Für den heutigen Sonntag haben wir für Euch ein MusInclusion Interview mit Gründungsmitglied Tek von der Stuttgarter Oi!-Punk Band Herbärds geführt. Die Band wurde 1979 unter dem Namen Total Kaputt in Stuttgart gegründet und besteht heute als Herbärds aus Rolf (Drums), Magge (Bass), Steffen (Gitarre), Kurt (Gitarre) – und eben Tek (Gesang). Vor 34 Jahren hatte der Sänger einen schweren Motorradunfall, bei dem er sein Bein verloren hat. Er erzählt uns, was sich seitdem für ihn in Bezug auf die Musik verändert hat, wie er mit Barrieren in Locations umgeht, und welche Erfahrungen er zum Thema Inklusion und Punk gemacht hat.
Tek, vor jetzt 34 Jahren hattest Du einen schweren Motorradunfall, bei dem Du ein Bein verloren und Dir den linken Arm zertrümmert hast. Wie hat Dich der Unfall verändert und wie bist Du mit der daraus resultierenden körperlichen Einschränkung in Bezug aufs Musik machen nach dem Unfall umgegangen?
Als ich nach 4 Wochen künstlichem Koma wieder aufgewacht bin, wurde mir schmerzlich klar, dass mein Leben in der alten Form vorbei war. Daraufhin fiel ich erst einmal in ein tiefes Loch, ich nenne es meine dunkle Zeit. Ich brach viele Kontakte ab, zog mich sehr zurück und wollte auch von der Musik nichts mehr wissen. Alles vor dem Unfall waren für mich schmerzliche Erinnerungen, zusätzlich war ich voll und ganz damit beschäftigt wieder auf die Beine zu kommen. Das im wahrsten Sinne des Wortes. Pedder von der Band Daily Terror war einer der wenigen, mit denen ich noch Kontakt hatte. Er brachte mich sogar dazu, für seine „Tollschock“-Sampler ein paar Herbärds Songs aufzunehmen und musikalisch wieder aktiv zu werden. Mitte der Neunziger beschloss ich, eine düstere Punkband namens AHAB als Therapie für mich zu gründen. Genauso düster sah es in mir aus und als Einbeiniger war es naheliegend, die Band AHAB nach dem Kapitän aus „Moby Dick“ zu nennen. Die Idee war, durch diese Art Musik mein Schicksal anzupacken und in den Griff zu bekommen. In den Texten, die ich dafür schrieb, geht es viel um Tod und Verlust, was ich ja hautnah erlebt hatte. Ich konnte mir damals kaum vorstellen, mit meiner Behinderung wieder auf einer Bühne zu stehen. Mein Gedanke war: „Wenn ich das schaffe, habe ich es für mich geschafft mit den Unfallfolgen umzugehen und zu leben“. Mein Plan ist zum Glück gelungen. Heute geht‘s mir gut, ich habe wieder Freude am Leben.
Das freut mich sehr zu hören! Von anderen Menschen, die ebenso durch einen Unfall oder durch andere Umstände erst zu einem späteren Lebenszeitpunkt begonnen haben, mit einer Behinderung zu leben, weiß ich, dass sie ihr Leben in die Zeit vor und die Zeit nach dem Ereignis aufteilen. Ist das bei Dir auch so?
Ja, auf jeden Fall. Als mein Unfall passierte war ich ja ein junger Mann Anfang zwanzig. Ich machte mir, wie für das Alter typisch, keine Gedanken über das Morgen und die Zukunft. Für mich gab es die Herbärds, Motorrad fahren, Party und um das Ganze zu finanzieren, die Arbeit. Tja, und von heute auf morgen, durch einen großen Knall, war alles anders und mein Leben in der gewohnten Art nicht mehr möglich. Vergleichbar mit einem Computer, bei dem ein Reset durchgeführt wurde – alles musste neu gelernt werden.
Die Herbärds gab es ja, wie bereits von Dir erwähnt, schon vor Deinem Unfall. Wie hat dieses Ereignis sich auf auf die Band und/oder eure Musik ausgewirkt?
Die Band gab es schlicht und einfach danach nicht mehr. Wir wollten uns schon davor verändern und neue Wege gehen, wussten aber noch nicht genau wohin die Reise gehen sollte. Mein Unfall und mein kompletter Rückzug waren dann zunächst das Aus für die Herbärds. Alle Bandmitglieder gingen ihre eigenen musikalischen Wege oder hörten ganz auf Musik zu machen.
Auswirkungen auf die Herbärds heute sind, das ich den ein oder anderen Text über das Thema geschrieben habe, oder es hin und wieder auch einfließen lasse (“Ein kurzer Augenblick” (1991), “Licht und Kraft” (2000), “Wir sind zurück”)
Schön, dass ihr wieder zusammengefunden habt! Hast Du Hemmungen in Bezug auf Deine Behinderung innerhalb der Band und/oder Deinem sozialen Umfeld gespürt? Und wenn ja, war Dir das unangenehm oder warst Du selbst eher froh, sie nicht zu thematisieren?
Nach so einem harten Schicksalsschlag mit plötzlicher sichtbarer körperlicher Behinderung, hat man natürlich Hemmungen sich zu zeigen und auf Leute zu zu gehen. Ich konnte, wie schon erwähnt, mir lange nicht vorstellen, jemals wieder eine Bühne zu betreten. Ich war für einige Zeit körperlich auch gar nicht in der Lage dazu. Heute ist das völlig anders. In der Band ist meine Behinderung eigentlich nur ein Thema, wenn der alte Mann beim Proben einen Stuhl zum Ausruhen braucht. Die Aufgaben sind klar verteilt, meine Jungs tragen die Boxen und Instrumente, ich die Organisation und die Schlüssel, lach. Die Burschen nehmen mich ansonsten so wie ich bin.
Das klingt nach einem guten Bandklima 😉 Was hat sich für Dich/Euch verändert bezüglich (un-)überwindbarer Barrieren im Konzert Zusammenhang (sowohl vor als auch auf der Bühne)? Hast Du vor Deinem Unfall darauf geachtet, ob eine Location barrierefrei ist?
Ich habe das Glück, dass ich mit meiner Prothese eigentlich überall hinkomme. Treppen z.B. sind kein Problem. Generell muss ich aber sehr auf mein Umfeld achten. Auf der Bühne dürfen keine Stolperfallen sein, schon gar nicht da wo ich stehe. Es darf auch nichts Unnötiges herum liegen, über das ich fallen könnte. Direkt vor der Bühne bin ich nie, dort ist es meist rutschig vom Bier und die Zeit, in welcher ich Pogo tanzte sind vorbei. Wäre ja blöd, wenn in der Zeitung am nächsten Tag stehen würde: Konzertgast von umher fliegender Beinprothese verletzt. Lach. Wenn wir irgendwo nach einem Konzert übernachten, brauche ich dann noch ein geeignetes Zimmer.
Als Konzertgast halte ich mich in der Regel im Hintergrund auf um einen der wenigen Sitzmöglichkeiten zu ergattern. Gedränge ist für mich sehr anstrengend, dort ist die Gefahr mit der Prothese das Gleichgewicht zu verlieren einfach zu groß.
Vor meinem Unfall habe ich ehrlicherweise auf barrierefreie Locations nicht geachtet. Wenn man selbst keine Einschränkung hat, oder sich keine Menschen mit Behinderungen im persönlichen Umfeld befinden, ist ja alles kein Problem. Heute fällt mir jede Treppe, jede Stolperfalle oder nasser Boden auf. Ich bin auch froh das mir ein Rollstuhl erspart geblieben ist, die Barrieren in den Konzert Locations für die Rollis sind noch bei Weitem größer.
Leider sind viele Clubs nicht barrierefrei. Ursache hierfür ist oft die Bausubstanz, viele der Locations befinden sich in Kellern oder alten Gebäuden. Für dringend benötigte Renovierungsarbeiten, z.B. eine rollstuhlgerechte Toilette, ist kein Geld da. Wenn es ums Geld geht, werden gute Vorsätze leider schnell über Bord geworfen. In neuen Jugendhäusern ist das zum Glück inzwischen meist anders. Das ist zumindest mal ein Anfang, aber generell ist da natürlich viel Luft nach oben.
Ja, defintiv…Was bedeutet für Euch Inklusion? Wie passen für Euch Punk und Inklusion zusammen?
Aus meiner Sicht passen Punk und Inklusion sehr gut zusammen. Bei den Konzerten wird kein Unterschied zwischen Menschen mit und ohne Behinderung gemacht. Es zählt das gemeinsame Erlebnis und obwohl es bei den Konzerten oft ordentlich zur Sache geht, passt man aufeinander auf. Fällt jemand, wird ihm aufgeholfen, wird jemand verletzt, wird er versorgt.
Welche Erfahrungen habt ihr mit dem Thema in den letzten Jahren in der Szene gemacht?
Meine Erfahrungen von Herbärds Konzerten sind positiv. Viele wissen nichts von meiner Behinderung und schauen dann erst einmal überrascht, wenn ich mich ohne Prothese mit einem Bein als Sänger der Herbärds vorstelle und den Veranstalter suche. Bei längeren Fahrten lasse ich die Prothese weg, das ist bequemer. Die Hilfsbereitschaft ist nach der ersten Überraschung groß. Mir wurde schon angeboten mich in den Backstage Raum in den 1. Stock zu tragen oder es wurde mir aus Bierbänken eine Treppe zur Bühne gebaut. Meist langt aber eine Bierkiste als Tritt.
Beim Konzert selbst ist es den Leuten glaube ich ziemlich egal, ob der Sänger ein, zwei oder drei Beine hat, Hauptsache die Musik ist laut und ehrlich. Ich habe auch vor meinem Unfall nicht viel auf der Bühne herum geturnt, daher vermisst das niemand.
Nach einem Konzert werde ich schon mal gefragt, warum ich eigentlich humple oder komisch gehe. Aber wenn ich dann sage, ich habe eine Beinprothese ist das Thema abgehakt. Negative Sprüche wegen meine Behinderung habe ich dort noch nie erlebt. Vielleicht sind die Leute die sich daran stören schon vor Ende des Konzerts gegangen. Ich weiß es nicht.
…oder es stört sich einfach niemand daran 🙂 Obwohl das Thema Inklusion das einzige ist, das uns ALLE irgendwann auch direkt betreffen kann, wird es in der Szene noch immer weitestgehend zurückhaltend behandelt- was denkt ihr, sind die Gründe dafür?
Es ist wie mit jedem schwierigen, unangenehmen oder tabuisiertem Thema. Man will sich nicht damit beschäftigen so lange es einen nicht betrifft. Aus den Augen aus dem Sinn – mich betrifft das ja alles nicht und ist weit weg.
Gibt es etwas, was ihr in diesem Zusammenhang noch loswerden würdet?
Meine schönsten Erlebnisse in Punkto Inklusion habe ich durch meinen Sohn erleben dürfen. Er war eine längere Zeit Torwart in einer Blindenfussball-Mannschaft. Ja das gibt es, sogar eine Liga. Bei dieser wunderbaren und beeindruckenden Weise Fußball zu spielen, sind Menschen mit und ohne Behinderung in einer Mannschaft und üben ihren Sport gemeinsam aus. Ich kann es jedem nur empfehlen, sich mal ein solches Spiel anzusehen. Es ist beeindruckend und die hoch bezahlten Fußball Profis können sich dort eine dicke Scheibe abschneiden – in jeglicher Hinsicht.
In Stuttgart gibt es die die Gruppe von Menschen mit und ohne Behinderung, die Theater spielen. Unter dem Namen Inclusio – Jeder wie er kann, einfach klasse. Die Gruppe ist auch international unterwegs und wird von Musikern unterstützt.
Es wäre wünschenswert, dass die Städte und Gemeinden mehr Geld in die Hand nehmen um Projekte dieser Art zu unterstützen, Clubs und Veranstaltungsräume barrierefrei zu gestalten und nicht nur von Inklusion reden und über massive Kosten jammern.
Von Veranstaltern und Clubbetreibern, würde ich mich mehr Sitzmöglichkeiten, sprich Barhocker wünschen. Auch wenn das nicht immer einfach ist oder geltenden Vorschriften widerspricht. Der ein oder andere alte Punk wird es Ihnen auch danken.
Vielen Dank Tek, für Deine Offenheit und das spannende Interview und Alles Gute für die Zukunft!