Wer ab und an in des Riedingers Reviews hier beim Keks schmökert, der/die dürfte auch schon über die Erwähnung der Band Motorpsycho gestolpert sein. Wenn immer eine Band aus den Bereichen Prog-Rock, Psychedelic und Artverwandtes besprochen werden soll, muss sie sich in häufigen Fällen mit den Göttern aus Trondheim messen lassen. Und wenn Band X sich gaaanz arg angestrengt hat, dann kann sie vielleicht auch an der Messlatte kratzen. Von unten, versteht sich.
Ich liebe Motorpsycho! Deshalb steht ihr Konzertbesuch am 17.10. im heimeligen franz.K in Reutlingen auch schon seit Monaten fett unterstrichen im Kalender. Und damit auch das monatelange Hoffen und Bangen, es möge doch bitte bitte nichts mehr dazwischen kommen. Corona, ein Hörsturz, oder dass uns der Himmel auf den Kopf fällt.
Der 17.10. ist gekommen, alles verhält sich ruhig und der Plan scheint aufzugehen. Punkt 19:00 Uhr lasse ich den Griffel fallen und sprinte zum Auto. Jetzt kann mich nichts mehr aufhalten! Ich fahre der Götterdämmerung entgegen und bin gleichermaßen gespannt und freudig erregt. Denn, so ein Motorpsycho-Konzert ist ja wie eine Schultüte: man weiß nie was drin ist, man weiß nur, dass der Inhalt spitzenmäßig sein wird. Und wenn man dann mal da ist, dann bleibt man auch bis zum Schluss. Im Falle des Schulbesuchs eine zähe bis fragwürdige Angelegenheit, im Falle von Motorpsycho das krasse Gegenteil dazu!
Schon mal vorweg: auch heute spielt die Band wieder ein zweieinhalbstündiges Set – und trotzdem ist das Konzert viel zu schnell vorbei. Eine Vorband wird unter diesen Voraussetzungen nicht benötigt und auch nicht vermisst. Pünktlich um 20:00 Uhr entert das Trio um die zwei Masterminds Bent Sæther und Hans Magnus „Snah“ Ryan sowie dem neuen Drummer Tomas Järmyr die Bühne. Heyeyey, jetzt bloß keine Hektik aufkommen lassen. Noch kurz das Kippchen mit meinem guten Freund Jonathan aufgeraucht. So viel Zeit muss sein, denn auch das ist ja das Schöne an so einem Konzertabend: das Freunde und Bekannte treffen.
Hab für meinen Geschmack auch noch nicht allzu viel verpasst, denn die Band eröffnet mit drei akustischen Nummern ihres neuen, erstmals nicht ganz so starken, weil eben zu akustischen Albums “Yay!”. Sæther und Ryan spielen im Sitzen. Das wird den Songs gerecht und insgeheim hoffe ich, dass sie bitte schnellstmöglich die Amps im Hintergrund nutzen mögen. Das Publikum – den Raum gut füllend, ohne dass es unangenehm eng wird – reagiert dem Ambiente angemessen auch zunächst verhalten, aber höflich. Dann aber weg mit den überflüssigen Sitzmöbeln und die E-Gitarren angeworfen. Yeah! Zu Spitzenzeiten tummeln sich bis zu vier Gitarrenhälse auf der Bühne – bei gerade einmal zwei Saiteninstrumentalisten! Sæther und Ryan schwingen die Doppelhalsigen und spielen sich in Ekstase. Der Neue an den Drums integriert sich da bestens selbst.
Wie immer bei einem Motorpsycho-Konzert sind die Grenzen zwischen fester Songstruktur und loser Improvisation schwimmend und nur schwer zu verorten. Genial! Ich muss jetzt auch mal weiter nach vorne und stehe den Rest des Konzerts in unmittelbarer Nähe zu Bent Sæther. Es macht Spaß, diesem unaufgeregten, hochkonzentrierten, aber dennoch grinsenden Meister bei der Arbeit zuzusehen. Arbeit? Nee. Konzert. Gutes Konzert! Arbeit leisten dennoch Menschen heute Abend: ein sehr dickes Lob an Licht- und Tontechniker*Innen. Vergisst man ja gerne mal, aber ohne die wäre die komplette Veranstaltung für den A….! Und speziell heute machen die einen richtig guten Job!
Motorpsycho schaffen es wie kaum eine andere Band, extreme Spannungsbögen aufzubauen. Die Band versteht sich blind und nur kurzes Zunicken untereinander reicht aus, um das nächste Level anzupeilen. Das Publikum spiegelt das Gebotene äquivalent wider. Gemäß dem musikalischen Konzept gibt es da tanzende und in sich gekehrte, laute und leise, die Augen schließende und die Mäuler vor lauter Staunen kaum mehr zubekommende Menschen. Vereint sind sie in einem: alle genießen sie das Set einer wahren Ausnahmeband.
22:00 Uhr, Konzert um. Aber bitte doch nicht so, liebe Motorpsycho. Na gut, Zugabe dann. die Band rockt nochmal eine halbe Stunde. Straight und eher ohne Improvisationen. Auch schlau, denn so wird das Publikum nochmal ekstatisch und stürmt letztlich euphorisiert aus dem Saal. Geradewegs auf den Merch-Stand zu. Leider alles sehr teuer und leider auch sehr uncool, liebe Motorpsycho: für ‘nen Sticker 1, bzw. 3€ zu verlangen ist schon hart. Da brauch ich dann nix und nutze die Zeit lieber dafür, nochmal das ein oder andere Gespräch zu führen. Ihr wisst schon, das andere Schöne beim Konzert.
Alles in allem ein Spitzenabend und ein Glück ist morgen Tagung. Erst mal reinsitzen, Zuhören vorgaukeln – und von Motorpsycho träumen!