Es ist Heavy Metal Zeit bei “Musik trifft Literatur”!
Verehrte Damen und Herren, ich freue mich Ihnen heute mit Micha-El Goehre einen Autor vorstellen zu dürfen, der nicht nur unter anderem verdammt lustige Geschichten über die Metalszene schreiben kann, sondern auch von den Poetry Slam Bühnen Deutschlands nicht mehr wegzudenken ist. Des Weiteren arbeitet er als DJ, Moderator und bestimmt auch als Tupperwarenberater. Okay, letzeres ist gelogen, aber verdeutlicht nur, dass Michael ein echter Tausendsassa ist, der aufgrund seiner langjährigen Metalszenenzugehörigkeit der perfekte Gesprächspartner für diese Reihe ist.
Viel Spaß beim Lesen und scheuen Sie sich nicht, im Anschluss fleißig seine Bücher zu kaufen!
Hallo Michael,
Schön, dass Du bei “Musik trifft Literatur” dabei bist. Um mal direkt alle Klischees und Vorurteile direkt in die erste Frage zu packen: Warum schreibst du denn als Metaller keine Fantasy Romane, so richtig mit Zwergen, Orks, Drachen und so? Was anderes lest ihr doch eh nicht, oder? Wieso also eher lustige Geschichten? Erzähl doch mal deine Inspirationen, Einflüsse und Lieblingsbücher…
Ich hab zwar mal Rollenspiele gespielt (AD & D), aber Fantasy fand ich als Literatur noch nie so spannend. Das ist einfach so visuell, das mag ich lieber in Film- oder Comicform. Dementsprechend hat es mich bisher nicht gereizt irgendwas in der Richtung zu schreiben, auch wenn ich tatsächlich ein Weltenkonzept in der Schublade hab. Mal gucken, was die Zeit so bringt. Als Vorbild aus dem Bereich kann ich nur Terry Pratchett nennen, aber da geht es mir mehr um den Humor und die Sprache. Ansonsten fand ich immer lebensnahe Stoffe gut oder Horror und oldschool Krimis. Da haben mich Douglas Coupland, Stephen King, Wiglaf Droste, Max Goldt, Warren Ellis oder Garth Ennis beeinflußt.
Wie kamst du denn zum Schreiben? War das Schreiben schon seit deiner Kindheit präsent, oder gab es einen Auslöser, das eine Buch oder den/die eine AutorIn? Und wann war klar, dass du damit auch auf die Bühne willst?
Geschichten habe ich mir schon immer ausgedacht. In der zweiten oder dritten Klasse hat meine Klassenlehrerin spitz gekriegt, das ich in einem Heft Cowboy- und Science Fiction-Stories geschrieben habe. Die hat sie dann der Klasse vorgelesen und am Ende wurde applaudiert. Das Geräusch fand ich ziemlich gut. Später als Teen und mit Anfang Zwanzig wollte ich dann Rockstar werden und hab mich auf Musik konzentriert, aber musste mir irgendwann eingestehen, dass mir dafür einfach das Talent fehlte. Zu der Zeit ums Millenium herum etablierten sich hierzulande Lesebühnen und Poetry Slams, wo man auch mal einfach mit Texten auf die Bühne konnte.
Im Bereich der Poetry Slams nimmst du ja auch an Meisterschaften teil. Wie läuft sowas denn genau ab? Plauder mal aus dem Nähkästchen und scheu dich nicht deine Erfolge aufs Tablett zu bringen.
Landes – und die deutschsprachigen Meisterschaften finden jährlich in wechselnden Städten statt. Da kommen schon mal bis zu 120 Teilnehmer*innen zusammen. Es gibt Wettbewerbe im Einzel und im Team. Wie bei normalen Slams gibt es nichts Dolles zu gewinnen. Aber natürlich kann das einer Karriere auf der Bühne einen satten Push geben. Ich selbst war ein paar Mal im Finale des NRW Slams und ein paar Mal im Halbfinale der deutschsprachigen Meisterschaften. 2020 war ich mit meinem Team “Kein und Adel” immerhin vierter. Das schöne an den Meisterschaften ist aber primär, das sie ein großes Klassentreffen der Szene sind. Eine fette Party.
Auf dich aufmerksam geworden bin ich durch deinen Roman “Jungsmusik”, der mittlerweile drei Teile umfasst. Du machst aber auch eine gleichnamige Kolumne in der Metal-Zeitschrift. Wie ist das mit der Kolumne entstanden und wie kamst du auf die Idee daraus einen Roman zu machen?
Eigentlich wird umgekehrt ein Schuh draus: Es kam erst der Roman, dann die Kolumne. Da ich ein Bühnenmensch bin, es aber immer völlig Banane finde Auszüge aus Romanen zu lesen, habe ich überlegt, wie ich zu dem Buch trotzdem Lesungen veranstalten kann, die allen Beteiligten auch wirklich Spaß machen und nicht die halbe Geschichte spoilern. Also erfand ich die Kolumne aus der Feder des Protagonisten Torben, die dann quasi dem Buch den Namen gibt. Das hat mir so viel Spaß gemacht, das ich dem LEGACY vorgeschlagen habe, die Kolumne in die reale Welt zu transferieren. Seither schreibe ich regelmäßig nicht nur Romane sondern auch die Kolumnen über Heavy Metal. Und der Stoff geht mir so schnell nicht aus. Gerade ist auch ein Hörbuch in Arbeit, für das ich eine Auswahl meiner Lieblingstexte einlese. Das wird aber leider nur digital erscheinen.
Der Titel “Jungsmusik” ist wahrscheinlich nicht bierernst zu sehen, aber trotzdem scheint viel Wahres da drin zu stecken. Heavy Metal ist für mich als Außenstehender eine sehr von Männern dominierte Szene, zumindest was die Bühnenpräsenz betrifft. Liege ich da falsch, oder kannst du das bestätigen?
Das ist richtig. Der Titel war ironisch gemeint. Später habe ich dann auch noch eine Kolumne mit dem Titel “Mädelsmusik” geschrieben, in der es eben darum geht, das Metal schon eine sehr testosteron-lastige Szene ist. Aber: die Lage bessert sich zunehmend. Und durchaus in allen Bereichen, auch im Extremen wie Death oder Black Metal oder Grindcore. Und das sowohl im Publikum als auch auf der Bühne. Aber da geht noch einiges.
Auch in der Punkszene, die sich ja oft selbst als sehr progressiv und reflektierend betrachtet, ist im Moment festzustellen, dass dieser Testosteron-Überschuss erst jetzt immer mehr kritisiert wird und auch alte Szenehasen zum Umdenken aufgefordert werden. Du erwähntest, dass es sich im Metal-Bereich auch verbessert – gab oder gibt es auch dort diese szeneinternen Diskussionen bzgl. Sexismus und Feminismus? Oder woran machst du das fest? Was können wir alle deiner Meinung nach tun, um dieses Ungleichgewicht zu verbessern?
Na ja, die Musik und die ganze Attitüde war lange schon sehr jungs-fixiert. Frauen wurden da eher als schmückendes Beiwerk wahrgenommen. Dass die auch echte Metalheads sein können, obwohl sie nicht gerade die “Olle vom Präsi” sind, 150 Kilo wiegen und zum Frühstück den Mettigel mit einer Faxe runterspülen setzt sich erst langsam durch. Es gibt hier und da Tagungen und Workshops, um dieses Verständnis wachzurütteln, aber es nimmt jetzt nicht solche Ausmaße an, wie in anderen alternativen Szenen. Sehr rührig ist da z.B. die Sängerin Britta Görtz (Ex- Cripper/Critical Mess). Meiner Meinung nach könnte da mehr passieren, aber Metaller sind oft auch ein recht konservatives Völkchen.
Das Verhältnis auf der Lesebühne scheint da ausgeglichener. Sind die Slam-Poeten da fortschrittlicher, oder woran liegt das?
Das ist jetzt dünnes Eis, da ich keine Frau bin, das also nicht hundertprozentig beantworten kann. Ich denke mal, dass Metal schon in der Präsentation sehr maskulin geprägt ist, siehe Manowar. Poesie hat diesen Moschusstallgeruch nicht, aber man muss sagen, das der Faktor “Wettbewerb” auch viele Poetinnen abschreckt. Da sind immer noch verstaubte Rollenklischees in der Erziehung zu erkennen: Jungs müssen sich batteln, Mädchen heiraten dann nach Möglichkeit den Erfolgreichsten. Deswegen gab es auch im Poetry Slam lange einen großen Überschuss an männlichen Teilnehmern. Inzwischen bessert sich das, vor allem weil man auch in der Organisation verstärkt auf Parität achtet. Trauriger Anlass war die Aufdeckung einer ganzen Reihe von sexuellen Übergriffen und Erpressungen in der Szene. Also ist da auch nicht alles eitel Sonnenschein. Wir sind alle noch am Anfang eines langen Weges.
Wie kommt dein satirischer Blick auf die Metaller denn bei diesen an und wie bei Leuten außerhalb der Szene? Ist das schon special Interest Humor oder durchaus auch Normalo-tauglich?
Ich sage ja immer: “Ich lache nicht über Metal, ich lache mit Metal.” Wir wissen alle, dass wir ein seltsamer Haufen sind mit skurrilen Sitten. Und wer sich fünf Minuten mit mir beschäftigt weiß, dass ich schon lange Teil der Szene bin. Ich hab selbst in Bands gespielt, zu einer Zeit Metal aufgelegt, als alle meinten er wäre tot wie Beton, Konzerte und Party veranstaltet (und bisweilen heftig draufgezahlt), für Fanzines und Magazine geschrieben und ich krieg schlechte Laune, wenn ich eine Woche nicht auf einem Metalkonzert bin (Yeah, 2020 war super…). Die Leute merken also, dass meine Jokes nicht von ungefähr und nicht von irgendeinem außenstehenden Heinz kommen. Manchmal schreiben Leute, ich hätte ja keine Ahnung, aber wenn ich mir mal deren Profile angucke stellen die sich meist als irgendwelche siebzehnjährigen Bubis heraus. Das ist dann schon fast wieder süß.
Ich hab zwei Arten von Metaltexten. Die eine Hälfte kann ich nur vor kundigem Publikum lesen, die leben vom Insiderwissen. Die andere Art ist so allgemein gehalten, dass ich sie auch vor Zuschauer*innen bringen kann, die null Ahnung von der Materie haben. Ich denke mal, das wird übertragen. Z.B. Szenezankereien oder Diskussionen kennt ja jeder aus Vereinen oder anderen Kulturen. Wenn ich von unleserlichen Black Metal-Schriftzügen rede kann man das auf Graffiti übertragen usw.
Ich bin oft selbst überrascht, wie gut Metaltexte vor “normalem” Publikum funktionieren.
Du deutest gerade die Situation unter Corona an. Was war für dich letztes Jahr überhaupt möglich? Als DJ, als Autor, als Fan? Und bist du mittlerweile von deinen Auftritten finanziell abhängig oder hast du noch einen Brotjob?
Meine Haupteinnahmequelle sind nun mal Liveauftritte und da war 2020 ein heftiger Tritt ins Gemächt. Zum Glück gab es im Sommer viele Bühnen, die mir die Möglichkeit von Gagenauftritten boten. Dazu kamen einige Streamsachen u.a. auch für z.B. virtuelle Firmenfeiern. Aber am Ende des Jahres sah es sehr düster aus. Zum Glück hat mir ein Fan Hilfe angeboten. Sie arbeitet als Steuerberaterin und hat mir Hilfe bei den Anträgen für Überbrückungshilfe angeboten. Denn es gibt durchaus staatliche Hilfen, nur sind die hinter so hanebüchenen Hürden versteckt, dass man als Otto-Normal-Künstler da wie der Ochs vorm Berge steht. Das ist ungefähr so, als würde man mit gebrochenen Knochen und inneren Blutungen auf der Straße liegen, dann kommt ein Rettungshubschrauber, der aber nicht landet, sondern nur eine Strickleiter runterlässt und dann sagen sie dir: “Helfen werden wir dir schon, aber dafür musst du schon hochklettern.” Und auf der anderen Fahrspur ist die Frau Lufthansa, die sich einen Nagel abgebrochen hat und sofort mit einem goldenen Bus abgeholt wird.
Aber ich komme zurecht. Als Fan ist es allerdings extrem frustrierend. Wer hätte gedacht, dass man mal schwitzige Oberkörper, Bierduschen und lange Warteschlangen an der Theke vermisst? Früher verging eigentlich keine Woche bei mir ohne ein Konzert. Ich verdurste, was das angeht.
Hat diese Situation schon Einfluss auf deine Texte genommen? Normalerweise sind deine Texte ja schon vom Alltag inspiriert; taucht Corona in deinen neuen Texten, deinem neuen Roman auf, oder bist du so genervt davon, dass du das bei deinem Schreiben ausblendest? Und gibt es, davon unabhängig, Sachen oder Situationen von denen du dich gerne oder besonderes gut inspirieren lässt?
Da mein nächster Roman nicht in der Gegenwart spielt hat die augenblickliche Lage keinen Einfluss darauf, zumal das Konzept schon länger steht. Allerdings habe ich noch einen weiteren auf Halde, der in einer relativ isolierten Situation spielt, den habe ich tatsächlich weiterschreiben können, weil der Lockdown das Feeling ganz gut beeinflusst hat.
Was meine Texte angeht, will ich Corona da raus halten soweit es geht. Das Thema geht mir dermaßen auf den Zünder, das ich das nicht auch noch da rein packen muss. Wenn es um ernste Texte geht, gehen einem auch abseits der Pandemie die Themen nicht aus. Und bei den lustigen Sachen will ich meine Lesefrösche ablenken von dem Mist, der gerade abläuft. Wer, wenn nicht wir Autor*innen können den Eskapismus bieten, den alle gerade ein bisschen brauchen?
Eine weitere Form der Zerstreuung bietet die Musik. Als DJ legst du ja wahrscheinlich nicht nur Sachen auf, die du magst. Was wird bei Sets immer gewünscht, was du privat niemals hören würdest?
Als DJ arbeite ich nur noch selten. Zum Glück muss man ja in der momentanen Situation sagen. Ich glaube, Partys wird es vor 2022 wohl nicht mehr geben. Insofern bin ich ganz froh, davon nicht mehr finanziell abhängig zu sein. In der Regel ist es aber so, das ich nichts auflege hinter dem ich nicht stehen kann. Selbst wenn ich bei fünfzigsten Geburtstagen oder Hochzeiten aufgelegt habe gab es keinen Helene Fischer-Schrott. Und wer sich beschwert soll halt nächstes mal genauer gucken, wen er oder sie da bucht.
Und wie sieht deine Musiksozialisation aus? Wie bist du zum Metal gekommen, welche Spielart des Metals favorisiert du? Was hörst du denn abseits davon: Pop, Schlager, Jazz…?
Basis war die Plattensammlung meines Vaters, da waren schon ganz gute Sachen bei: Status Quo, Chicago, ELO, Creedence Clearwater Revival usw. Als Kind war ich ein großer Fan von klassischer Musik und beinharter Beatlemaniac. Als ich das Weiße Album und “Revolution” und “Helter Skelter” darauf gehört habe wusste ich, dass laute Gitarren mein Ding sind. Als ich die ersten Metalalben gekauft habe, war ich ungefähr siebzehn. Metal ist seither schon meine Hauptmucke, aber ich liebe Musik im Allgemeinen und wenn etwas gut und mit Herz gemacht ist, ist mir das Genre scheißegal. Elektro, Motown, Jazz, intelligenter Hiphop, zeitgenössische Musik, Indie, Dark Wave, bei mir läuft alles. Sogar im Schlager oder Pop finden sich Perlen, man muss sie nur suchen unter all dem Plastikmist.
Wir bei Vinyl-keks.eu bevorzugen ja den analogen Musikgenuss. Welches Medium bevorzugst du: Vinyl, CD, Stream…? Und wie sieht es aus bei Büchern? Klassisch in Printform oder lieber Ebook?
Ich verstehe, warum Vinyl momentan so beliebt ist. Die Haptik ist großartig, das Coverartwork kommt richtig zur Geltung… aber ich bin mit Schallplatten aufgewachsen und die waren damals eine andere Hausnummer. Das waren Plastikscheiben. Schnell zerkratzt mit lieblosen Hüllen, die schnell verschandelt waren. Da fehlt mir halt die eigene Nostalgie. Dazu kommt, dass ich in meinem Leben zu oft umgezogen bin. Da macht Vinyl keinen Spaß. Also nutze ich hauptsächlich CDs, wobei ich dort inzwischen auch wert aufs Äußere lege, also lieber zu einer etwas teureren Edition greife als dem schnöden Plastikpack. Dennoch digitalisiere ich alles sofort, um die Musik mobil zu haben, da ich ja normalerweise ständig auf Achse bin. Man sollte allerdings nie unterschätzen, dass der Sound immer nur dann zur vollen Entfaltung kommt, wenn man ihn von dem Medium abspielt, für das er produziert und gemischt wurde. Am Ende des Tages ist mir das Drumherum Latte, mir geht es um die Musik.
Das letzte Jahr liegt ja noch nicht soweit zurück. Welche Band, KünstlerIn hat dich 2020 total geflasht?
Und welches Buch, das dich zuletzt begeistert hast, kannst du mir empfehlen?
2020 war nicht so das Jahr der Neuentdeckungen, da ich die meisten bei Livekonzerten mache. Ich habe mich endgültig in Tribulation verliebt, weil sie düsteren Metal mit dem Erbe von Fields of the Nephilim verbinden. Die Galactic Superlords haben mit “Freight train” bewiesen, dass sie für den Underground viel zu gut sind. Und Thundermother waren mein Soundtrack zum Sommer. Sie zeigen eindrucksvoll, dass man keine biologischen Eier braucht, um Hardrock mit Eiern zu machen.
Zuletzt mit Genuss gelesen habe ich “Der Untergang des Abendkleides” von Ella Carina Werner (kluge und witzige Storys aus dem Leben einer Frau in den Vierzigern), “Das kolumnistische Manifest” von Axel Hacke und “Middlesex” von Jeffrey Euginedes.