Es ist Frühling und die Natur beginnt wieder zu wachsen und zu sprießen. Es duftet nach Blüten, erste Insekten summen und es begrüßen mich die ersten warmen Sonnenstrahlen. In Japan ist die Zeit der Kirschblüte – Sakura. Millionen von Blüten in Amarena-Farben, während im Hintergrund der majestätische Fuji mit seinem Schneegipfel den Horizont dominiert.
Ich verbinde ja oft Bilder im Kopf mit Musik – und diesmal passt für mich die Musik von Monoteur in Perfektion zur japanischen Kirschblüte. Die ruhige Collage aus blubberndem Krautrock, sanften Basslinien und elektronischen Synthieteppichen auf dem Album “Autofiktion” regt über acht instrumentalen Tracks zu medialen Reisen an. Das Album wurde im Mai 2020 veröffentlicht und ist das zweite Album des Kölners, der zuvor mit dem Duo Supreme Galore gespielt hat.
“Es war harte Arbeit, dies und das Konzertvideo fertig zu stellen und zu bearbeiten.
Nach meiner letzten Single vor einem Jahr habe ich angefangen, einen Weg zu finden, mit all meinen Lieblingsinstrumenten und -sounds als One-Man-Band-Show live zu spielen”, sagt Monoteur und ergänzt: “Die ‘Autofiktion’-LP ist das Ergebnis einer einjährigen Arbeit mit einer Ein-Mann-Band-Live-Show – mit dem Ziel, der deutschen Rockmusik der frühen 70er Jahre eine Interpretation des 21. Jahrhunderts zu geben. Zum anderen war es eine bewusste Entscheidung, den Sound der frühen 70er Jahre beizubehalten.” Ein Mann, der Bass spielt, zusammen mit Synthesizern, gesampelten Rock-Drums und einem Realtime-Resampling des Basses ist der Ansatz für diese Platte, um sie ins Hier und Heute zu transportieren. Das klingt einfach, scheint technisch anspruchsvoll und ist im Ergebnis sehr interessant wie hier im Video aus einer Live-Performance aus dem Jahre 2019.
Der Opener “Falsche Neuigkeiten” beginnt mit herrlichen flirrenden Synthies, welche von gesampelten Drums in eine Melodie getragen werden, die betont monoton ist und schön vom Bass begleitet wird. Die Synthies laufen rauf und runter, nehmen aber immer wieder den dominanten Rhythmus auf. Das hat entspannenden Charakter und endet mit herrlichen Spacegeflimmer.
“Tempo ist Gewissheit” startet mit Klangcollagen, die an Videospiele der ersten Generation erinnern und wird begleitet von Synthie-Sequenzen, die ein wenig unruhig das Tempo des Songs bestimmen. Aber auch hier ist es immer wieder der Bass, der zwischen den Polen vermittelt und für mich das Songgerüst bildet. “Als Musiker versuche ich, neue Wege zu entdecken, den E-Bass als Zentrum der Musik zusammen mit Synthesizer-Melodien und experimentellen Geräuschen zu spielen. Jede Art von Melodie und Songstruktur ist ziemlich wichtig für meine Musik”, sagt Monoteur dann auch.
Ich finde hier jede Menge Zitate wieder. So erinnert mich “Jeder Vierte ist zu viel” ein wenig an Neu! und La Düsseldorf. Ähnlich geht es auf “Reichlich Klima” weiter: Hier hört man die Drums im Marsch, während die Synthies ruhige Klangteppiche auslegen. Dann wird es ein wenig unruhig, aber der Bass bringt den Song wieder in seine Bahn zurück. Bei “Marode Gravitation” denke ich am Anfang an The Stranglers‘ “Get a grip (on yourself)”. Schnell wird aber diese Sequenz verlassen und der Song findet seine eigene Melodie. Flankiert von Drums spucken die Synthies herrliche Siebziger-Collagen aus. Es folgt der Song “Trotzdem ich”, bei dem ein eher verschrobener Beat und eine Synthiemelodie eine eher düstere Atmosphäre erzeugen, die durch elektronische Gongs noch verstärkt wird. “Rauch” beginnt dann mit einem metronomartigen Beat, der aber schnell durch spacige Synthiecollagen überlagert wird.
“Pastoser Raum” kommt sehr spooky daher, es wabert und die Synthies kommen nur langsam auf Geschwindigkeit. Dann aber quiekt und firrpt es herrlich zu einem sehr ruhigen Beat. Später werden noch mal Synthieklangteppiche drüber gelegt, bis der Bass wieder erscheint und in den Raum rein wummert und ab da eine tragende Rolle übernimmt. Gegen Ende des Songs gewinnen die Space-Synthies wieder die Oberhand.
Unterm Strich finde ich den Ansatz von Monoteur sehr gelungen umgesetzt. Seine drei Elemente (Bass, Drum, Synthies) werden im Dienste der Songs eingesetzt. Wobei für mich immer der Bass das Skelett der Tracks darstellt und – je nach Einsatz – die Synthies eher für Siebziger-Jahre-Momente sorgen. Das hart gesampelte Rock-Drumset stellt für mich mit seinen teilweise vertrackten Rhythmen den Bezug zum Krautrock her. Monoteur macht das wirklich gut und es wird über die Albumlänge nicht langweilig oder ermüdend. Wir hatten und haben in Deutschland eine Menge toller Elektrokünstler*innen, allen voran Kraftwerk und Tangerine Dream. Aber wer sich mal neben den ausgetretenen Pfaden auf etwas Neues einlassen möchte, sollte hier bestellen und die Zeitreise in die frühen Siebziger Jahre zur Kirschblüte nach Japan buchen.
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