Eigentlich ist ja so ein Online-Musik-Magazin genau der richtige Ort, um seine politischen Ansichten loszuwerden. Ironie Off. Keine Sorge, ich verschone euch. Interessant nur, dass ich hier eine Review über eine russische Punkband schreiben darf. Und bevor ich lange schwafle: Reißt euch zusammen! Die Russen, die hier leben, leben hier, um zu leben, nicht um für irgendeine Kartoffel blöd angepöbelt zu werden, die einen Krieg beginnt. Meist ist es ja so, dass die Menschen aus andern Ländern hierher kommen, WEIL sie nichts mehr mit den Machthabern ihrer Länder zu tun haben wollen. (Manchmal wünschte ich, das täten auch hier ein paar unserer Mitbewohner (Ironie noch off-er). Jedenfalls, Punk ist nicht per se politisch, aber per se links. Und wenn ihr mich fragt: Ja, Punk ist immer politisch. Sozialkritisch. Widerspruch? Nein.
Zur Band:
Naïve gibt es schon seit 1988, das bedeutet wohl, dass sie mit den Resten der Perestrojka begonnen hat, ihre sozialkritische Wut auf das herrschende System loszuwerden. 1990 erschien ihr erster Tonträger. Sänger Александр Иванов = Alexander „ChaCha“ Ivanov ist einzige verbliebenes Gründungsmitglied und blickt zurück auf 15 Veröffentlichungen. Bei “Rock’n’Roll is dead” handelt es sich um das 7te Release, bei dem wir knapp 30 Minuten klassischen Punkrock auf die Ohren bekommen. Es fällt mir ein wenig schwer, einzelne Songs herauszupicken, da die Band komplett in kyrillischer Sprache singt. Es liegt ein super Textblatt bei mit einer Übersetzung ins Deutsche. Die Platte ist 2003 erschienen, feiert also fast schon ihren 20ten Geburtstag. Naïve haben sich recht schnell zu einer der erfolgreichsten Punkbands entwickelt. Was wohl sehr an ihren Westcoast-orientiertem Gitarrensound liegt! Wobei dieser weit weniger glatt produziert ist, wie Genreobergockel NoFX (Seitenhieb – ja klar!).
Naïve ist bei dem Sound aber nie stehen geblieben. Anfangs noch recht rau, irgendwo zwischen Sex Pistols und Dead Kennedys, über die Jahre kalifornischen Einschlag, bis hin zur heutigen Indie-Rock Richtung, findet man eine sehr große Bandbreite im Schaffen der Band.
Rock’n’Roll is dead startet mit einem gesprochenen Intro, indem uns Chacha seine Bandmitstreiter vorstellt und erklärt, auf was wir uns in den kommenden Songs vorbereiten dürfen. Es gibt ein dickes, ordentliches “Fuck you” an alle, die einen Soundtrack aus Rock’n’Roll machen. Was das heißt? Naja, jedem die Musik zugänglich machen, maximale Kohle rausziehen, gar politische Parteien damit supporten. Rock’n’Roll bedeutet, so der Sänger, dass man das tun sollte, woran man selbst am meisten Spaß hat, ohne auf derart Dinge wert zu legen. Die weiteren Songs und Lyrics sind in diesem Stil gehalten. Das ist einfach, klar und verständlich. “Propaganda and Advertising” oder “The Scheme” sind da gute Anspieltipps.
Es geht auch etwas persönlicher in Songs wie bei den Bonustracks “se-la-vie (this is life)” ein Liebeslied mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Ebenso “one day”: Einfach mal treiben lassen, Freunde treffen “when will NoFX arrive” (zwinker). 1000 Travels to Noise sind ein Zwei-Mann-Betrieb, die sich nicht ausschließlich, aber hauptsächlich den Rereleases russischer Musik verschrieben haben. 1000 Travels To Noise hat sich aber auf russische Bands spezialisiert und schon manche Perle aus Russland hervorgezaubert. In einer limitierten Auflage von 300 Exemplaren, aufgeteilt auf drei Farbvarianten erscheint Rock´n´Roll is Dead? Auf deren Seite gibt es auch diesen Tonträger zu erstehen. Zum ersten Mal auf (180gramm) Vinyl, mit Texten in Kyrillisch und Englisch als Beiblatt.