Am Anfang nach dem ersten Durchhören hatte ich in der Tat gehörigen Respekt vor dem Werk “Environ Me” von Manu Delago. Es ist so anders, als die Dinge, die man kennt. Ein weltweit renommierter Hang-Spieler (ich Provinzler musste das schweizer Instrument erst mal googeln) breitet da ein Vielfalt und Konzeption vor dir aus, dass es einem schwindelig wird. Jeder Ton, jedes gesampelte Geräusch, jeder Effekt ist genau, wo er im oralen Mosaik hingehört. Das ganze über Albumlänge, insgesamt zwölf Songs, verdient schon höchsten Respekt. Hier wurde nicht wahllos zusammengeschustert und geflickt, sondern akribisch und mit viel Verstand gearbeitet. Auch die Titel der Trackliste scheinen eine Bedeutung zu haben – wie ein Code, er entschlüsselt werden soll, kam es mir vor. Dazu kommt noch, dass Manu Delago (gebürtig aus Österreich) zwischen seinen Wohnorten London und den Tiroler Alpen pendelt und quasi in zwei völlig unterschiedlichen Welten lebt. Also auch hier eine Sache, die entschlüsselt werden will. Alles sehr mystisch…
Soweit meine Situation, ein kleiner Vinyl-Rezensent vor einer echten Herausforderung. Doch dann kam mein Ehrgeiz durch und ich beschloss, dass Aufgeben keine Option ist und jetzt auf Angriff umgeschaltet wird.
Wie schon erwähnt hat Manu Delago sein Album “Environ me” beim Label One Little Independent im September herausgebracht. Auf One Little Independent befinden sich Labelmates wie Björk, Billy MacKenzie, Test Dept, The Woodentops, The Shamen und Skunk Anansie – also durchaus ein paar Größen, die man kennt.
Vorweg noch, der typische Sound des Albums ist der Klang des Hang. Ein Hang besteht aus zwei zusammengeklebten, gasnitrierten Stahlblechen, welche als Halbkugelsegmente eine Kugel bilden. Die obere Halbschale enthält Klangfelder wie ein Steeldrum und wird mit Hämmern in das Blech geschlagen. Im Berndeutsch bedeutet Hang Hand.
In a Nutshell:
Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass Manu Delago auf “Environ Me” den Einfluss des Menschen, der Menschheit auf unsere Umwelt in unterschiedlichen Dimensionen erforscht. Dabei scheint mir das Konzept schon sehr deutlich zu sein und in der Tat ist es vielleicht sogar schon anklagend. Damit passt “Environ me” fantastisch in die aktuelle Zeit und gesellschaftlich und politische Lage. Wirklich clever der Mann.
Ich würde sogar soweit gehen, dass “Environ Me” ein Album mit einer sehr grünen Botschaft und Ausrichtung ist. Das Interessante ist, dass ich auf diese Rückschlüsse gekommen bin, ohne dass es Manu Delago an einer Stelle ausspricht. Er hat es also geschafft, mir eine Botschaft mitzugeben – ohne viele Worte dafür zu benutzen. Wieder, sehr clever der Mann.
An vielen Stellen des Albums bindet Manu Delago die Natur als Hauptdarsteller ein und nutzt natürliche Geräusche. Von den Elementen Feuer und Wasser bis hin zu menschengemachten Gegenständen wie Stahl, Zahnräder, Klettband und mehr. Im Video auf der Bandcampseite, könnt ihr im Song “Trees For The Wood” sehen, wie intelligent Manu Delago Strommasten als Instrumente benutzt. Da wird mir als Fan der Einstürzenden Neubauten auch warm um Herz. Strommasten standen noch nicht auf der Instrumentenliste eines Albums der Neubauten. Vielleicht ein Manko, da die Strommasten in der Bergwelt sehr schön in Szene gesetzt werden.
Schon im Opener “Interferenz” kommen die Strommasten neben elektronischen Beats, Synths, Posaune und Klarinette zum Einsatz. In “Liquid Hands” geht es dann um diverse, nicht kontrollierbare Ströme, die wie in einem Wasserfall über einen klimatischen IDM laufen. das klingt schon sehr bedrohlich. Tempo und Melodie werden wiederholt durch das Hang und seinen Klang unterbrochen, so dass der Song fast wie ein Kampf wirkt.
Der nächste Song “Transformotion” gewinnt durch seinen euphorischen Aufbau und ist im Video toll ins Bild gesetzt worden.
Neben den Percussion-Elementen, die das Rückgrat des Albums bilden, kommen immer wieder schöne schräge Ideen zum Einsatz, so auf “Curveball” das Geräusch von abreissendem Klettband. So entsteht eine nicht natürliche, kinematische Klangwelt. Bei “Recycling” klingt es dann fast wie bei Kraftwerk‘s “Tour de France”. Manu Delago spielt mit aufgezeichneten Klängen von Fahrrädern, während ein Technobeat dem Song seine Struktur gibt. “Recycling” bekommt so eine ganz eigene Note – eine fast spürbare Physikalität der gehörten Elemente.
Diese Physikalität wird dann im Song “Autoshred” auf die Spitze getrieben und wir finden uns in einer Werkstatt wieder, wo es nur so zirpt, knirscht und metallisch klingt. Die A-Seite wird beschlossen mit “Pattern Pulse Popcorn” einer Spielerei mit sehr kreativem Ausgang. Hier werde ich nicht spoilern. Hört euch das mal an.
Dann scheint es konzeptionell in die Natur zu gehen und “FaunaSauna” und “Trees for the Wood” bringen uns in einen dunklen Wald. Es geht sehr tief hinein. Fast meint man, Manu Delago will uns ein wenig zum Fürchten bringen.
Und tatsächlich wird es bei “Emberplay” ein wenig bedrohlich, denn hier findet das Feuer als Element. Es wirkt zerstörerisch und lässt den Song in einer glühenden Stimmung erscheinen. Für mich scheint es mit “Acoustic Aviation” einen Ruhepol – nach dem Feuer – zu geben, um mal meditativ über die Dinge nach zu sinnen. Der Song klingt sehr nach Tempel und hinterlässt uns ein wenig verstört wie ich finde. Gut, dass es am Ende mit “Footsteps” nochmal Zeit zum Durchatmen gibt. Die Sängerin Isobel Cope schwebt förmlich über dem Ganzen. Engelsgleich und sehr fragil werden die Lyrics präsentiert.
“Gently, the force of ages shows its gradual persistence pushing layer by layer only
seen with perseverance
Following I make my choices driven by the need behind the scenes sometimes forced
and sometimes freely the
end must not be clear to me
‘cos I am given my time I am the throat that carries channels life for a time
Taking all those steps that you made before you knew just where they would lead you to
now that road will lead on still forming still calling your soul to family
swallowing a maybe or a might a falling or a flight echoes deep inside your mind aw”
Das ist alles andere als leichte Kost und hier gilt es wirklich inne zu halten und sich im Kontext der Zeilen das gesamte Album mal anzuhören. Ich habe meinen Zugang zum Album gefunden und bin abschließend der Meinung, dass Manu Delago die Hörer:innen mit “Environ Me” ein Angebot macht, mit ihm auf eine Reise der Sinne zu gehen. Wer sich darauf einläßt, macht fantastische Entdeckungen, von denen ich schon einige, aber nicht alle, erwähnt habe. Und es bleibt noch eine wichtige ökologische Message zu ergründen.
Ich bin am Ende sehr erschöpft und hoffe doch, dass ich die Welt, das Album und die Botschaften von Manu Delago entschlüsseln konnte. Ich habe wirklichen Respekt vor der Arbeit und kann nur noch mal betonen, dass es durchaus schön wäre, wenn das Album einen größeren Anklage finden würde.
Am Ende doch eine klare Kaufentscheidung für alle Freunde des Ambient-Genres und experimenteller Electro-Musik. Kaufen könnt ihr es direkt hier.
Manu Delago findet ihr im Netz bei: