In unserer Interviewreihe MusInclusion beschäftigen wir uns mit dem Thema Barrierefreiheit und Inklusion in der Musikszene. Wir wollen dabei von den Menschen vor, auf oder hinter der Bühne – ob Veranstalter:in, Musiker:in oder einfach “nur” Konsument:in – wissen, wie sie diesbezüglich den Status Quo einschätzen und wo es ihrer Meinung noch Nachholbedarf gibt. (Alle bisher veröffentlichten Interviews dieser Reihe findet ihr hier).
In der heutigen Ausgabe haben uns wir mit Daniel, Sänger der Essener Punk Band Leitkegel ausgetauscht. Herausgekommen ist ein sehr reflektiertes und tiefgründiges Interview mit spannenden Einblicken in die zahlreichen Support Aktionen der Band, die Intention hinter ihrem Video “Oh Gott!” (feat.Kochkraft durch KMA) und seinen Überlegungen zu (fehlender) Barrierefreiheit in Locations und im Netz und Inklusion in der Szene.
(Eines sei vorweg genommen: Ich habe sehr lange Zeit damit verbracht, mich für ein Zitat in der Subheadline zu entscheiden, weil dieses Interview einfach so viele wertvolle Gedankengänge enthält…Aber überzeugt Euch selbst davon und lest einfach das ganze Interview, viel Spaß dabei 🙂
Hallo Daniel, schön, dass Du Dich dazu bereit erklärt hast, uns für unsere “MusInclusion”-Interviewreihe ein paar Fragen zu beantworten! Erzähl uns doch zunächst einmal bitte kurz etwas über die Band: Wie lange macht ihr schon zusammen Musik, mit welchen Themen befasst ihr Euch in euren Texten, wie erging es Euch als Band bisher in der Pandemiezeit?
Hallo und vielen Dank für den Fragenkatalog☺ Mein Name ist Daniel und ich bin Sänger der Band Leitkegel. Unsere Basis ist in Essen.
Wir machen seit 2011 zusammen Musik, die sich irgendwo zwischen Posthardcore, Emo, Indie und Punk bewegt. Textlich geht es um individuelle Erfahrungen, die im privaten, gesellschaftlichen und sozialen Raum gemacht wurden und werden. Das kann manchmal offen und direkt sein, manchmal aber auch eher verhalten und introspektiv. Wenn es aber um Gesellschaftskritik geht, wählen wir dann doch am liebsten den direkten Weg.
Da wir von der Musik nicht leben, waren wir von der Pandemie in dem Zusammenhang zum Glück nicht existenziell betroffen. Gerade in der Anfangszeit hat es aber natürlich total gefehlt, sich zu treffen, Musik zu machen und Konzerte zu spielen. Letzteres ist ja auch momentan noch immer nicht so ganz einfach. Aber wir werden 2021 zumindest eine Show spielen und wir versuchen dann für 2022 auch wieder mehr und vor allem zusammenhängende Konzerte zu buchen. Wer also Konzerte veranstaltet, darf sich gerne bei uns melden ☺ Ansonsten haben wir uns dann etwas mehr aufs Songwriting konzentriert und für ein bisschen mehr musikalischen und visuellen Output gesorgt.
Der Grund, warum ich auf euch aufmerksam gemacht wurde (Danke an dieser Stelle meinem Kollegen Christian!), ist euer Video zu eurer neuen Single “Oh Gott” mit Kochkraft durch KMA. Sie ist Teil einer Split mit eben diesen und alles an diesem Projekt strotzt vor inklusiven Absichten: Abgesehen von dem für hörgeschädigte Menschen barrierefreien Video, geht der Erlös der limitierten USB Sticks, auf denen eben unter anderem eben dieser Song enthalten ist, geht an die Amadeu Antonio Stiftung, die für eine Zivilgesellschaft eintritt, “(…) die sich konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus und jede Form von Antisemitismus wendet. Sie unterstützt bundesweit Betroffene rechter Gewalt sowie Initiativen und Projekte, die sich für eine demokratische Kultur und Menschenrechte engagieren.” (Quelle: Leitkegel/Kochkraft durch KMA – USB-Stick (Split EP) | lala Schallplatten (lala-schallplatten.de)). Habt ihr einen besonderen Bezug zu der Stiftung? Habt ihr in der Vergangenheit schon anderweitig derartige Projekte unterstützt?
Wir haben schon immer versucht, zu helfen und zu unterstützen – egal ob jetzt privat und individuell oder im Kontext des Bandseins. Mit einer Band als Vehikel erreicht man natürlich eine gewisse Öffentlichkeit und kann dadurch zusätzlich Awareness und Aufmerksamkeit generieren, was gut ist. Konkret bedeutet das, dass wir auf Soli-Shows auftreten, Songs auf Soli-Samplern platzieren oder selbst Aktionen initiieren. Während der Hochphase der Pandemie haben wir bspw. unseren Bandkatalog zu bestimmten (zahl-was-du-willst-)Tarifen angeboten und die Einnahmen dann an Locations gespendet, zu denen wir eine besondere Bindung haben. Für einen unserer letzten Songs („Das darf man doch wohl sagen“), der sich ebenfalls mit Rechtsextremismus befasst, haben wir ein Video gemacht, dessen Requisiten wir dann im Nachgang versteigert haben. Hier ging der Erlös an democ. und EXIT Deutschland. Und nun haben wir uns zusammen mit den Kochis für die Amadeu Antonio Stiftung entschieden. Einen besonderen Bezug gibt es da aber nicht, außer dass wir finden, dass die Stiftung immens wichtig ist und sehr gute Arbeit leistet. Es gibt tatsächlich sehr viele gute Stiftungen und Institutionen, die erwähnens- und unterstützenswert sind – und da wollen wir möglichst viele mal benennen und im Rahmen unserer Möglichkeiten supporten.
Im Video wird der komplette Song in Gebärdensprache übersetzt und untertitelt. Ich habe so etwas bisher nur einmal, im Video “Zustand” von der Band Rosi gesehen und weiß daher, dass es auch Menschen gibt, die ganze Konzerte für hörgeschädigte Menschen übersetzen. Wie kamt ihr auf die Idee, welche Intention steckt dahinter? Könntet ihr Euch vorstellen, mal ein Konzert von Euch in Gebärdensprache live übersetzen zu lassen?
Ich kenne Beray (Drummer von Kochkraft durch KMA) schon seit meiner Jugendzeit. Beray war auch an allen Leitkegel-Veröffentlichungen seit „Wir sind für dich da“ als Produzent beteiligt und mit den Kochis selbst haben wir auch schon Konzerte gespielt. Da existiert also eine Bandfreundschaft. Als mich die Band dann gefragt hat, ob ich nicht Lust hätte, einen Text für sie zu schreiben, war eigentlich ziemlich schnell klar, dass wir daraus dann eine Split-VÖ machen wollen. Und da beide Songs am Ende sehr politisch und gesellschaftskritisch geworden sind, bot die Bundestagswahl das ideale VÖ-Fenster. Die Stücke sollten auch auf jeden Fall visualisiert werden, und wir haben viel darüber nachgedacht, wie wir das überhaupt umsetzen und was wir transportieren wollen. Die Inhalte nur noch mal visuell nachzubilden, kam uns zu naheliegend vor und dann wuchs die Idee, neben den in den Liedern angesprochenen Themen noch für ein weiteres sozial-gesellschaftliches Problem Awareness zu schaffen. Weil jemand aus dem Kochi-Umfeld in einem Internat für Gehörlose arbeitet, war dann schnell klar, dass das das Thema ist, das wir angehen und umsetzen möchten.
Wenn man mal ehrlich ist, ist es ja so, dass gehörlose Menschen nicht unbedingt die Hauptzielgruppe für Musiker:innen darstellen. Aber wenn man mal weiter darüber nachdenkt, ist das ja kein Grund, diese Menschen auszuschließen. Ganz besonders dann nicht, wenn es um die Inhalte geht – vor allem auch im Zusammenhang dieser wegweisenden Wahl und sowieso allem, was momentan gesellschaftspolitisch los ist. Wir wollten einfach allen Menschen die Möglichkeit geben, das mitzubekommen, was wir als Bands zu sagen haben. Und gleichzeitig war das auch eine sehr gute Möglichkeit, darauf aufmerksam zu machen, dass auch gehörlose Menschen einfach Bock auf Musik und Inhalte haben; und auch darauf, sich zu positionieren.
Ich habe in den letzten Monaten schon häufiger mitbekommen, dass gerade in den USA auf Konzerten und Festivals viel simultan gebärdet wird. Das könnte natürlich noch viel mehr und weiter verbreitet sein, aber immerhin tut sich überhaupt was. Ein Problem ist auch, dass die Anzahl an Gebärden-Dolmetscher:innen noch überschaubar ist. Vor allem auch in Deutschland. Aber ja, wir haben schon mit dem Gedanken gespielt, ein Konzert simultan in Gebärdensprache übersetzen zu lassen und sind da auch tatsächlich gerade zusammen mit den Kochis dabei, das etwas zu konkretisieren. Das ist natürlich mit ein bisschen Aufwand verbunden, aber die Chancen stehen nicht schlecht, dass wir 2022 dahingehend etwas hinbekommen. Und wenn man sowas einmal gemacht hat, ist die Wahrscheinlichkeit auch groß, dass man es ein zweites, drittes, viertes Mal hinbekommt!
Der Song kam ja pünktlich zur Bundestagswahl und ist eine ganz klare Ansage gegen Coronaleugner:innen und AfD Wähler:innen. Gerade deshalb bin ich auch so begeistert von der Aktion gewesen, da ich mich vor der Bundestagswahl schon näher mit dem Thema “Barrierefreie Wahlen” beschäftigt habe. Wie in so vielen Bereichen des Alltags ist auch der Wahlkampf, Informationen zu den Parteien und die Wahl selbst, oftmals nicht barrierefrei oder inklusiv (zu wenig digitale Barrierefreiheit, keine “Ansprache” an Menschen mit Behinderung, fehlende Barrierefreiheit in den Wahllokalen). Warum denkst Du, sind Barrierefreiheit und Inklusion immer noch Themen, die nicht nur in der Musikszene, sondern eben in so vielen Bereichen der Gesellschaft, oft nicht zu Ende gedacht werden und nur als Worte existieren, mit denen sich gerne geschmückt wird? Was meinst Du wäre nötig, dass diesen Thematiken, die uns schließlich alle irgendwann betreffen könnten, endlich der Platz eingeräumt wird, der dringend nötig wäre, damit sich etwas ändert?
Puh, schwierige Fragen. Vor allem, weil ich das nur aus meiner privilegierten Nicht-Betroffenen-Sicht beurteilen kann. Wenn wir über de facto Barrierefreiheit im Kontext von Gebäuden sprechen, liegen die Ursprünge oft schon in der Vergangenheit, ohne da jetzt zu weit ausholen zu wollen. Diese alten Gebäude und Immobilien alle umzubauen, ist nicht von heute auf morgen möglich. Vielen Bundesländern, Städten und Kommunen fehlt da auch schlichtweg das nötige Geld. Und dann gibt es immer wieder diese schlecht durchdachten Bauvorhaben, die abgebrochen oder rückgebaut werden müssen, weil es dann behördenseitig Probleme und Hindernisse gibt. Da scheitert Deutschland auch leider viel zu oft an der eigenen Bürokratie. Bei neueren Bauvorhaben glaube ich schon, dass Barrierefreiheit eine Rolle spielt und von vornherein mit eingeplant wird. Zumindest mehr, als es vor 30, 40 oder 50 Jahren noch der Fall war.
In Puncto digitaler Barrierefreiheit stimme ich dir grundsätzlich zu, merke aber auch hier Bestrebungen, es besser zu machen. Zumindest wenn es um öffentliche Einrichtungen wie Ämter, Hochschulen oder Städte geht, kenne ich kaum noch Websites ohne Vorlesefunktion, Schriftgrößen- und Farbanpassung oder die Möglichkeit, sich Texte in sogenannter einfacher Sprache anzeigen zu lassen. Natürlich gibt es aber auch hier noch einige Baustellen und vieles, was man noch besser machen kann.
Ich glaube, das Ding ist, dass so gut wie alle Planer:innen (in welchem Kontext auch immer) erst mal die normative Mehrheitsgesellschaft vor Augen haben, sich aber seit einigen Jahren vermehrt besser darauf ein- und umstellen, wenn marginalisierte Gruppen auf Missstände hinweisen, ihre Bedürfnisse ansprechen und diese letztendlich auch einfordern. Eine neue Wokeness hat meiner Meinung nach schon dazu geführt, dass sich mit vielen Themen vermehrt auseinandergesetzt und auch versucht wird, lösungsorientiert zu handeln. Zumindest aber, dass der Raum für entsprechende Diskurse geöffnet und nicht (mehr) direkt blockiert wird. Ganz besonders wichtig ist hier aber, dass eben jene marginalisierten Gruppen sich diese Räume nicht nur erkämpfen müssen, sondern dass ihnen von der privilegierten Mehrheitsgesellschaft auch Platz gemacht wird. Und zwar so, dass man nicht über, sondern mit Betroffenen spricht. Und dann eben versucht, die Probleme gemeinsam zu beheben.
Habt ihr Euch schon einmal im Speziellen mit dem Thema Barrierefreiheit auf Konzerten (auf/vor/hinter der Bühne) auseinandergesetzt? Nehmt ihr Menschen mit (sichtbaren) Behinderungen in eurem Publikum wahr?
Ja, schon. Wir spielen hauptsächlich in kleinen Locations, die auch häufig in Kellerräumen untergebracht sind. Und wenn man da sein Equipment runterwuchtet, da fragt man sich dann schon „Wenn ich jetzt hier schon Probleme habe, meinen Verstärker runterzutragen, dann ist das für eine:n Rolli-Fahrer:in doch einfach unmöglich!“. Aber das ist dann natürlich wieder dieser privilegierte Blick auf die Dinge und der Fakt, dass man sich erst beginnt damit auseinanderzusetzen, wenn man selbst irgendwie davon betroffen ist. Aber dann ist es ja – zumindest für den Moment – schon zu spät. Dann kann man diese Hindernisse hinterfragen und ansprechen, aber für das Konzert wird sich nichts ändern. Da kann diese viel zu enge und viel zu steile Treppe mit der viel zu niedrigen Decke nicht mal eben umgebaut werden. Man kann dann höchstens hoffen, dass sich dann für die Zukunft etwas tut. Oft ist es dann aber auch so, dass diese Locations – oft sind es selbstverwaltete und/oder autonome Zentren – weder die finanziellen noch infrastrukturellen und logistischen Möglichkeiten haben, diese Umstände zu ändern. Aber gerade die Menschen, die in solchen Locations agieren, sind oft auch die achtsamsten und sensibelsten. Und wenn Menschen mit (sichtbarer) Behinderung dann dort auf ein Konzert möchten, wurde meiner Erfahrung nach auch immer eine Lösung gefunden. Auch wenn die dann nur punktuell und kurzfristig war.
Wusstest Du, dass es Clubs gibt, die Menschen im Rollstuhl zum Beispiel überhaupt keinen Einlass gewähren (z.B. aus “Brandschutzgründen”)? Denkst Du, dass Künstler:innen in solchen Fällen wissen, dass bei ihren Konzerten einem Teil ihrer Fans auf diese Weise die Teilhabe verweigert, bzw. stark erschwert wird- hast Du selbst schon von derartigen Situationen gehört? Außerdem berichten mir viele Menschen, unabhängig von der Art der Behinderung, dass sie selbständig aufgrund fehlender Barrierefreiheit überhaupt kein Konzert besuchen könnten, oder, aufgrund des hohen Planungsaufwandes im Vorhinein, oft resignieren und zu Hause bleiben. Was meinst Du, könnten Bands/Künstler:innen tun, um diese Fans wieder “zurückzuholen”?
Das Brandschutz-Argument ist mir bisher noch nicht untergekommen und klingt in meinen Augen auch seitens der Location arg konstruiert. Dann dürften Menschen im Rollstuhl ja auch nicht mehr in einen Supermarkt oder ähnliches. Was soll denn da die Grundlage sein? Das klingt für mich eher nach „Kein Bock auf den/die und bevor der/die sich hinterher beschwert, dass er/sie hier nicht richtig auf Toilette kann, oder wir uns sonst wie besonders um ihn/sie kümmern müssten, lassen wir ihn/sie lieber erst gar nicht rein.“ Wenn wir mitbekämen, dass an einem Ort, an dem wir auftreten, jemand aufgrund einer Behinderung, der Herkunft, der Hautfarbe, der sexuellen Orientierung oder sonst etwas, wofür er oder sie nichts kann, diskriminiert oder ausgegrenzt wird, würden wir sofort intervenieren und alles tun, um diese Situation zu ändern.
Ich bin mir gar nicht sicher, wer da in der Verantwortung steht: Bands/Künstler:innen, die Veranstalter:innen oder die Location-Betreiber:innen. Das Wichtigste als Band/Künstler:in ist vermutlich, eine offene Kommunikation, eine klare Positionierung und offen zu signalisieren, dass man die Band/Künstler:in ansprechen kann, wenn es Schwierigkeiten gibt. Veranstalter:innen und Location-Betreiber:innen sollten offen kommunizieren, ob und inwiefern die Location barrierefrei ist und auch zu Schwachstellen stehen sowie diese benennen und Hilfe anbieten, diese zu überwinden. Nur so kann man böse Überraschungen oder ein präventives Nichterscheinen verhindern und Ängste und Hemmungen abbauen. Man sollte Menschen mit (sichtbaren) Behinderungen eben nicht als Ausnahme ansehen, um die man sich erst dann kümmern muss, sollte eine:r spontan auftauchen, sondern man sollte sie von vornherein mit berücksichtigen. (Größere) Locations könnten auch die Mitarbeiter:innen entsprechend schulen und briefen, damit sensibel und empathisch miteinander umgegangen wird. Und wenn das Geld vorhanden ist, sollten Hindernisse durch einen Umbau natürlich möglichst beseitigt werden.
Kennst Du inklusive Bands, bzw. Bands, in denen Menschen mit sichtbaren Behinderungen spielen/singen? Wenn nein, woran könnte das in Deinen Augen liegen?
Mir ist Barner 16 bekannt und entsprechend auch einige der aus dem Netzwerk entstandenen Kollektive wie z.B. Station 17. Ich kann mich auch daran erinnern, dass mal eine finnische Punk-Band, deren Mitglieder mit Behinderungen leben, beim ESC angetreten ist. Wenn man jetzt mal größer denkt und das Spektrum etwas erweitert, gab oder gibt es sogar einige sehr erfolgreiche Musiker:innen mit (sichtbarer) Behinderung wie Andrea Bocelli oder Stevie Wonder. Dem Drummer von Def Leppard fehlt bspw. ein Arm. Wenn wir aber von sogenannten Szene-Bands sprechen, muss ich leider zugeben, dass mir da ad hoc keine Band einfällt. Woran das liegt, kann ich schwer sagen. Ich würde mich grundsätzlich schon als recht musikaffinen Menschen bezeichnen, der einiges kennt. Naheliegend wäre jetzt, dass es schlicht wenige solch inklusiver Szene-Bands gibt. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass ich sie vielleicht gar nicht als solche wahrnehme, weil ich die Musik bis dato nur gehört, die Band aber nie gesehen habe. Aber aus meiner persönlichen Konzert- und Festival-Erfahrung heraus muss ich schon sagen, dass ich auf keinem Konzert oder Festival in den letzten Jahren bewusst eine inklusive Band wahrgenommen habe. Auch darüber, woran das liegt, kann ich nur spekulieren. Ich vermute aber, dass hier einerseits Berührungsängste und Vorurteile eine Rolle spielen (bspw. was den Aufwand der Betreuung hinter der Bühne angeht) und andererseits die Infrastruktur des Geländes bzw. der Location, die dann ggf. angepasst und/oder ausgebaut werden müsste, was mit einem Aufwand und Kosten verbunden sein könnte, den viele Veranstalter:innen nicht tragen können oder wollen. Fehlende Sichtbarkeit und (vermeintlich) geringe Quantität könnte auch eine Rolle spielen. Also, dass Veranstalter:innen gar nicht wissen, wen sie denn da jetzt einladen und buchen könnten, selbst wenn sie es wollten. Oder dass die wenigen bekannten Bands musikalisch vielleicht nicht ins Konzept passen. Aber, wie gesagt: das sind alles Spekulationen. Die wirklichen Hintergründe kennen dahingehend wohl nur die Veranstalter:innen selbst.
Stadt- und Stadtteilfeste bilden dahingehend aber eine positive Ausnahme. Hier habe ich tatsächlich schon häufiger inklusive Bands gesehen. Die stammen dann zumeist aus einem Musikschulkontext oder aus Initiativen mit musikpädagogischem Ansatz, die dann auch häufig von den jeweiligen Städten und Kommunen gefördert werden.
Am Schluss würde ich gerne noch von Dir wissen, ob ihr selbst mal in einer Situation gewesen seid, in der ihr, durch eine Verletzung oder Krankheit z.B., eingeschränkt wart und z.B. eure Instrumente oder Stimme nicht benutzen konntet. Wenn ja, wie war das für Euch? Gab es etwas, was ihr euch in dieser Situation gewünscht hättet?
Wir mussten, wie vermutlich jede andere Band auch, schon mal krankheitsbedingt Konzerte absagen. Da fühlt man sich dann verantwortlich und schlecht wegen einer Sache, auf die man gar keinen Einfluss hat. Und weil man denkt, dass man andere dann deswegen enttäuscht. In der Realität waren dann aber alle immer super verständnisvoll. Das hat jetzt aber eigentlich nichts mit Barrierefreiheit zu tun oder soll in irgendeiner Weise vergleichend einer (nicht) sichtbaren Behinderung gegenübergestellt werden.
Was dem näher kommt, aber natürlich trotzdem nicht wirklich vergleichbar ist: Aufgrund einer Verletzung war mein linkes Bein mal mehrere Wochen in Gips gelegt und ich auf Gehhilfen angewiesen. Wenn man sich dann im Alltag bewegt, werden dann doch schon einige Probleme im Kontext der Barrierefreiheit sicht- und vor allem spürbar (Stichwort „Treppen“). Manche Hindernisse sind ohne fremde Hilfe gar nicht zu überwinden. Generell ist man vermehrt auf die Hilfe von Mitmenschen angewiesen, was mir auch aufgefallen ist, als mal mein rechter Arm (ich bin Rechtshänder) eingegipst war. Wenn diese Mitmenschen dann fehlen, wird es natürlich besonders schwierig. Woran es aber auch hier nie gefehlt hat, war ein respekt- und verständnisvoller Umgang miteinander.
Der Vorteil an den o.g. Erlebnissen ist aber erstens, dass sie zum Glück nur punktuell sind, während andere Menschen ihr Leben lang mit solchen Einschränkungen und Situationen leben müssen und zweitens, dass sie einen in diesem Zusammenhang sensibilisieren. Und das sorgt dann im besten Fall für mehr Verständnis und einen offeneren Blick.
Vielen lieben Dank lieber Daniel, für Deine Zeit und das wirklich tolle Interview!