Bereits letztes Jahr hatten wir hier bei Vinyl-Keks einen Aufruf gestartet. Wir möchten Euch als Teil unserer Interviewreihe MusInclusion gerne eine Plattform für eure Erfahrungsberichte auf Konzerten bieten. Was habt ihr für Erfahrungen gemacht, bezüglich Barrierefreiheit und Teilhabe bei Musikveranstaltungen (vor, auf oder hinter der Bühne)? Welche Vorausplanungen waren nötig, um das Konzert besuchen zu können und was würdet ihr Euch für Veränderungen wünschen?
Wir würden uns nach wie vor sehr freuen, wenn ihr eure Erlebnisse hier mit uns teilt. Schickt uns einfach euren Bericht an nathalie@vinyl-keks.eu.
Den Anfang machen heute Laura und Heiko von Rollstuhl-Erlebnisreisen GIAMBO die in Berlin nur eine Mission hatten: Laura endlich das erste Mal ihre Lieblingsband Die Ärzte auf der Bühne erleben zu lassen!
Vielen Dank für euren ausführlichen Bericht!

Jetzt ist es mittlerweile schon über ein Jahr her und ich muss voller Schande gestehen, dass ich die Leute von Musinclusion so lange hängen hab lassen. Manchmal ist eben zu viel los und bei unseren Rollstuhl-Erlebnisreisen geht es grade ganz schön rund. Sorry! Jetzt aber zu unserer Geschichte.
Was machen Rollstuhl-Erlebnisreisen eigentlich? Wir sorgen für mehr Teilhabe, indem wir kostenfreie Reisen für Menschen mit Behinderung organisieren, die sich diese nicht aus eigenen finanziellen Mitteln leisten können. So kommen wir, je nach Teilnehmer*in, eben auch öfters auf Konzerte. Die Rollstuhl-Erlebnisreise von Laura im Juni 2022 war jedoch schon etwas Besonderes. Laura gehört auf jeden Fall zur Crème de la Crème der die-hard Die Ärzte-Fans. Wir hatten eine Rollstuhl-Erlebnisreise in Hamburg mit zwei aufeinander folgenden Konzerten der Pop-Punk-Band aus Berlin vereinbart. Einen Strich durch die Rechnung hat uns dann ein blödes Virus Namens Corona gemacht. Da war die Enttäuschung dann groß und weil wir den Anspruch haben, die Menschen durch unsere Rollstuhl-Erlebnisreisen glücklich zu machen, haben wir alle Hebel in Bewegung gesetzt und alles in die Hauptstadt verlagert. Ach ja, könnt ihr natürlich nicht wissen: Eigentlich finden unsere Trips ausschließlich in der Hansestadt statt. Von daher war das auch ein großer Aufwand für uns, aber wir haben es trotzdem möglich gemacht. Also Laura in Bückeburg abgeholt und ab mit dem Rolli im Rollibus nach Berlin. Eine geeignete Unterkunft hatten wir bereits im Vorfeld recherchiert und das Inklusionshotel Rossi war perfekt auf die Bedürfnisse von Rollstuhlfahrer*innen eingerichtet. Am Anreisetag haben wir noch das Regierungsviertel begutachtet und den Reichstag besucht. Auch wenn man das sonst nicht über alles sagen kann, hier hat der Bund dann doch mal was richtig gemacht. Der Reichstag ist auf viele Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung zugeschnitten und es gibt Audioguides in leichter Sprache und Reliefschrift für Menschen mit einer Seheinschränkung. Jetzt aber genug mit der Regierung wir wollen schließlich PUNKROCK!!!
Am zweiten Tag unserer Rollstuhl-Erlebnisreise stand das Konzert der Ärzte in der Zitadelle Spandau an. Die Berlin Tour MMXXII sollte etwas ganz Besonderes sein. So spielten Bela, Farin und Rod in kleinen Etablissements wie dem Schokoladen (passen ca 130 Leute rein) und dem SO 36 (immerhin ca 850), aber auch die Zitadelle sollte speziell werden. Für Laura war es, trotz die-hard Status, das erste Konzert ihrer Helden und ein solches muss auch besonders werden.

Wie für Harcdcore Fans üblich, versammelten sich alle frühzeitig (6 Stunden vor Einlass) am Eingangsbereich, um eine günstige Startposition für den großen Ansturm nach dem Öffnen der Schleusen zu ergattern. Da auch Laura scharf darauf war, möglichst vor die Bühne zu gelangen, und sich außerdem noch ihre Freund*innen am Anfang der Warteschlange befanden, gesellten auch wir uns frühzeitig zu den Wartenden. Ein Einlass für Menschen mit Behinderung war hier allerdings nicht vorgesehen und auf Anfrage wusste niemand so wirklich Bescheid. Spätestens hier wurde mir bewusst, dass das Ganze heute nicht so einfach werden würde. Da noch genügend Zeit war, beschlossen wir, uns die Zitadelle im Vorfeld schonmal von innen anzusehen. Die Zitadelle Spandau ist eine der bedeutendsten und besterhaltensten Festungen der Hochrenaissance in Europa. Im Inneren der Burgmauern findet man die Dauerausstellung „Berlin und seine Denkmäler“, welche wir uns reinziehen wollten. Auf dem Weg dahin, schwante uns bereits Fürchterliches. Der Innenhof der Zitadelle ist sicherlich sehenswert, aber eins ist er ganz sicher nicht: barrierefrei. Die Kopfsteinpflaster machen das Befahren mit einem Schieberolli (also einem Rollstuhl mit schmalen Reifen, die sich immer wieder zwischen den Steinen verhaken) äußerst unangenehm bis unmöglich. Wir beschlossen, dann gleich noch die Bühnensituation vor Ort zu begutachten und es war so wie von Laura befürchtet. Die Tribüne für die Rollstühle war mal wieder in der letzten hintersten Ecke und die Sicht dementsprechend schlecht. Wir beschlossen also, die sich gerade mit dem Aufbau beschäftigten Roadies um Rat zu fragen. Viele hatten Verständnis für unsere Sorgen, konnten uns aber auch nicht so wirklich weiterhelfen. Zumindest wurde uns mitgeteilt, dass wir auch direkt vor die Bühne konnten. Ok, challenge accepted. Das hieß dann wohl, jemand Verantwortliches finden und ihn oder sie dazu bewegen, dass wir frühzeitig oder zumindest ein paar Minuten vor der restlichen Crowd die Zitadelle entern durften, um uns einen guten Platz zu sichern. Einfacher gesagt als getan, denn für die Belange von Menschen mit Behinderung schien an diesem Tag niemand so wirklich verantwortlich zu sein. Wir wären allerdings nicht Rollstuhl-Erlebnisreisen, würden wir nicht alles für die Belange unserer Teilnehmer*innen versuchen. So erntete ich zwar einige dumme Sprüche und böse Blicke, aber irgendwann hatte das ganze Generve dann doch was gebracht und wir durften fünf Minuten vor offiziellen Einlass in die Zitadelle und konnten uns einen Platz in der ersten Reihe vor der Bühne sichern. Wenig später kamen dann die Freund*innen von Laura und konnten sich zu uns gesellen. Jetzt hieß es warten auf den Beginn des Konzertes, denn das sollte erst in zwei Stunden beginnen. Währenddessen setzte ein Dauerregen ein, der erst kurz vor Beginn der Vorband Grossstadtgeflüster enden sollte. Kurz vor dem Auftritt konnte ich einige Securities beobachten, die wild umher funkten und immer wieder auf Laura deutenden. Was jetzt kommen würde, war irgendwie abzusehen. Die Sicherheitsmenschen versuchten, Laura zu überreden, sich woanders hinzustellen. Laura wiederum erklärte ihnen, dass sie selbstbestimmt lebe, im vollen Besitz ihrer geistigen Fähigkeiten sei und gerne das Konzert bei ihren Freund*innen in der ersten Reihe verfolgen würde. Die Diskussion wurde schließlich mit dem Totschlagargument Fluchtweg beendet und wir wurden des Platzes verwiesen und schlussendlich dann doch auf die Rollitribüne verwiesen. Eins vorweg, ich stoße bei Rollstuhl-Erlebnisreisen oft auf den Konflikt Selbstbestimmung versus Sicherheitsbedenken bzw. Fürsorgepflicht. Diese Thematik ist also bekannt. Wenn bis drei Minuten vor Konzertbeginn und nach zwei Stunden Dauerregen allerdings alles in Ordnung scheint und wir dann quasi in letzter Sekunde des Platzes verwiesen werden, läuft irgendwas schief. Menschen mit Behinderung haben ebenfalls das Recht, ein Konzert so zu genießen, wie es eben Spaß macht. Mit Freund*innen, guter Sicht und mitten im Geschehen. Das gibt es tatsächlich Veranstaltungsfirmen, die sich mehr Gedanken im Vorfeld machen. Großes Vorbild ist da unter anderem England, wo alles schon wesentlich barrierefreier läuft als in Deutschland, wo es wiederum bei der Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderung noch deutlich Aufholbedarf gibt. Unsere Geschichte in Berlin ist allerdings noch nicht zu Ende. Denn an der Rollitribüne ging der Spaß erst so richtig los. Hier erklärte mir die Security, dass für die Tribüne lediglich Menschen im Rollstuhl zugelassen seien, die Assistenzkräfte mussten hinter die Bühne und damit außer Sichtweise der Personen, die Assistenz benötigen. Ich versuchte, der verantwortlichen Person zu erklären, dass je nach Behinderung eine Assistenz unabdingbar wäre. Getränke anreichen und alle sonstigen Bedürfnisse. Der gute Mann hatte jedoch seine Anweisungen und wollte davon nicht abweichen. Als er dann schlussendlich wiederum Mitglieder seiner Crew auf die Bühne ließ, damit diese ein bessere Sicht auf das Konzert hatten, schmorte bei mir eine Sicherung durch. Die Auseinandersetzung wurde hitziger und er drohte mir, mich des Geländes zu verweisen. Das ging natürlich nicht und ich musste meine Wut runterschlucken, um weiter für Laura da sein zu können. Innerlich jedoch brodelte es und ich beschloss, mich auf eine Art und Weise zu rächen, wie man es heutzutage eben macht: einen wütenden Post im Internet schreiben. Dazu aber später mehr. Laura genoss mittlerweile das Konzert in vollen Zügen. Während Die Ärzte ihre Hits rausballerten, war bei ihr der Ärger über das Verhalten der Securities bereits verflogen. Allerdings wartete noch eine ganz besondere Challenge auf uns, der Ausgang…. Wie es bei einem Konzert dieser Größenordnung so ist, wollen am Ende alle auf einmal nach draußen. An der Zitadelle gibt es einen Ausgang und der wurde durch einen Krankenwageneinsatz blockiert. Also warten und nicht in Panik geraten. Ja, ich weiß, hört sich jetzt alles nicht sonderlich schwierig an. Wenn man allerdings im Rollstuhl sitzt, über die bereits erwähnten Pflastersteine nach draußen muss und links und rechts jede*r schiebt, weil sie oder er jetzt gerne endlich raus möchte, dann ist die ganze Sache nochmal anders. Hinzu kam, dass der Rolliausgang mit keinem einzigen Schild gekennzeichnet war. Ich kann euch sagen, es war wirklich ein Kampf, mit dem Rollstuhl nach vorne zum Auslass zu kommen. Dort dann endlich angekommen, wurde uns erklärt, dass das Gitter, durch das ein Rollstuhl passt, ganz links war. Wir wiederum waren ganz rechts. Es gab ja wie schon erwähnt keine Beschilderung, die dies erklärte und das bedeute, sich noch einmal komplett durch die Menschenmenge zu schieben. Am Ende dieses Abends fielen Laura und ich in einen Tiefschlaf, um mögliche Reserven für das Konzert am nächsten Tag in der Wuhlheide zu mobilisieren. Der wütende Post in den Sozialen Medien bekam tatsächlich Reichweite und uns wurde von einigen Menschen mit Behinderung geteilt. Sie klagten über teilweise bescheidene Verhältnisse vor Ort bei Konzerten. Menschen ohne Behinderung haben da oft keinen Bezug zu und auch mir, der Rollstuhl-Erlebnisreisen organisiert, springt so was nicht immer gleich sofort in den Fokus. In Hamburg, wo unsere Trips normalerweise stattfinden, kann ich die Orte im Vorfeld besichtigen und auf Barrierefreiheit prüfen. In Berlin mussten wir jedoch die Gegebenheiten erst mal kennenlernen.

Der Auftritt der Ärzte in der Wuhlheide ist dann auch schnell erzählt. Der Rollstuhlplatz war natürlich ganz oben und ganz hinten. Hier blieb uns gar keine andere Möglichkeit, als dies einfach zu akzeptieren. Dafür besorgten die Freund*innen von Laura noch den Drumstick von Bela B und somit war der Abend ein voller Erfolg. Berlin hatte allerdings noch eine Überraschung für uns parat. Als wir nach der Show auf den Parkplatz kamen, war unsere Scheibe eingeschlagen. Wir mussten also am nächsten Tag mit kaputter Scheibe über Bückeburg nach Hamburg fahren. Dieses Berlin macht mich echt fertich!!!
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