Die Reise geht weiter! Nachdem Musik trifft Literatur bei der letzten Ausgabe virtuell nach Leipzig gereist war, um mit Johannes Herwig über Jugendkulturen im Laufe der Leipziger Geschichte zu reden, geht es diesmal nach Düsseldorf. Die “Modestadt” wird Düsseldorf im Volksmund gerne genannt, ist aber natürlich weitaus mehr als das, kann es doch unter anderem mit einer langen Geschichte von Subkulturen aufwarten. Teil dieser Subkulturen ist schon lange Jonny Bauer, der hier in den 1990er Jahren das Fanzine Blurr ins Leben rief und auch seine in den 2000er gegründete Band Oiro ist hier beheimatet. 2017 veröffentlichte er bei dem großartigen Verlag Salon Alter Hammer seinen ersten Roman “Scheiternhaufen”, 2019 folgte in Kooperation mit Dirtshakes Jenz der Roman “Schanghai Schaschlik”. Scheinbar nebenbei haut er dann auch noch Kinderbücher auf den Markt… Über all diese Projekte sprach ich mit Jonny per Mail und er offenbarte sich wirklich als der “letzte Punk”, wie er sich gerne selbst bezeichnet, da er immer noch angepisst und wütend ist, voller Ideen und kreativ, also das ,was Punk ausmacht!
Moin Jonny, als Schreiberling bist du öffentlich erstmals mit dem Blurr Fanzine in Erscheinung getreten. War das Schreiben etwas, das du aus deiner Kindheit in deine Adoleszenz gerettet hast? Oder war diese Ausdrucksform damals Neuland für dich?
Das Schreiben war Neuland. 1988/89 habe ich angefangen. Der erste veröffentlichte Text war für das ZAP Hardcore Magazin, dann kamen Essays, Songtexte, Interviews. 1990 habe ich die erste Ausgabe des Blurr Fanzines herausgebracht. In erster Linie interessierten mich Geschichten von anderen aus der Punkszene. Das erzählen eigenen Geschichten kam erst viel später. Auch heute macht mir vor allem die Recherche zu einem Buch Spaß. Mit Fremden zu sprechen und ihre Story zu hören.
Als ich das Blurr Mitte der 1990er für mich entdeckte, war es aber schon mehr als nur andere Leute erzählen lassen, es war durch die Themen und die Art zu schreiben schon etwas besonderes.(Für mich jedenfalls) Sei so nett und erzähle doch noch ein bisschen Hintergründe zum Blurr, wer, wie, was warum… Und warum war irgendwann Ende?
Irgendwann war der Punkt erreicht, dass das Gelaber der interviewten Bands und Musiker nur noch langweilig war. Selbstbeweihräucherung, da ging es oft nur um die neue Platte, die Studioarbeit, die anstehende Tour. Die meisten Musiker hatten darüber hinaus nichts zu erzählen. Und wir, vom Blurr, wollten Teil einer lebendigen Bewegung sein. Dazu gehörte viel mehr als Punkmusik. Skaten, Surfen, Comics, Filme, Superhelden, Anarchie, Protestkultur, Kunst und unserer kritischen Haltung zur Gesellschaft, neu denken, anders leben. Blurr war unser Sprachrohr. Wir wollten der Szene unseren Style, unsere Meinungen, unsere Persönlichkeit ins Gesicht schreien.
Besonders am Blurr war wahrscheinlich, dass wir auch über Liebe, oder Alter geschrieben haben. Man konnte uns schon irgendwie durch unsere Texte kennenlernen. Wir waren keine Schreibtischtäter Journalisten, sondern haben über das geschrieben, was wir selber gelebt haben.
Wir bekamen sogar Leserbriefe, wo Menschen nach Beziehungsberatung fragten, so Bravo, Dr. Sommer mäßig. Das haben wir aber lieber sein gelassen. Nach ca. 15 Jahren und 26 Ausgaben habe ich das Blurr eingestellt. Ich wollte was Neues machen. Es war vorbei. Der Abschluss war die Veröffentlichung einer ungedruckten Ausgabe, Blurr Nr. 27 – Thema Arbeit, als Kunstausstellung in einer Düsseldorfer Galerie. Die Artikel und Bilder hingen an den Wänden, Bands sind aufgetreten und es gab Vorträge und Lesungen. Das Ganze lief 12 Wochen und ist dann für immer verschwunden. Das war cool.
Kurz danach habe ich einen Kunstverein gegründet und mich anderen Dingen gewidmet. Ein Magazin/Fanzine zu machen ist toll und ich denke gerne an die Blurr-Jahre zurück. Bekomme gerade Bock ein neues Heft zu machen, vielleicht mit Bernie vom Hamburger „Heft“, dem besten Zine seiner Zeit.
Und dann Oiro. Und eine ganz andere Weise des Ausdrucks. Am Anfang von Oiro zwar noch direkter als später, aber das Gesagte muss mit viel weniger Raum auskommen. Eine große Umstellung für dich?
Ich hatte vor Oiro schon Texte für andere Bands geschrieben, aber meist auf englisch. Die reduzierte Sprache, die Bedeutung jedes einzelnen Wortes bei einem Songtext ist für mich die schwierigste Art des Schreibens. Es fällt mir leichter lange Texte/Geschichten zu schreiben. Meine Oiro-Texte müssen immer und immer wieder überarbeitet werden. Erst sind es lose Ideen, dann wird es ein ausführlicherer Text, dann wird sortiert, weggeschmissen, umgebaut. Ich lasse mir vom ersten Entwurf bis zum fertigen Text Zeit, da der Text durch Pausen, Nachdenken, erneutes rangehen besser wird. Die Ideen für einen Text sind aber spontan und nicht konstruiert. Die Verständlichkeit eines Textes muss in erster Linie für mich funktionieren und nicht unbedingt für jeden Hörer. Und da es sich um einen Songtext handelt ist die Musik ja genauso wichtig. Manche Texte funktionieren nur in Verbindung mit dem Song. Texte zu schreiben ist wirklich anstrengend. Mir geht es vor allem darum eine Haltung rüberzubringen.
Deshalb dann 2017 mit “Scheiterhaufen” die Rückkehr zum langen Text? War dir direkt klar, dass diese Idee für einen Roman taugt, oder hätte es auch ein Song Text werden können?
Nach dem Ende von Blurr habe ich weiter lange Texte geschrieben für Ausstellungskataloge, Zeitungen und Zeitschriften, Hörspiele, Theater. Blurr verwandte Texte erschienen ein paar Jahre lang im Kunstmagazin READ, was von Ale (ex-die Goldenen Zitronen/Buback Rec.) herausgegeben wurde.
Einen Roman hatte ich bis dahin noch nicht geschrieben, auch kein Manuskript zu einem Buch. Die Idee kam mir wieder einmal durch das Leben selbst. Nach einer Argentinien Reise und einem Dokumentarfilmprojekt hat sich das Buch fast von selbst geschrieben. Namen wurden geändert, Ereignisse dazu gedichtet, Dinge vermischt und vertauscht, Charakter erfunden, aber der rote Faden blieb erhalten. Einige Passagen sind eins zu eins übersetzte Interviews, die in Buenos Aires geführt wurden.
Und die daraus resultierende Lese Tour war Vorbild für “Shanghai Schaschlik”? Waren ja keine “normale” Lesungen, wie man sie aus dem Literatur Betrieb sonst so kennt…
Die Idee für Shanghai Schaschlik stammt aus dem Buch „Scheiternhaufen“, dort erwähnt der Hauptprotagonist, Paul, dass er mal einen fiktiven Restaurantreiseführer schreiben will, über Chinarestaurants. Helge Schneider hat sowas mal gemacht, über Orte, an die er nie gereist ist .Ich wollte gerne mit Jenz Bumper zusammen etwas schreiben, da wir viele Lesungen zu Scheiternhaufen gemeinsam gemacht haben. Dialoge ließen sich zu zweit besser rüberbringen. Jenz hatte seine E-Gitarre dabei und wir spielten zwischen den Textpassage Garage-Punk Stücke.
Ich gehe ganz selten auf Lesungen, dass ist mir zu langweilig, mich interessiert nicht wie der Autor/Autorin aussieht. Ein Schriftsteller muss ja auch nicht zwangsläufig gut lesen, performen können.
Jenz und ich spielen ja schon lange in Bands und haben immer wieder versucht obskure Sachen auf die Bühne zu bringen und so wurden die Lesungen zu Scheiternhaufen total verrückte Abende. Als die Lesereise gebucht wurde, dachte ich es wäre cool nicht nur die übliche Lesung am Abend zu machen, sondern gleich drei Lesungen pro Tag. Morgens zum Beispiel in einer Buchhandlung/Café mit Frühstück, dazu ein erstes Glas Pernod, am Nachmittag dann in einem kleinen Plattenladen und Abends in einer Bar/Squat/Kulturzentrum. Dadurch war immer was los, kein Leerlauf, jeden zweiten Tag ging es zwischendurch noch zu dem lokalen Radiosender für eine Radiolesung und Interview. Wir hatten ein kurzes, halbstündiges Programm und ein langes eineinhalbstündiges Programm auf Lager. Jedenfalls hat das astrein funktioniert und ich habe beschlossen Jenz bei seinem großen Traum vom eigenen Buch zur Seite zu stehen. Ich habe noch nie gemeinsam geschrieben, was erstklassig funktioniert hat. Geht auch viel schneller.
Ich fand auch, dass man diese Freude die ihr gemeinsam hattet, dem Buch anmerkt. Der Wunsch, Freunde bei deiner Arbeit einzubinden, war der auch entscheidend bei der Wahl des Verlags? Dieses Ramones Thema bei Scheiternhaufen, wäre das nicht populär genug für einen größeren Verlag gewesen? War das zu diesem Zeitpunkt überhaupt eine Überlegung, die du in Betracht gezogen hast?
Bei Scheiternhaufen habe ich ausschließlich Max und Sabine vom Salon Alter Hammer Verlag gefragt. Für mich passt das Buch da perfekt rein und die Beiden kommen auch aus der gleichen Punkecke wie ich. Wir sprechen dieselbe Sprache. Ihr Lektorat war auch großartig. Große Verlage, wie auch große Labels können nicht annähernd so gut für einen Autor arbeiten, wie Indie-Verlage das machen.
Meine Kinderbücher werden teilweise bei den größten deutschen Verlagen veröffentlicht, dafür muss ich eine Literaturagentin haben, bei der LIT Cologne auftreten, mich auf Messen zeigen. Das ist alles Mist, da versteht einen niemand. Die wollen nur verkaufen, verkaufen, verkaufen, da geht es nur um Zahlen. Die Einnahmen vom Verkauf werden dann für Werbespots rausgehauen, die ein paar Wochen in der Berliner U-Bahne eingesetzt werden. Wie wäre es damit, den Autor anständig zu bezahlen. Ich bekomme 60 Cent für jedes verkaufte Buch. Der Ladenverkaufspreis liegt bei 12.99 Euro! Bei dem Kinderbuch „Ein Affe an der Angel“ wurde wahnsinnig viel korrigiert. Ich sollte nach Willen des Verlags jeden zweiten Satz ändern und bekam Anmerkungen wie „zu phantasievoll“ reingeschrieben. Ich spüre da weder Interesse an mir als Autor, noch an den Geschichten, die ich erzählen will. Ich bin da jetzt vorsichtiger und sage auch mal einem großen Verlag ab. Mein neues Kinderbuch Kaya und Flo, an dem ich gerade arbeite, kommt bei einem tollen, kleineren Verlag raus. Da habe ich schon beim ersten Gespräch gemerkt, das passt.
Affe an der Angel, ein Herzensprojekt für deine Kinder, so liest es sich zwischen den Zeilen. Hast du die Geschichten schon vorher erzählt und “nur” noch mal Aufgeschrieben oder für das Buch was ganz neues erschaffen. Wo war für dich der Unterschied beim Schreiben zu deinen sonstigen Schreibarbeiten?
Mein Sohn heißt Darko, wie der Protagonist aus „Ein Affe an der Angel“, dass wollte ich gerne so machen. Witzig ist, dass der Verlag auch das ändern wollte. Darko würde sie zu sehr an „Donnie Darko“ erinnern und der wäre doch so gruselig. Das hält dich Eltern vom Kauf des Buches ab. Auf so einen Zusammenhang muss man erstmal kommen. Aber ich konnte die Änderung abschmettern. Das Buch war als großes Bilderbuch konzipiert mit der Geschichte „Fang“, jetzt ist es ein Lesebuch mit Illustration und drei Geschichten geworden. Die Geschichte hat mit meinen Kindern eigentlich nicht viel zu tun. Es gibt natürlich einige Anleihen an die Realität, aber wie gesagt, dass ist bei allen meiner Bücher so.
Das Buch „Sei endlich still“, habe ich mit meiner Tochter erdacht, wir haben uns morgens im Bett die Bälle zugespielt und die Geschichte gemeinsam entwickelt. Kinderbücher zu schreiben, meine sind bis jetzt alles Bilderbücher für 4-10 jährige und keine Jugendromane, ist nicht so ganz so aufwendig und anstrengend. Da steht eine kleine Geschichte im Vordergrund. Die Zeichnungen sind ebenso wichtig wie die Worte. Mir macht das viel Spaß, besonders mit jemanden wie Lomp als Illustrator zusammen zu arbeiten. Es ist schön, jemanden zu haben mit dem man die Geschichte besprechen und verändern kann.
Hat es dich nicht gereizt, die Illustrationen selbst zu machen?
Das kann ich nicht, außerdem ist es doch super mit jemanden was zu machen, der so tolle Sachen kann, wie Lomp. Ich arbeite mit verschiedenen Illustratorinnen und auch Shanghai Schaschlik gemeinsam mit Jenz Bumper zu machen, war geiler als es alleine zu schreiben. Ich muss mir da auch nichts beweisen. Ich bin immer für Gruppen, auch ohne Therapie.
Der Preis vom Affen an der Angel wurde vom Verlag auf 4,99 € gesenkt, einerseits leider kein Zeichen für einen guten Verkauf, andererseits zeigt es auch welche Spanne da möglich ist… Deine Erfahrungen erinnern an die von kleineren Bands, die vom Indie-Label zum Major Label wechseln, voller Hoffnung dort ein größeres Publikum zu erzielen, dann aber an den Bedingungen, die damit verknüpft sind verzweifeln.
Der Verlag hat nach zwei Jahren beschlossen „Ein Affe an der Angel“ aus dem Programm zu nehmen, da sie nicht erwarten eine zweite Auflage zu drucken. Um die restlichen Stückzahlen zu verkaufen wird die Buchpreisbindung aufgehoben und alle Exemplare wurden an Thalia verkauft, die es dann zu 4,99 € verkaufen.
Große Verlage machen das oft so. Das ist natürlich scheiße, zumindest werden die Restbestände nicht vernichtet, sondern alle verkauft. So ein großer Verlag lässt eine Erstauflage von 7.000 – 25.000 drucken.
Verbuchst du diese Erfahrungen unter eigener Naivität? Bist du da, rückblickend, zu blauäugig rangegangen?
Ja, ich brauche keinen Sektempfang im deutschen Pavillon, kein Verlegerabendessen, kein Hotelzimmer. Ich hatte vorher vergessen mir Gedanken darüber zu machen was es bedeutet dort zu unterschreiben. Das schlimmste daran ist aber nicht das Umfeld, sondern das Desinteresse an den Geschichten. Es geht wie in jeder anderen Branche auch, nur um den Gewinn. Bei Literatur denkt man vielleicht es wäre anders. Das ist naiv.
Die oben von mir genannte Parallele zwischen Musik und Buchbranche kannst du die bestätigen? Hast du als Musiker jemals überlegt den Independent Sektor zu verlassen?
Ich bin kein Musiker, sondern Punkrocker. Ich würde mit Oiro niemals unseren DIY Status eintauschen wollen. Wir machen was wir wollen und wie wir es wollen. Ich habe 10 Jahre lang das Label Blurr Rec. betrieben und kenne mich ganz gut aus, wie es läuft. Selbst sogenannte Indie-Punk-Labels arbeiten heutzutage selbstverständlich mit Verträgen und Klauseln, die der Band vorschreibt wie viele Konzerte sie im Jahr spielen muss, um die neue Platte zu promoten. Das war vor 20 Jahren anders. Verträge, dass war was für Immobilienmakler und Versicherungsgesellschaften. Oiro begreift sich als Gegenkultur und ich finde das dies mehr als die Musik beinhaltet. Wie hoch sind die Eintrittspreise beim Konzert, spielt man auf gesponsorten Veranstaltung, möchte man unter dem Banner der Sparkasse, Becks oder VW seine rauen Songs promoten. Das ist nichts für uns.
Hat Punkrock deiner Meinung nach denn heutzutage noch das Potenzial diese Gegenkultur aufrecht zu erhalten?
Auf jeden Fall ist Punk ein Teil dieser Gegenkultur. Wichtig ist nach neuen Denkansätzen und Gestaltungsmöglichkeiten zu suchen und nicht in starren Strukturen stecken zu bleiben. Kompromisse sind dafür nicht hilfreich. Mittlerweile fragen Kulturschaffende aus sogenannten Off-Szenen bei der Stadt an um Proberäume, Kunsträume, Veranstaltungsräume zugewiesen zu bekommen. Das klappt nicht und ist für mich nicht nachvollziehbar. Wir wollen doch nicht mit der Stadt, wie auch immer regiert, zusammenarbeiten, sondern unser Leben selbstbestimmt entwickeln. Auch hier verstehen die Verantwortlichen meistens nicht worum es uns eigentlich geht. Die Mitarbeiter der Kulturämter stecken in der Bürokratie fest.
Teile der Punk Szene hatten es sich in den letzten Jahren auch in ihren Gedankenmustern, in ihrer Nische Subkultur bequem gemacht und werden jetzt durch eine neue Generation aufgefordert, den Status Quo zu hinterfragen. Kommt nicht bei allen alten Hasen unbedingt gut an und wenn man sich so manche Internet”diskussion” so anschaut, möchte man den Leuten doch ein gepflegtes “Oi Spießer gib mal Feuer…” (Anmerkung: ein Song aus dem frühen Repertoire der Band Oiro) entgegnen. Hast du eine Meinung zu der aktuellen #punktoo Bewegung?
Ich bin nicht bei facebook und verfolge die Diskussion nicht direkt. Wenn ich von Punk rede, meine ich Bands wie die Goldenen Zitronen oder auch Stereo Total, bei denen die Musik mit dem „klassischen Punk“ nichts zu tun hat. Diese Bands, wie auch unsere Herangehensweise ist eine künstlerische, die viel offener ist und nichts mit der spießigen konservativen Punkszene von der du sprichst zu tun hat. Festivals wie Ruhrpott Rodeo entsprechen nicht meiner Definition von Punk. Das Machogehabe, was besonders stark in der Hardcorebewegung Anfang der Neunziger war, war schon immer unerträglich beschissen. Wer braucht diese Idioten die oben Ohne slammen und um sich schlagen. Total uninteressant und überflüssig. Diese Punkszene war nie offen und experimentierfreudig. Viele Menschen, die Bewegung in die Szene gebracht hätten wurden ausgegrenzt. Menschen mit ausländischen Wurzeln, Geflüchtete, Schwule, Queer, Frauen. Die #punktoo Bewegung ist enorm wichtig und hätte natürlich schon vor Jahrzehnten existieren müssen. In Amerika gab es Riot Girrl, dass war ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Ich bewege mich in einem anderen Punk, wie erwähnt, bei uns sind mehr Frauen und zum Beispiel Schwule aktiv, in Vorständen von Kunstvereinen, Anti-Gentrifizierungsgruppen, Künstlerinitiativen.
Da ist der alternative (Punk) Kunstbereich von je her offener.
Welche aktuellen, jüngeren Bands oder MusikerInnen transportieren für dich deine Vorstellung von Punk? Und gibt es auch in der Literatur AutorInnen die dich prägen oder prägten, vom Stil und/oder von der Attitüde?
G.L.O.S.S. – Girls Living Outside Society`s Shit – fand ich super, das war Hard-Core-Punk, transgender, wütend, frustriert, ausgeschlossen, kompromisslos. Pisse sind sehr gut. Chukamuck spielen das Funpunk-Ding in modern, spaßig und wild.
Ich lese alles von Matt Ruff, seinen letzten Roman gibt es auch als TV-Horror-Serie, „Lovecraft Country“, zu empfehlen. Mein Lieblingsbuch von ihm ist „Ich und die anderen“, über eine multiple Persönlichkeitsstörung, phantastisch. Popliteratur von Sven Regener, wie „Wiener Straße“ hat Tempo, viel Gerede über nichts, außer dem Gefühl dabei gewesen zu sein. Sehr echt. Ich habe immer ein Buch, da ist alles außer Fantasy und Crime dabei. Ich kann nicht sagen, wer mein Schreiben direkt beeinflusst. Es gibt immer einen Stapel Bücher die meinen Schreibprozess begleiten. In letzter Zeit haben mir Juli Zeh „Neujahr“, „Arbeit“ von Thorsten Nagelschmidt und die Jugendbücher „Die Wolke“, „Tanz der Tiefseequalle“ Spaß gemacht. Gerade habe ich ein Buch von Patti Smith beendet und als nächstes kommt das neue Buch von Benedict Wells „Hard Land“.
Bücher aus dem Verbrecher Verlag, wie „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“, aus der Edition Nautilus wie „Taksim ist überall“ und aus der Edition Tiamat, wie „Vom Imperiengeschäft“ sind wichtig und großartig.
Hat dich beim Lesen schon das E- Reading erreicht, oder liest du lieber das Druckerzeugnis? Und wie schaut es beim Musikhören aus? Vinyl, CD, Stream, hast du ein Lieblingsmedium?
Ich lese nur gedruckt, bin ja auch Grafiker und gestalte Bücher, Kunstbücher, Fotobücher. Typografie ist ganz wichtig und ein Buch reist mit, verknittert, verblast, lebt. E-books brauche ich nicht.
Ich kaufe nur Vinyl, hab aber auch, wegen der Kinder, (Ausrede) ein Spotify Abo. Was ja ein Scheißverein ist. Meine Jahresabrechnungen belegen das und sind immer sehr witzig. Aber fast alles ist verfügbar, dass macht es verführerisch und im Hintergrund beim Arbeiten Neues, Unbekanntes zu hören, oder alte Songs wiederzuentdecken ist schon toll. Leider.