Was für ein Abend, was für Eindrücke.
Am 27.01.2023 war in Zwickau eine Demonstration für das stille Gedenken an die Opfer des Nationalismus angesetzt, aber damit nicht genug. Ab 17 Uhr hat das alte Gasometer in Zwickau zu einem Abend unter dem großen Banner ”Kein Bock auf Nazis” geladen und da ich da wirklich so gar kein Bock drauf habe bin ich mit ein paar Freunden nach Zwickau gepilgert um Teil davon zu werden.
Der Fahrplan für den Abend stand fest: Ab 17 Uhr Eröffnung der Ausstellung Bruch:Stücke, ab 18 Uhr war eine Lesung/Podiumsdiskussion geplant mit dem Thema ”Ach, liebes Sachsen… Was wir dir schon immer mal sagen wollten” geplant in der sowohl Sebastian Krumbiegel als auch Jakob Springfeld aus ihren Büchern vorlesen sollten und ab 20 Uhr das Konzert mit 100 Kilo Herz, The Offenders, SOKO LINX sowie Brechraitz. Straffes und spannendes Programm, also rein ins Auto und ab dafür.
Nach der Ankunft herrschte direkt erstmal kurze Ernüchterung, denn der Raum in dem die Podiumsdiskussion sowie Lesung stattfinden sollte, war bereits vor Beginn mehr als gut gefüllt und einen Platz zu bekommen unmöglich. Aber alles nicht so wild, so haben wir uns in den Vorraum gestellt und dort wenigstens den Worten von Sebastian Krumbiegel und Jakob Springfeld gelauscht. Was da so erzählt wurde konnte man als jemand der in der sächsischen Provinz aufgewachsen ist sehr gut nachvollziehen und ich kann jedem hier nur empfehlen sich die Bücher Courage zeigen von Sebastian Krumbiegel sowie Unter Nazis von Jakob Springfeld zuzulegen. Die 2 haben viel zu erzählen und gerade Sebastian Krumbiegel, den ich bis dahin nur als Sänger für die Prinzen wahrgenommen habe, hat mir sehr imponiert. Die Stimmung war sehr bedrückend als die beiden so von ihren Erfahrungen mit rechtem Abschaum gesprochen haben.
Die Stimmung wurde für mich noch unterstrichen als ich mich nach einiger Zeit der Ausstellung Bruch:Stücke gewidmet habe die sich thematisch mit den Novemberpogromen 1938 in Sachsen auseinandergesetzt hat. Wir alle wissen um die Geschichte und wir alle tragen Verantwortung dafür, dass sich diese Geschichte nicht wiederholt. Das Gefühl, wenn man da von Menschen/Taten oder mutigen Menschen die sich dem NS-Regime entgegengestellt haben liest die quasi aus dem Nachbarort kamen, lässt sich für mich nicht in Worten zusammenfassen. Für eine sonderliche Vorfreude auf eine Party in Form eines Konzertes hat es jedenfalls nicht gesorgt.
Dann ging es in den Konzertraum, anfänglich empfand ich es als etwas geschmacklos an so einem geschichtsträchtigen Tag eine Party in dem Ausmaß zu veranstalten, nach einiger Überlegung empfand ich es aber auch als befreiend, als eine Art Ventil um die jetzt aufgestaute negative Energie in etwas positives umzupolen und so begann der Konzertabend mit Brechraitz. Die Jungs aus Jena waren mir seit ihrem Release Schwarzes Gold (hier! geht’s zum Review) ein treuer musikalischer Begleiter und wie schon zum Contra Bash 2022 wussten sie auch wieder live zu überzeugen! Der perfekte Auftakt in den Abend. Spätestens mit ihrer Hymne an das, von uns allen, geliebte Vinyl waren die negativen Gedanken wie weggeblasen.
Die zweite Band des Abends hieß SOKO LINX, auf die ich mich im Vorfeld sehr gefreut habe. Auch wenn es der Truppe bestimmt missfällt erinnert mich deren Musik ein ums andere Mal an das Farin Urlaub Racing Team. Musikalisch experimentierfreudig, Texte mit denen man sich auch mal auseinandersetzen muss. Live wussten die 3 Leipziger zu überzeugen und spätestens mit dem Gastauftritt von Sebastian Krumbiegel zu ihrem Lied Allein rumstehn hat der alte Gasometer ordentlich an Fahrt aufgenommen. SOKO LINX haben mächtig Spaß gemacht und habe ich bestimmt nicht zum letzten Mal live gesehen!
Dann folgte für mich die Enttäuschung des Abends: The Offenders. Bis jetzt bin ich mir unsicher was ich dazu sagen möchte. Entweder hat sich die Band ganz bewusst von ihren SKA-Einflüssen wegentwickelt oder es lag tatsächlich nur an dem zu The Offenders fürchterlichen Sound, so dass man die SKA-Passagen vor der Bühne schlichtweg nicht verstanden hat. Wenn das Technikteam nur halb so viel Zeit für das ausbügeln der schlechten Tonqualität genutzt hätte wie sie in das Betätigen der Nebelmaschine (Leute ehrlich? Nebel bis man als Zuschauer nicht mal mehr die Bühne sieht?) gesteckt hätte, wäre mir der Auftritt bestimmt nur halb so schlecht in Erinnerung geblieben. Sei’s drum.
Dann betrat der Headliner die Bühne. 100 Kilo Herz. Eine Band die ich aus Gründen der Sexismusvorwürfe eigentlich aus meinem musikalischen Gedächtnis und dem heimischen Plattenspieler verbannt hatte. Nun habe ich mich, dank des Akustisch im Gewandhaus Reviews (findet ihr hier!) noch einmal mit der ganzen Thematik und mit allem was die Band seitdem so getrieben hat auseinandergesetzt. Und was soll ich sagen? Das was ich da so gelesen habe, egal ob das Statements, öffentliche Arbeit, öffentliches Auftreten oder ähnliches sind, mich hat es dazu bewegt der Band noch eine Chance zu geben. Und das habe ich nicht bereut. Bereits nach dem dritten oder vierten Lied hat man sich mit ordentlich Rückgrat auf die Bühne gestellt, von den Vorwürfen erzählt, wie man damit umgeht und das bitte jeder darauf achten soll, dass der Auftritt von 100 Kilo Herz für alle Anwesenden ein positives Erlebnis wird. Als sich während dieser Ansage ein Gast von seinem T-Shirt befreien musste (Was soll die Scheiße? Hört doch endlich auf eure verschwitzten Körper zeigen zu wollen!) wurde diesem direkt erklärt, dass das hier nicht erwünscht ist und wenn er das machen möchte, er das doch gern draußen machen soll, wo er damit niemanden stört.
Musikalisch wussten 100 Kilo Herz auch zu überzeugen, aber das ist nichts neues. Live sind die immer eine Wucht. Highlight des Abends war ein von Rodi nur mit Akustikgitarre vorgetragenes Wenn es brennt. Da hab ich ganz schön Erpelpelle bekommen und das war der perfekte Abschluss für einen emotionalen Abend.
Ein Abend der irgendwie Spuren hinterlassen hat, daher verzeiht mir die vielen Wörter. Ich bin jetzt zurück in meiner sächsischen Provinz und wenn ich das nächste Mal zuhören muss wie sich zwei betagte Herren am Kühlregal darüber unterhalten was die angebliche jüdische Weltverschwörung wohl als nächstes vor hat, dann denke ich an diesen Abend zurück und weiß Ich bin nicht allein! Danke an alle die den Abend zu dem gemacht haben der er war!