In der heutigen Ausgabe unserer MusInclusion – Interviewreihe haben wir uns mit Reno, Dicki , Lampe und Jo der nordwestmecklenburgischen Punk Band Don Kanaille ausgetauscht. Sie erzählen im Folgenden, wie das Thema Inklusion sie als Band betrifft, wie sie mit Barrieren im Touralltag umgehen und wie für sie Punk und Inklusion zusammenpassen. Freut Euch auf ein spannendes und vielseitiges Interview, viel Spaß beim Lesen!
Hallo zusammen, stellt Euch doch bitte zunächst einmal kurz vor!
Moin. Ich bin Reno, bin querschnittsgelähmt und sitze im Rolli. Ich bin seit einiger Zeit mit Don Kanaille unterwegs und singe in der Band ein bisschen mit, verkaufe Sachen und fahre gerne das “Knallomobil”.
Hallo, ich bin Dicki und spiele Schlagzeug.
Moin, Ich bin Lampe. Ich schreib ein paar Texte, mach den Bass und übernehme ein paar Back-Vocals.
Moinsen, Jo. Ich mache quasi das gleiche, wie Lampe. Nur mit der Gitarre halt.
Mauzi, der Sänger, war bei dem Interview nicht dabei. Als Sänger muss er bei Konzerten schon immer so viel reden.
Da ich während der ersten Interviews festgestellt hatte, dass eine große Verunsicherung diesbezüglich herrscht und ich der Meinung bin, dass sprachliche Barrieren auch Barrierefreiheit verhindern (oder behindern…) würde ich gerne von Euch wissen, was für Euch persönlich die politisch korrekte Bezeichnung von Menschen mit Behinderung ist, bzw. welche Bezeichnung/en ihr selbst verwendet?
Reno: Ich selbst sage immer behindert/Behinderung, weil es so ist. Das ist in keiner Weise schlimm. Nur auf den Punkt gebracht.
Lampe: Wenn es um eine korrekte Bezeichnung für Personen geht, die eine Behinderung erfahren haben, herrscht ‘ne Menge Unklarheit. Ich würde immer von einem Menschen mit Behinderung reden. Am besten fragt man diejenigen, die mit einer Behinderung leben.
Dicki: Ich denke, Menschen mit Behinderung ist korrekt ausgedrückt. Oder Anglizismen, Menschen mit Handicap.
Menschen mit Behinderung oder behinderte Menschen wird allgemein bevorzugt verwendet. Da ich aber auch schon mit Menschen gesprochen habe, die diese Bezeichnung abgelehnt haben, finde ich auch: Wenn sich die Gelegenheit bietet, ist der beste Weg, sein Gegenüber einfach zu fragen, wie er selbst bezeichnet werden möchte. Inwiefern betrifft Euch als Band denn das Thema Inklusion? Wie geht ihr innerhalb der Band damit um?
Reno: Dazu kann ich nur sagen, dass die Band Jungs/Veranstalter:innen sehr verständnisvoll sind, Möglichkeiten schaffen oder versuchen, Probleme einfach in den Griff zu bekommen.
Lampe: In jeglicher Form, in unseren Texten, in unserer Musik, die es uns erlaubt, unsere vorhandene Gesellschaft zu hinterfragen zu kritisieren oder zu zeigen, wo Menschen, egal welcher Herkunft oder Schicksale nicht einbezogen werden. Als Band in Bezug auf unseren Menschen mit Behinderung, der „Reno“
heißt, wird er bei uns so einbezogen wie jeder andere. Fragt er was, hört man ihm zu, sagt er was blödes, wird er ausgelacht.
Jo: Uns als Band betrifft Inklusion so, dass wir immer jemanden dabeihaben, der auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Aber natürlich auch als Band, die Konzerte spielt und unterwegs ist auch „mal“ im Publikum oder als Veranstalter:in. Wobei das super selten bis gar nicht der Fall ist.
Wenn mit Don Kanaille Auftritte geplant sind, machen wir uns tatsächlich vorab keine Gedanken oder fragen nicht nach, wie die Gegebenheiten am Veranstaltungsort sind. Meiner Meinung nach nehmen wir es, wie es kommt. So schätze ich es jedenfalls ein. Wenn ein Ort barrierefrei ist und Reno sich selbstständig dort bewegen kann, ist das natürlich optimal. Aber wenn das nicht so ist, haben wir das bisher immer irgendwie geregelt bekommen. Das ist manchmal abenteuerlich, dafür jedoch selbstverständlich und ‘ne nette Anekdote springt hin und wieder auch noch raus. Das ist dann so ein, „Weißt du noch da …, als wir …?“ 😀
Wir sind wie jede andere Band auch. Jeder hat ne Stimme bei Absprachen, jeder übernimmt Aufgaben, jeder muss sich mal zurücknehmen beim Alkohol, weil er Fahrer ist.
Das klingt nach ‘nem gesunden Bandgefüge 😉 Wie passen für Euch Punk und Inklusion zusammen?
Lampe: Punk separat als Inklusion, für sich als Cliquen, mit jedem der aus der Gesellschaft geflohen, ausgestoßen, anders, benachteiligt oder ein Sympathisant ist. JA. In die momentane Gesellschaft…. nein, Punk war bis jetzt nur von Außenstehenden als ein Teil der Gesellschaft gesehen bzw. integriert worden, wie z.B. von den Nachrichten, der Politik oder MTV. Nein, Punk braucht den Blick von außen auf die Gesellschaft, sonst kann es kein wirklicher Punk mehr sein. Alles andere sind Marionetten mit bunten Haaren.
Jo: Das passt super. Gerade Punk/-Rock setzt sich doch für Gleichberechtigung ein und hebt bei Ungerechtigkeit den Finger bzw. prangert Missstände an. Niemand sollte in irgendeiner Form ausgegrenzt werden. Das gilt selbstverständlich für Menschen mit Behinderung. Bloß fangen wir irgendwie jetzt erst damit an, mal offen drüber zu sprechen.
Dicki: In meinen Augen passen diese beiden Dinge recht gut zusammen, da es in der Punkszene viele verständnisvolle und zuvorkommende Menschen gibt. Passt.
Das sehe ich genauso, die Grundlagen sind optimal. Welche Erfahrungen habt ihr in den letzten Jahren damit in der Szene gemacht? Wie würdet ihr die Barrierefreiheit in den Clubs beschreiben? (Inklusive Anfahrt, Übernachtungsmöglichkeiten etc.)
Reno: Nur ein kleiner Absatz kann ein Hindernis sein, zu enge Türen, Treppen, usw. Es muss einem alles hinterhergetragen werden, weil in manchen Gebäuden selbst ein Vorwärtskommen nur mit Hilfe geht. Das liegt dann meist an den Häuslichkeiten. Jedoch habe ich es erlebt, dass einige Hilfen im Hausbau bedacht worden sind. Zum Beispiel Rampen im Eingang bis zur Bühne, breite Türen zu den Toiletten oder Gegebenheiten sich selbst mal 3 Bier zu holen.
Lampe: Als Interessant. 3 Bands auf 3 Sofas und 1 Bürostuhl im 2. Stock mit verschlossener Eingangstür war für jede:n eine Herausforderung. Egal ob Fußgänger:innen oder Rollstuhlfahrer:innen, die Toilettensituation ist ein Thema für sich und würde den Rahmen sprengen. Trotzdem gab es oft Einsicht von den Betreiber:innen, aber wenig Möglichkeiten. Und die Möglichkeiten, die da waren, nutzten wir nicht weil: a) zu kompliziert, nur wegen eine rauchen den Schlüsselmenschen suchen, oder b) kaputt, weil ewig nicht benutzt. Letztendlich war uns immer bewusst, dass es einen Unterschied gibt zwischen besetztem Haus, AJZ und einer Musik- und Kongresshalle, wo das Rolli-Klo auch nicht leicht zu finden ist. Aber egal wo, wir hatten immer unseren Platz zum Spielen. Reno saß entsprechend beim Merch oder am Tresen und sang seine Songs vor oder auf der Bühne und am nächsten Morgen waren wir alle „ gut gelaunt und leicht verkatert“.
Dicki: Die Barrierefreiheit in den Clubs ist insofern sehr unterschiedlich, dass es Konzerte gibt, welche auf einem Acker veranstaltet werden oder auch in einem modernen Jugendzentrum. Aber auch auf einem Acker gibt es eine Lösung. Was jedoch stark von dem Grad bzw. der Schwere der Behinderung abhängt.
Da hast Du bestimmt recht, eine absolute Barrierefreiheit in Locations für Alle ist äußerst unwahrscheinlich umzusetzen. Aber sich diesem Ziel mit den gegebenen Voraussetzungen anzunähern, ist schon möglich, wenn die Bereitschaft da ist. Gab es schon Situationen, dass ihr als Band nicht spielen konntet, weil die Location nicht ausreichend barrierefrei war?
Reno: Nö. Ich werde getragen, um dabei zu sein, wenn es nicht anders geht.
Lampe: Nein, daran kann ich mich nicht erinnern.
Dicki: Nein. Wo ein Wille, da ein Weg.
Das spricht für eure Solidarität untereinander! Thematisiert ihr das Thema “Behinderung/Inklusion/Barrierefreiheit” auf der Bühne oder in eurer Musik?
Lampe: Wir sind keine Parolendrescher oder Fransenredner, aber Reno hat dazu seinen Song geschrieben, der seit dem, jedes Mal auf unserer Setlist auftauchte.
Jo: In Anbetracht deiner aktuellen Interviewreihe, eher zu wenig. Als Reno damals mit dem Text zu „Behindert“ kam und ich den das erste Mal gelesen habe, dachte ich „krass, den musst du unbedingt selbst singen“. Es wird sich auf Konzerten in Liedern so oft gegen Nazis, gegen Polizeigewalt, gegen Sexismus, für mehr Solidarität ausgesprochen. Das ist alles super wichtig. Aber auch Menschen mit Behinderung sollten gesehen werden und Gehör finden. Von daher finde ich das immer voll stark, wenn Reno das Mikro übernimmt und ich glaube das wird vom Publikum auch wahrgenommen. Vielleicht ist es auch für die eine oder andere Person ein kleiner Denkanstoß. Menschen mit Behinderung auf der Bühne? Das geht total klar.
Das sehe ich genuso und macht Lust, den Song unbedingt mal live zu hören/sehen! Obwohl das Thema “Inklusion” das einzige ist, das uns alle irgendwann auch direkt betreffen kann, wird es in der Szene noch immer weitestgehend zurückhaltend behandelt – was denkt ihr, sind die Gründe dafür?
Lampe: Ich denke, Punk kann sich niemals als Inhalt der bestehenden Gesellschaft bezeichnen, sondern nur als äußerer kritischer Widerstand, um die Machthaber zu begrenzen. Punks wollen Außenseiter sein, kreativ, destruktiv und/oder anarchistisch, was die einzige Gesellschaftsform ist, in der sie eine Inklusion sein würden. Mit bedingten Zusammenhalt, aber ohne ein Konzept des Zusammenlebens und ohne die Frage einer Behinderung, Hautfarbe oder Geschlecht.
Dicki: Der Hauptgrund aus meiner Sicht… Unsicherheit.
Jo: Da gibt es wahrscheinlich so einige Gründe. Zum Beispiel haben viele Leute einfach kaum bis keine Berührungspunkte mit dem Thema. Wenn wir jetzt nicht immer mit Reno durch die Gegend tingeln würden oder ich meine Berufsausbildung in dem Bereich nicht hätte, wäre ich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht so sensibel dazu eingestellt. Weil mir persönlich die Berührungspunkte gefehlt hätten und meine Komfortzone so schön ist. Ein weiterer Grund wäre, dass Menschen mit Behinderung nicht sichtbar genug gemacht werden bzw. ihnen noch mehr Hürden in den Weg gestellt werden oder sie auf Grund bestimmter Verhaltensweisen schlecht behandelt oder sogar ausgegrenzt werden. Dazu kommt einfach eine ordentliche Portion Unwissenheit.
Wow, danke für Eure Offenheit und die interessanten Antworten! Kennt ihr andere Inklusive Bands / Bands in denen Menschen mit Behinderung spielen? Wie wichtig sind für Euch Role Models?
Lampe: Jop z.B. Portugal. The Man. Erfahrene Menschen, die einem den Weg weisen sind immer wichtig,
Vertrauen der Schlüssel.
Jo: Ich bin im Netz mal auf Metzer58 aufmerksam geworden. Bei dem Festival Sommerschlacht, bei dem wir mitwirken, hatten wir mal ‘ne Band, in der eine Person sehbehindert ist. Ich meine zu glauben, dass das Revolte Springen gewesen ist. Das war damals auch so ein „Oh Gott“, das gab es ja noch nie. Wie gehen wir damit um? Total verunsichert. Warum auch immer, haben wir das alles natürlich wunderbar hinbekommen. War halt wieder einfach eine neue Situation gewesen. Und Dickis und mein Lehrer, der mit psychisch Erkrankten ein Bandprojekt unterhält.
Cool, zumindest Metzer58 stehen auch noch auf der MusInclusion Liste, die anderen hab ich gleich mal notiert 😉 Wie denkt ihr, könnte die aktuelle Situation das Thema beeinflussen?
Reno: Drüber reden, Lieder machen, darauf aufmerksam machen.
Lampe: Weniger als wir uns wünschen.
Dicki: Ich denke nicht, dass es einen direkten Zusammenhang gibt.
Ja, darüber reden ist definitiv immer richtig und wichtig…Gibt es etwas, was ihr in diesem Zusammenhang schon immer mal loswerden würdet?
Reno: Komm uns mal besuchen. Hätte Bock mal real zu quatschen.
Jo: Wir sollten Vorurteile abbauen und unser Bestes tun, dass alle Menschen die Möglichkeit haben, sich möglichst selbstständig und frei zu bewegen und dabei auch wohlfühlen.
Das sind schöne Abschlussworte! Vielen Dank Euch für das spannende Interview und Alles Gute für Eure Zukunft – ich komm gern mal vorbei, wenn ihr spielt, und dann machen wir Teil 2 des Interviews 😉