich persönlich denke, Erkrankung und Behinderung sind Themen, die wirklich nur grandios veralbert werden von Betroffenen selbst oder von Außenstehenden mit genügend emphatischer Sensibilität. Humor kann manchmal auch aufwertend sein oder eine soziale Komponente haben. Nichts von all dem gelingt aber den Scherzkeksen (engl. „Wisecracker“) hier. Für eine Band, die ich ansonsten einschätze, als wenn sie links und solidarisch zu sein versucht, ist dieser Song ein fetter Fettnapf, so groß wie eine Fritteuse.
Keine gute Werbung für Wisecräcker. Finger weg von ableistischen Narrativen.
Ende Gelände schon nach Song 1. Es gibt keinen Grund, warum ich weitergehen und mich mit diesem Album noch beschäftigen sollte. Und wer schon gleich mit einem Song wie „Muckerpolizei“ um die Ecke kommt, wie Wisecräcker beim Debütalbum, der weiß wahrscheinlich schon ganz genau, wo bewusst Grenzüberschreitungen passieren.
Für mich ist hiermit das eigentliche Review schon beendet, bevor es begonnen hat. Der Grund: Ich gehöre zu den Menschen, die sich Bands eher ungern anhören mögen, deren Texte oder Attitüde sie persönlich total daneben finden. Kann ich einfach nicht trennen, manche können das ja. Ich nicht. Danke nein, da lasse ich die Mucke weg und mache Tabula Rasa.
Durch die MusInklusion-Reihe ist Vinylkeks besonders sensibilisiert auf Alltags-Ableismus. Es ist für mich daher ein persönliches Anliegen, an dieser Stelle auf dieses Thema hinzuweisen. Selbstverständlich gehe ich darum tiefer auf die diskriminierenden Mechanismen ein und analysiere auch bewusst einen weiteren ableistischen Song einer anderen Band, um zu verdeutlichen, was Ableismus eigentlich ist und wo er uns unter dem Deckmäntelchen von Ska und Punk begegnet.
Mein Vorschlag:
„Reichweite nutzen für ein Zeichen gegen Ableismus. Werdet aus Fehlern klug, jetzt wo ihr frisch frittiert und hoffentlich lecker knusprig seid, ihr Kräcker.“
Wäre ne Chance.