Es ist soweit, der zweite Teil meiner Reihe „NRW – Deine Vinyl-Dealer“ liegt vor. Es hat ein wenig länger gedauert, aber das Warten hat sich gelohnt. Als zweiter Plattenladen kommt nun „Kernkrach Schallplatten“ an die Reihe. Empfohlen von Hans-Georg Lehnert aus der „Leserille“ (Bericht bei Vinyl-Keks.eu nachzulesen) im schönen Sundern, startete ich diesmal gen Münster. Dort in Bahnhofsnähe, findet man das Ladengeschäft von Jörg Steinmeyer. Seines Zeichens Schallplattenladen-, Labelbesitzer, Musiker, DJ und Vertrieb. Zudem hat Jörg sein Leben seit frühester Jugend der Musik verschrieben.
Sein Imperiums-Netzwerk überzieht den gesamten Planeten Erde (und vielleicht auch das gesamte Universum). Er hat Kontakte in Island, den Vereinigten Staaten, Kanada, Japan, Russland, you name it. Aber statt einem arroganten Typen im Interview sitzt mir gegenüber ein Meister des Understatements. Dieser Typ hat zu allem und allen Geschichten parat, aber in keiner Sekunde mit seinem Status prahlend, sondern ein liebenswerter, völlig geerdeter Mensch, der einem bereitwillig die Türen zu seinem Imperium öffnet.
Interessanterweise nennt Jörg als Lebensinspiration den legendären britischen Radio DJ John Peel, der auch mich musikalisch beeinflusst und sozialisiert hat. Wie Jörg, habe ich mitten in der Woche die legendäre BFBS „John Peel’s Radio Show“ mit dem Kassetten-Rekorder mitgeschnitten und so nächtelang die Musik aufgesogen, die es sonst nicht zu hören gab. Da Jörg bewusst ist, dass er John Peel weder kopieren wollte, noch das Wasser reichen konnte, hat er angefangen sein Leben um das Vinyl zu gestalten. Sein Plattenladen findet man am Hansaring 5 in Münster in einem alten Blumenladen. Der Laden ist liebevoll eingerichtet. Das Angebot an Vinyl ist sortiert und übersichtlich. Daneben fällt eine Treppe ins Auge, die das Ladengeschäft in zwei Höhen unterteilt. Zweiter Eye-Catcher sind zwei ausrangierte Kino-Sessel im Entree, wo sich gerne laut Jörg, die Ehefrauen von Kunden, bei Getränken aufhalten.
Jörg, was liegt aktuell auf deinem Plattenteller?
Im Moment liegt da Hertz063 Testing (EN SUITE CABINET). Eine Platte aus meinem Label Hertz-Schrittmacher, ein Unterlabel meines Kernkrach-Labels.
Das bringt mich schon zum nächsten Punkt. Ich habe gesehen, dass du ein sehr breitgefächertes Spektrum an Unterlabels hast. Kann man da mal Ordnung reinbringen?
Selbstverständlich. An oberster Stelle stand mal das „Institut zur freundlichen Nutzung von Kernkrach“, das 2002 mit meinem Freund Heinz in Bielefeld ins Leben gerufen wurde und ursprünglich neben der Veröffentlichung von Vinyl auch Kunst und Konzerte im Fokus hatte. An erster Stelle steht natürlich das Label: Kernkrach mit fortlaufender Nummer der Veröffentlichungen. Also Krach 001, Krach 002, Krach 003 und so weiter. Hier findet man Releases zum Thema Minimal und Synth, mit Schwerpunkt oder musikalischer Referenz auf die 80er/90er Jahre (also älter als 30 Jahre). Momentan stehen wir bei krach031 – Kühle Matrosen aus Hamburg.
Als Ergänzung dazu gibt es Hertz-Schrittmacher (analog laufen hier die Produkte von hertz001 bis aktuell hertz064…) mit dem Fokus auf Elektrobands und Wave aus den 90ern bis heute. Somit ist erstmal alles Elektronische abgedeckt.
Als Beispiel spielt mir Jörg das aktuelle nur einseitig bespielte Album der Kühlen Matrosen „1.982 km/h“ vor. Das Album ist auf 222 Stück limitiert und enthält sympathisch, bekloppte Electro-Stücke der Band aus den frühen Achtzigern. Die Texte von „Geometrische Liebe“, „Seemann der Träume“ und „Spasmo“ sind wundervoll naive Geschichten und Gedanken. Mein Lieblingstrack „Kleiner Roboter“ hat zudem eine sehr ins Ohr gehende Melodie und ist, wie alle Songs sehr minimalistisch angelegt. Alles in allem, kleine funkelnde Plastikperlen aus der Wundertüte und empfehlenswert.
Um euch ein Bild z
Nun verstehe ich seinen musikalischen Mittelpunkt. Aber Jörg, lass uns weiter dein Imperium sortieren. Wie geht es weiter?
Ferner finden wir das Label Hühnerschreck Räkotz, das sich eher mit „schrägen Sachen“, Punk und Hard-Core auseinandersetzt.
Dann haben wir noch das Label F.K.K. – Musik (Förderung Kosmischer Kunst), welches sich auf die Veröffentlichung von 7inch in 100er-Serien spezialisiert hatte und zum Schluss dann noch ein paar wenige 12inches hervor brachte.
Als letztes Label ist da dann noch Nancy Records aus Barrie/ON (Kanada). Das Label veröffentlicht unregelmäßig sehr themengebunden spezielle Bands 7inch – immer nur 222 Stück in wechselnd ähnlichen Covers. Natürlich alles handgemacht! Als Beispiel, die limitierte Ausgabe einer Single der Band Pleasure Victim „Stadt aus Glas“ oder das Debüt von The R.I.P.ped Nancys, die wochenlang mal Nummer Eins in Florida waren. Zu jeder Single gibt es auch immer eine interessante Geschichte. Momentan ist dieses Label aber erst einmal eingestellt.
Nachfolgend drei Songs, an denen der Kernkrach-Chef höchstpersönlich Hand angelegt hat.
Wow! Das ist ja unglaublich, was sich da so entwickelt hat. Auch deine eigenen Bands oder Projekte gehen ja richtig ab. Gehen wir mal ein gutes Stück zurück. Wie bist du persönlich zur Musik gekommen?
Wie gesagt, bis 1976 wohnten wir an der Grenze zu den Niederlanden, dann folgte der Umzug nach Warendorf/Bielefeld. Mit vier Jahren, soweit ich mich erinnern kann, entdeckte ich meine Liebe zum Vinyl. Während die anderen Kinder draußen spielten, habe ich mich mit meinem Plattenspieler beschäftigt und begonnen Platten zu hören. Mein Lieblingshit war damals Lee Dorsey „Ya Ya“.
Also eine Vorstufe zu deinem späteren Job als DJ?
Das ist schwer zu sagen. Die Liebe zum Vinyl ist da bestimmt entstanden. Zu der Zeit bin ich noch mit dem Bollerwagen und meinem Kinderrad in der Nachbarschaft rumgefahren und haben den Sperrmüll nach Schallplatten durchsucht.
Auch da ein früher Bezug zum heutigen Job. In deinem Plattenladen wird ja auch Gebrauchtes verkauft. Aber noch einen Schritt und die Frage muss ich stellen, wie kommt man auf so einen Namen wie Kernkrach?
Die besten Ideen kommen meist in der Nacht oder beim Duschen. Als der Gedanke zur Gründung des Labels kam, ist mir der Name tatsächlich nachts eingefallen und als ich dann mit Heinz eines Tages rum flachste, entstand erst das „Institut zur freundlichen Nutzung von Kernkrach“ und über die Zeit dann die Kurzfassung „Kernkrach“. Dabei ist es dann geblieben. Und ich denke, anhand der Namensgebung der Labels, sieht man, dass ich/wir an Namensspielchen einfach Freude habe.
Wie ist denn dein Werdegang überhaupt? Bist du hauptberuflich in der Musikbranche tätig?
Vinyl hatte wie gesagt schon in frühen Jahren eine Wirkung auf mich. Wenn ich in mein Haus schaue, was voll von Platten steht, ist es wohl wie eine Droge (lacht). Den Einstieg hatte ich Ende der 70er, als ich eher so auf die schrägen Bands stand, die mit der NDW hochgespült wurden. Zum Beispiel die Einstürzenden Neubauten, Freiwillige Selbstkontrolle, Kosmonautentraum, Bärchen und die Milchbubies oder dergleichen. In einer kleinen Szene bei uns im Ort von etwa 12 bis 15 Kumpels und Kumpelinnen (war das schon Punk?) haben wir diese Sachen dann ausgetauscht und uns gegenseitig über News und Trends informiert. Wie viele damalige Jugendliche, habe auch ich spät abends am Radio gehangen und den magischen Worten von John Peel, einem DJ der BFBS (British Forces Broadcasting Service) gebannt gelauscht, um in dem neuen, spannenden Bereich stets auf dem Laufenden zu sein. Ich hatte sogar das unverschämte Glück, dass mein Vater Punkplatten aus London von UK Reisen mitbrachte. Damit war ich ganz weit vorne. So habe ich mein Geld – häufig wortwörtlich mein gesamtes Geld – in Platten investiert. Wer brauchte damals schon eine Freundin – kostete nur Kohle 😉 …..haha.
Als der Siegeszug der CD Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger kam, sprangen viele auf diesen Zug auf und kauften nicht nur kein Vinyl mehr, sondern verkauften ihre Sammlungen für kleines Geld. Da hatte meine Stunde geschlagen und ich kaufte nicht nur private Sammlungen auf, sondern räumte die Keller mancher Verlage wie ZickZack (Hamburg) oder ATATAK (Düsseldorf) leer. Kleine Anekdote am Rande: Seit der Zeit sind wir gute Freunde und haben heute noch Kontakt. Den Job als gelernter Industrie-Schreiner musste ich wegen Bandscheibe 1996 an den Nagel hängen. Ich sattelte dann um auf Industriekaufmann um.
1991 hatte ich das erste Mal die Idee im Kopf mein eigenes Label zu gründen. Diese Idee kam 2002 dann zum Tragen, zuerst gründete ich mit meinen Freund Franck das WSDP LABEL (WAS-SOLL-DAS-SCHALLPLATTEN) und nach einer Veröffentlichung dann Kernkrach. Franck wollte nur noch Punk veröffentlichen, so trennten wir uns wieder. Ich hatte da ganz andere Ideen. Wie man sieht, startete ich erst im kleinen Rahmen und ab 2002 dann unter dem Namen: „Institut zur freundlichen Nutzung von Kernkrach“ (wie bereits oben erwähnt mit meinem Freund Heinz). 2007 kam dann der Shop dazu und erst 2018 der Verkaufsladen in Münster. Erwähnenswert ist noch die Zeit von 2005 bis 2009, in der ich über den ganzen Globus verteilt als DJ unterwegs war. Speziell in dieser Zeit ist mein Netzwerk zur Musikbranche gewachsen und ich habe heute noch Freunde auf der ganzen Welt. Davon wiederum profitierten das Label und der Shop, mit denen ich global unterwegs bin. Aber auch der Plattenladen hat so manchen weit her gereisten Kunden angelockt. So war und ist das nun mal. Beispiele für weit gereiste und geliebte Kunden findet ihr auf meiner homepage kernkrach-recordstore, scrollt da mal runter.
Das klingt alles sehr spannend, aber auch nach viel Zeit und wenig Schlaf. Gab es mal Momente, wo nichts mehr ging, wo du ans Aufhören gedacht hast?
Ich habe zahllose Nächte fast durchgearbeitet, viel hat auch Heinz übernommen, war u.a. alleinerziehender Vater zweier Kinder mit einem Haus und die Schallplatten. Dann gab es Zeiten, in denen die Absatzzahlen wirklich absackten. Aber richtig ans Aufhören habe ich nur in 2018, nach einem leichten Herzinfarkt gedacht. Allerdings hat mir meine damalige Freundin tatkräftig unter die Arme gegriffen und mich zum Weitermachen ermuntert.
Woher stammt dann deine Motivation bis heute auf dem Level weiter zu machen?
Mein Motto ist ebenso simpel wie wahr: Kein Tag ohne Platte! Dem ist nichts hinzuzufügen.
In der Tat ein gutes Motto. Was ist dein Geheimnis oder Erfolgsgeheimnis heutzutage ein Plattenlabel, Versand oder Laden zu führen?
Da hole ich mal ein wenig aus. Bielefeld hatte in meiner Jugend das PC69 einen auch über die Stadtgrenze bekannten Laden, der auch Live-Musik angeboten hat. Zudem war ich öfters über meine leider schon verstorbene Tante in Düsseldorf. Ich interessierte mich für Kunst und Musik und wollte dann unbedingt auch in diesem Umfeld aktiv werden. So kam eins zum anderen, wie ich schon erwähnte. Aber wichtig für das Überleben, für einen Kundenstamm und eine Akzeptanz bzw. das Vertrauen der Kunden, ist ganz einfach: Ehrlichkeit. Dazu kommt eine gewisse Verrücktheit, für eine Idee zu brennen und die Eigenschaft hin und wieder den richtigen Riecher für eine Sache zu haben.
Von Heinz Erhardt sagt man, dass er nachts immer Stift und Papier am Bett hatte, um seine nächtlichen Einfälle festzuhalten. Ich mache das ähnlich. Auch ist mir die ein oder andere gute Idee schon unter der Dusche eingefallen. Aber im Großen und Ganzen haben sich meine/unsere Ideen als richtig erwiesen und der Kernkrach-Planet ist stetig gewachsen.
In diesem Zuge interessiert mich, was zeichnet deine Label bzw. deine Künstler aus? Wonach entscheidest du? Gibt es typische Kernkrach-Künstler?
Als erster und wichtigster Punkt kommt hier natürlich die Musikalität. Das hat man im Laufe der Jahre im Ohr und Bauch. Dann kommt der zweite Punkt, der genauso wichtig für mich ist. Es muss menschlich passen. Das kann sehr unterschiedlich sein, aber die Punkte müssen erfüllt sein. Wahrscheinlich bin ich über die Jahre ein guter Menschenkenner geworden. Deine Frage nach dem typischen Kernkrach-Künstler bringt mich zum Nachdenken, denn das Spektrum der unterschiedlichen Labels ist sehr weit und mit viel Platz versehen. Vielleicht als Antwort dazu mal meine letzten Veröffentlichungen. Da sind die Kühlen Matrosen, hinter denen ein Gelehrter einer Universität steckt; mein dreiseitiger
Sampler „Der Kosmonaut“, auf dem sich wunderschöne Künstler aus der ganzen Welt verewigt haben. Dann der Sampler “Lieder, die kein Label wollte, ein Freund aus Hamburg, der hier fünf Songs aufgenommen hat, sowie eine Freundin aus Berlin mit ihrer Band En Suite Cabinet, die mit ihrem Ex-Freund alte Sachen remastered hat. Und zuletzt Hans Uran aus Hamburg mit einer Single. Du siehst es fällt schwer ein typisches Merkmal zu finden.
Aus Platzgründen sowie aus Gründen der Spannung endet hier der erste Teil des Interviews. Wenn ihr wissen wollt, was für interessante Kunden der Jörg schon hatte oder wie Jörg einen Dieb stellt oder welche Platten Jörg in seiner ewigen Bestenliste stehen, verpasst nicht Episode 2, hier auf Vinyl-Keks. Diese wird morgen zur selben Zeit wie heute online sein.
Unter folgenden Adressen kann man Kernkrach erreichen:
Den Online-Shop: https://www.kernkrach.de
Den Laden: https://www.kernkrach-recordstore.de
Einen ganz großen Dank and Thomas und das Vinyl-Keks Team! Hey, macht weiter so!
Fabulous interview and story about this interesting man and his love for records, labels and music. Very entertaing read while listening to „Kühle Matrosen“. Now I am definitely looking forward to reading part two; i am especially curious about his top ranked bands/songs.