Die aus Wuppertal stammende Hardcore-Punk Band Alienate! hat kürzlich ihr Debüt Album “… they said “no Future”” veröffentlicht und sorgt mit diesem für eine wütende Stimmung. Warum Alienate! gerade in der jetzigen Zeit dieses Album veröffentlicht und wie es entstanden ist, könnt ihr im Interview nachlesen. Viel Spaß.
Hallo ihr,
ich hoffe, ihr konntet eure ja doch recht kurzfristige Album Veröffentlichung in einem schönen Rahmen feiern?
Moin Nico,
Le: Endlich ist das Zeug draußen! Nun ist das unsere erste große Veröffentlichung und wie erwartet wurde das zeitlich nicht ganz alles so wird wie wir uns das mal dachten. Die Platten kamen etwa eine Woche nach unserem geplanten Release-Datum ausgerechnet an Farins Geburtstag an. Am Tag danach haben wir uns einen reingestellt. Eine richtige Feier gab es bislang nicht. Wir hätten gerne selbst eine Show organisiert, doch guten Gewissens ist das momentan wegen Corona für uns nicht nach unseren Vorstellungen möglich. Letztes Wochenende haben wir zu zweit ein bisschen was in Leipzig gemacht. Da konnten wir das erste Mal live eine Platte, bzw. überhaupt einen Tonträger anbieten. Das war schon was, immerhin haben wir das schon im Frühjahr 2019 angekündigt. Bald kommt noch ein Mini-Gig in Wuppi, der einer Release Party nahe kommen könnte. Wir haben schon richtig Bock. Gut, dass wir dich damit überraschen konnten! Kurzfristig war das alles für uns nämlich wirklich nicht.
Was erwartet uns auf eurem neuen Album “… They Said “No Future”?
Das ist eine gute Frage! Wir stecken da voll drin, also mal schauen wie wir das anderen grob beschreiben würden.
Das sind 12 Songs, die alle nach vorne gehen, ohne zu krustig oder zu Deutschpunk zu werden. Die Musik ist Riff-lastig und angepisst, wir haben glaube ich viele verschiedene Stile einfließen lassen, ohne das vorher geplant zu haben. Zwei bis vier Songs haben wir schon auf unserm ersten Konzert 2013 mehr oder weniger in diesen Versionen gezockt, andere sind Anfang letzten Jahres, teilweise erst im Studio fertig geworden. Das Album gibt also einiges davon wieder, was in den letzten Jahren musikalisch und kopfmäßig bei uns abging. Wir haben einen engagierten und emanzipatorischen Anspruch, du findest aber keine fertige Antworten bei uns. Die meisten Songs sind unangenehm, geben keine Sicherheit und irritieren.
Wo habt ihr die Inspirationen für die Songs her geholt? Was waren ausschlaggebende Impulse für das Album?
LeoLicious: Musik machen ist das Geilste für uns, deswegen ist es ein persönliches Ziel gewesen, ein eigenes Album rauszubringen. Zusammen zu zocken gibt uns Power und wir steigern uns gerne dabei richtig rein. Farin spielt nen dicken Beat, ich nen Akkord oder mache irgendwelche Sounds woraus LeoLicious dann nen treibenden Basslauf zieht, ich ein Riff dazu mache, Farin noch was dickeres spielt und immer so weiter. Manche Parts entstehen aus Jams, die dann in klare Songs umgesetzt werden. Das funktioniert aber auch zu Hause alleine mit ner Gitarre oder am PC und so kommt manchmal jemand direkt mit ner fertigen Struktur um die Ecke. Dann fehlt meistens nur noch ein passender Text.
Le: Die Inspirationen für die Texte kommen vielfach von Themen, die uns in der Gesellschaft auffallen und uns aufregen. Auch eher in sich gekehrte Texte kommen vor, bei denen der Psycho-Gedanken-Wulst aus Melancholie und Leere rausgekreischt wird. Manchmal sogar beides zusammen. Plötzlich war, weil ich ein Foto gesehen hatte, die Zeile “Die Häuser schreien” in meinem Kopf. Daraus ist dann so ein scheeler, gleichzeitig kritischer Text geworden.
Bei dem Mask-Ausraster kam LeoLicious mit nem fast fertigen Instrumental an und Jahre später hatten wir dann nen Text, der von Walter Benjamins Worten zu Paul Klees Engel der Geschichte geprägt ist. Da versuchen wir mal wieder die Wut über die Lobreden auf unsere vermeintlichen zivilisatorischen Errungenschaften auszudrücken. Neoliberale Ellenbogengesellschaft, Festung Europa, rabiater Kapitalismus auf der ganzen Welt. Die Krise, die nicht erst seit Corona stattfindet soll jetzt Dauerzustand sein? So viele Menschen werden unterdrückt, niemand ist frei und ich will auch nicht losgelöst davon Musik machen. Da ist auch unsere verkommene mediale Auseinandersetzung, bei der sich fast alle für Expert*Innen halten, gleichzeitig werden andere oft als naiv oder dumm angesehen. Auch wir sind davon nicht frei und befinden uns in unserer eigenen informativen Blase.
Szenekritik findet wie der Albumtitel erwarten lässt auch statt. Die wärmeren Tracks sind Shelter und No Life.
LeoLicious: Musikalisch sind wir natürlich von verschiedenen, meist härteren Punkstilen beeinflusst, auch von 80er und 90er HC und Thrash. Direkt von anderen Bands inspirierte Mukke haben wir nicht, mit Ausnahme von Drown. Der ist tatsächlich von Rise Against und The Unseen geprägt, auch wenn Rise Against da nicht wirklich zu rauszuhören ist. Aus Einflüssen ein eigenes Ding zu machen ist auch viel “befriedigender”, als stumpf Ideen zu klauen. Aber unterbewusste Einflüsse sind sicherlich nicht zu vermeiden.
Wie seid ihr denn auf das tolle, noch recht junge Label “Schädelbruch Records” aufmerksam geworden und wie kam es zur Zusammenarbeit?
LeoLicious: Ich hab auf ‘nem Konzert in der Baracke in Münster spontan den Mischer vertreten und die einzige Band die noch dran war, war Disgusting News. Die kannte ich vorher nicht, aber die haben mich an dem Abend echt überzeugt! Und durch das übliche Social Media Ding hab ich dann auch schnell erfahren, dass Bandmitglied Patrick ein eigenes Label betreibt. Als wir uns überlegt haben, welche Labels wir für unser Release anschreiben wollen, ist mir Schädelbruch direkt eingefallen. Patrick war übrigens der erste, der positiv auf unsere Anfrage geantwortet hat. Danach hat es schnell zwischen uns gefunkt.
Wie schaut es denn bei euch in Münster aktuell mit der Kulturlandschaft und Bands aus?
Le: Wenn du das passende Geld hast, kannst du hier ganz viel machen! Profitinteressen bestimmen das Stadtbild und sämtliche Gebäude und Brachflächen werden dafür nutzbar gemacht. Kleine selbstverwaltete Laden- Wohn- und Kulturprojekte kommen da nur schwer gegen an. Das ist erstmal leider nichts besonderes, aber Investoren fühlen sich in Münster, wo die Leute sich in der Spießigkeit gerne noch überbieten, echt pudelwohl.
Dabei haben hier echt viele Leute Bock auf DIY-Geschichten und es wird auch viel gestartet, obwohl es viel zu eng ist und die Mieten steigen. Die Musikszene ist riesig und macht Spaß. Es gibt viele Bands in allen möglichen Genres. Ich wundere mich manchmal, “Was, die kannte ich noch gar nicht?!” Es passiert viel in den hunderten von Proberäumen und Musikkellern.
LeoLicious: Es geht viel Geballer, HC, Deutschpunk und auch Emo. Unsere Art von Punk scheint es hier irgendwie nicht so oft zu geben. Letztes Jahr wurden wir zu nem Toxoplasma Konzert dazugeholt, weil es musikalisch wohl am besten passte. Das war geil!
Le: Es gibt auch gute Hip Hop Acts. Da müssen wir gerade mal unseren Freund Matasten loben. Er hat sich den Wunsch erfüllt, mal einen Hardcore-Text zu schreiben, den wir dann benutzen durften. Daraus ist dann aber leider die Moped-Rock-Ballade Bottle for Bottle ohne Breakdown mit Two-Step-Einladung geworden.
LeoLicious: Dazu gibt’s viele gute Konzertgruppen. Vor Corona konnten wir fast täglich auf Konzerte gehen. Hätten wir es mal gemacht! Im Moment fehlt das total. Ansonsten: Scheiß Goa!
Denkt ihr, das wird sich alles erholen und Münster wieder zu einer Punkrock City werden? (Pro / Contra bitte)
LeoLicious: Ich persönlich würde mir mehr Punk wünschen, der weder seicht noch voll auf’s Maul ist, das fehlt hier ein bisschen. Ansonsten muss nur darauf geachtet werden, die Teenager-Generation nicht durch Gatekeeper Verhalten zu vergraulen. Vielleicht noch ein Nietenkaiser-Revival anstoßen, dann steht dem Ganzen nichts mehr im Weg.
Le: Wenn erstmal der Knast an der Gartenstraße besetzt und der Kapitalismus abgeschafft ist, kann sich erholt werden!
Was habt ihr für Pläne in naher und ferner Zukunft?
Le: Demnächst wollen wir in Wuppertal vor einer Hand voll Menschen eine kleine Release Show machen. Wir sind wieder am Songs schreiben und wollen mit dem Rausbringen nicht wieder so lange warten. Jetzt wissen wir ja ungefähr, wie es geht. Ansonsten müssen wir dringend mehr mit den Trashgeflüsters rumhängen.
Sammelt der ein oder andere bei euch in der Band Vinyl? Wenn ja, was sind die Heiligtümer?
LeoLicious: Hall & Oates – Out of Touch
Le: JJ Cale – Okie Okie
Farin: Die Ärzte – zu schön um wahr zu sein 7″ von 83
Kurz vor Schluss noch eine kleine Tagesfestival Zusammenstellung von euch bitte. Wer soll alles spielen und warum genau diese Bands?
Schwache Nerven kommen mit ihrer Soundwand, an die ich mich wegen dem ganzen Tee in Bielefeld viel zu wenig erinnern kann.
Schlimm geben uns danach wie in Neubrandenburg was vor die Mappe.
Youth Deprivation, weil die Demo sowas von heftig geworden ist.
Trashgeflüster bringen uns dann wieder zu den wirklich wichtigen Dingen des Lebens zurück.
Disgusting News müssen live dringend mal wieder ausrasten.
Gewaltbereit zerstören dann alles was sich noch an Sauerkrautmoral versteckt haben könnte.
Shopping aus London müssen live einfach der Knaller überhaupt sein.
Frustration weil tanzen Spaß macht.
Holly Hunt steigern sich zu zweit mit ihren Instrumentals unglaublich rein.
Depravation kommen danach mit ihrer Dampfwalze vorbei.
ill! dann mit dem kompletten Live-Abriss.
The Virus ist seit Ewigkeiten eine unserer Lieblingbands. Wäre geil die mal live zu sehen.
Wollt ihr unseren Leserinnen und Lesern noch was ans Herz legen?
Ne, ist ok so!
Mehr zur Band gibt es hier: https://alienate.bandcamp.com/