Sorry liebe Jule, aber da hast du mir einen ganz schönen Brocken hingeworfen mit deiner EP „Im Regio weinen“. „Aus Hamburg“ hieß es aus der Redaktion, “auf Zeitstrafe“. Da hebe ich doch auf jeden Fall die Hand, her damit, meine Postleitzahl lautet nicht umsonst 22395.
Mit „Alles wie immer“ geht es auch noch ganz harmlos los, ein scheinbar einfaches Liebeslied mit einer schön verzerrten Gitarre. Wunderbar. Wobei: Die Zeile „…doch zu meinem Glück fällt mir aufstehen schwer“ gegen Ende fällt schon auf und gibt einen kurzen Hinweis darauf, in welche Richtung die Reise thematisch geht. Und der zweite Song trifft dann auch sofort ins Mark. Unsicherheit, Angst, Selbstzweifel. „Nähe und Distanz“ weckt bei mir sofort ein tiefes Mitgefühl mit der Protagonistin, die hin- und hergerissen scheint zwischen wollen und nicht können, Nähe suchend und abweisend zugleich. Bevor die Verzweiflung zu groß wird, sorgt „Ganz leicht“ für eine kurze Atempause. In knackigen zwei Minuten setzt sich Jule hier mit dem Pro und Contra von Anti-Depressiva auseinander – Ende offen.
„Ich bekomme keine Luft“ verklausuliert dann einfach gar nichts mehr. Jule hat Angst vor allem: Aufstehen, Rausgehen, Unterhaltungen, Bahnfahren, Jobverlust. Die Hörer*innen werden hier nicht durch liebevolle Umschreibungen schlimmer Gemütszustände geschont, sondern direkt im Nervenzentrum getroffen. Das kann Kunst in ihren besten Momenten und wie oben schon erwähnt, will man Jule die ganze Zeit anrufen und fragen, ob es ihr gerade gut geht.
Untermauert wird die Intensität der Texte durch die reduzierte musikalische Begleitung. Gitarre only, teils mit zartem Picking, teils mit einer ordentliche Portion Geschrammel, wie in „Egal“ zum Beispiel.
Auch wenn die Gleichgültigkeit hier wohl nur gespielt wird, ist der Track fast erholsam, bevor es mit „Bis zu Erschöpfung“ wieder ganz nach unten geht, zumindest emotional. Sogar über die Erschöpfung hinaus, bis ganz am Ende, trotz vieler Kämpfe mit sich selbst und zahlreicher Therapieversuche dann doch das Aufgeben steht. Puh, harter Tobak das alles.
Eine trotzdem ganz wunderbare, weil berührende EP, die, in diesem Fall vielleicht sogar glücklicherweise, nur 20 Minuten lang ist, denn länger halte zumindest ich diese deprimierende Authentizität auch nicht aus.
Und das schaffen wirklich nur ganz wenig Künstler*innen wirklich, oder?
Die natürlich schlicht in schwarz gehaltene Vinyl könnt ihr euch hier im Zeitstrafe-Shop bestellen und auf Tour seht ihr Jule diese Jahr noch in folgenden Städten:
02.10.24 Osnabrück, Kleine Freiheit (Support Captain Planet)
14.10.24 Hamburg, Hafenklang (Support Catbite)
22.10.24 CH-Zürich, Komplex 457 (Support Frank Turner)
23.10.24 CH-Bern, Bierhübeli (Support Frank Turner)
01.11.24 Rostock, MAU Club (Support Madsen)
02.11.24 Osnabrück, Botschaft (Support Madsen)