Jeder hat doch in seinem Leben diese LPs, die er seit Ewigkeiten immer wieder hört, die nie irgendwie in Zweifel geraten sind und über alle Anderen gestellt sind. Zu vielen solcher Platten gibt es Geschichten, die man damit verbindet. Sei es die erste eines Genres, die man selbst erworben hat, sei es ein spezielles Konzert in Zusammenhang mit der LP oder auch nur ein spezielles Lied, welches die Scheibe zu einer Herzensangelegenheit macht.
In dieser Reihe wollen wir euch solche Geschichten erzählen. Vielleicht habt auch ihr die ein oder andere Geschichte zu einer dieser Platten, die ihr euch dazu in Erinnerung rufen könnt. Vielleicht lernt ihr aber auch gute Alben oder Singles kennen, die bisher an euch vorbei gegangen sind. Es geht hier nicht darum, dass „Master of Puppets“, „Killer Queen“ oder „Never mind the bollocks“ Evergreens ihrer jeweiligen Abteilung sind. Hier geht es nur um die persönliche Historie und deren musikalischer Begleitung.
Folge Eins: Felix’ Platten
Klar habe auch ich den heimischen Ghettoblaster malträtiert um aus der SWF Hitline Sonntags die besten Songs auf ein Mixtape zu bannen. Um sie dann die ganze Woche im Walkman mit mir rum zu tragen. Das muss so 1986 gewesen sein. Irgendwie ging es mir aber to-tal auf den Sack, daß diese verfluchten Songs manchmal im Fade-out vollgequatscht worden sind. Oder ausgefaded. Dann tauchten die ersten Älteren mit ihren Tauschtüten auf dem Pausenhof auf. Ich fragte mich, was drin ist. Traute mich irgendwann zu fragen, bekam selbst die erste Tüte ausgeliehen. Viel Metal. Und Indie. Und Punk. Ich konnte mir selbst Mixtapes machen. Auch ganze Platten überspielen. Der Himmel auf Erden! Lieblingstapes waren auf jeden Fall SLIME (erste und “yankees raus”) und ABSTÜRZENDE BRIEFTAUBEN (“das Grauen kehrt zurück”). Ziemlich bald fiel mir auf, daß ich etwas oder das Besondere suchte. Ich hab schon auf all die Anfragen bei Facebook “poste deine 10 Lieblingsalben” einen Artikel bei der ProvinzPostille gespostet, um für immer die allumfassende Anwort zu haben. Dann kam Nico mit seiner netten Idee hier um die Ecke.
Ich hab für euch also nochmal gekramt und die kleinen, feinen, meist unbekannten oder unterschätzten Alben rausgekramt. Oder die, die heute ein wenig aus der Zeit gefallen wirken.
Ich buchstabiere, habe da keine Hitlist.
A. DIE TOTEN HOSEN – Bis zum bitteren Ende Live (1987)
Ich habe es so oft gehört, das mir die Ohren geblutet haben. “liebesspieler” in die Fresse. Singalong mit “warten nur auf dich”, dann ein wenig ernster “die armee der verlierer” (…Die Anzüge als Uniform bestimmen die Hierarchie. Das Ende steht schon vor der Tür, bis zur letzten Sekunde kämpfen sie.) Und und und. Mein Vater hatte dann zu Weihnachten 1988 ein Erbarmen und schenkte mir die nächste Platte “ein kleines bisschen Horrorschau”. Ich hab mich extrem gefreut, denn weder meine Mutter noch mein Vater hörten Schallplatten, geschweige denn wirklich Rockmusik. Nur was so im Radio lief. Poprock und Klassik. Und ich volle Lautstärke Punkrock. Texte, die meine Eltern belächelten. Attitüde, die sie relativ peinlich fanden.
B. ROSTOK VAMPIRES – Transylvanian disease (1989)
Im Grunde mochte ich die Mucke nicht. Aber sie spielten so oft in der Jugendbegegnungsstätte Baden-Baden, daß ich nicht umhin kam, die Entwicklung der Band zu verfolgen. Sie spielten ihre übergroßartiges ThrashPunkAlbum “troment of transformation” vor acht Betrunkenen um ein Uhr nachts. Volle Pulle! Und dann kam ich erst dazu, mir all die Platten zu kaufen, die sie davor gemacht hatten. Innerhalb dreier Jahre hatten sie eine Entwicklung von einer düsteren Hardcore/Punkband, die sich von Nuclear Blast damals für drei Alben verpflichten lies, zu einer 11/8 Beats spielenden Thrashpunkband gemacht, was ich wirklich beeindruckend fand. “transylvanian disease” war 1989 wohl das erfolgreichste Album für das Label.
C . PETER & THE TEST TUBE BABIES – live and loud (1989)
Ich mochte keinen englischen Punk. (ihr merkt schon, ich mochte damals so einiges nicht. Alle waren immer so “boah! haste die schon gehört! Die Platte ist DER Hammer! Beste Band (der Welt)…. Die MUSST du dir anhören. Und ich so: würg. Nö. Muss ich nicht. Leck mich. Alles Scheiß Bands.) Doch erreichte mich von dieser “live and loud” -Serie die Platte von EXPLOITED. Die fand ich schon spitze. Ein Kumpel hatte die Peter & the Test Tube Babies. Die lief einige Male bei ihm und irgendwann fiel mir auf, was für eine fantastische Back-Section die Band hat. Das da megageile Punkrock-Gitarrenriffs drüberliegen und ein besoffener Sänger einen Hit nach dem andern nölt. “keep britain untidy” “every second counts” “guest list” “banned from the pubs” “september part 3” oder das wirklich beindruckend starke, balladeske “ghost in my bedsit”….. vermutlich der Grund, weswegen die Scheibe immer wieder abgenudelt auf meinem Plattenteller landet; dagegen nicht die von EXPLOITED. Denn auch der Sound ist wirklich toll gemischt. Fand ich damals auch echt schwierig: Liveplatten; aber diese ist der Wahnsinn!
D. SLAYER – reign in blood (1986)
Als die Band diese knappe 30 Minuten auf Vinyl zimmerte, saß ich noch vor dem Tapedeck und hörte “china in your hands” von T’Pau. Oder so…. Es war eine der ersten Scheiben, die in einer der Tauschtüten steckte. Als ich mir das Cover anschaute, passierte noch gar nichts in meinem Hirn. Ein Aufkleber mit “Speed-Metal” war glaube ich drauf. Oke. Keine Ahnung, was ist das? Und dann: BÄMMMM! Das war aggressiv, das war mies und hinterlistig. Das sprang mich an wie eine Horde blutrünstiger Katzen, die eiskalt sägend ihre Krallen in mein Hirn ritzten. War das diese Musik, von der meine Mutter immer sagte: “komm mir bloß nicht mit so satanischer AC/DC-Musik nach Hause.”? Bei dem Satz lächelte ich immer in mich hinein… AC/DC, pah! Das hier, DAS hier, das war der rohe Scheiß. Ich drehte das Cover nach einer Weile mal um, nachdem ich die in roten Lettern geschriebenen Texte im Inlay als komplett irre einsortiert hatte. Da waren vier Typen, die echt Spaß mit wahnsinnig schneller Musik hatten; und Bier. Ich konnte das ab diesem Moment nicht mehr wirklich so ernst nehmen, wie das Bundesamt für jugendgefährdende Schriften die “Ärzte ab 18”. Verdammt ist dieses Album gut!
E: TRIO – s/t (1981)
Mein Übergang ist das Stichwort “irre”. Diese Band ist auch nicht von dieser Welt. Ich hab sie wirklich spät entdeckt und lieben gelernt. Mich hat deutschsprachige Musik schnell wesentlich mehr angemacht, weil sie einfach schneller Sinn ergab. “los Paul, du musst ihm voll in die Eier haun, das ist die Art von Gewalt, die wir sehen wollen. Schnell gesehen, schnell geschossen, gute Aktion,…” Wenn da noch ein guter Wortwitz, eine subtile Pointe dahintersteckte, eine Doppelbödigkeit, dann war ich ab circa 1992 sofort dabei. TRIO haben es in ihrer kurzen Lebenszeit geschafft, was in dieser Kombination: Standschlagzeug (Base, Snare und Hihat), Gitarre und Gesang, keiner vor oder nach ihnen geschafft hat! Von “dadada”, welches NICHT auf dieser Platte in der Erstpressung ist, gibt es als 7inch laut discogs 66 Versionen. Pressungen in Brasilien, Spanien, Italien, Belgien, Neuseeland, alle in der jeweiligen Landessprache gesungen, zeugen ausdrücklich von ihrer Irrwitzigkeit.
F: YUPPICIDE – fear love (1992)
Gesehen in der Steffi in Kalrsruhe. Glaube ich. In irgendeinem Hardcorekeller in Süddeutschland. Erste Tour. Irrer Sänger. Über und über tättowiert und mit Kunstblut im Gesicht. Oder einer S/M-Maske. Dazu megageiler, melodischer Hardcorepunk mit sehr guten Texten und klaren Aussagen, ohne dabei Klischees abzureiten. Ich bekam ein Mixtape mit drei Platten auf einer 90er Kassette. YUPPICIDE, GO! (total) und SFA (so what). Die Platten habe ich noch. Tape kaputt. Allerdings: ich konnte mir damals auf dem Konzert die Platte nicht leisten. Es reichte für Spritkohle und Bier. Ich hab sie mir ein paar Jahre später für etwas mehr bei PerKoro mitbestellt.
G: the NOTWIST – s/t (1990)
In dieser berüchtigeten Zeit 2020, wo man so lange zuhause saß und Zeit hatte, da legte ich schon einige alte Scheiben mal wieder auf. Auch diese. Mit meiner Band habe ich vor ein paar Jahren “nothing like you” gecovert, aber die Platte “aus den Augen verloren”. In der Jugend hatte man die Zeit, Platten hunderte Male zu hören, in jeder Pause zwischen Songs schon innerlich den nächsten Ton anzustimmen. Im Grunde kann ich hier auch von IRRE sprechen. Die Band hat einen so WEGGEKNALLT mit ihrem Sound. Wahnsinn! Auch live. LAUT! und nur laut! Dazu diese genuschelten, zarten Emotexte. Man musste laut machen, um irgendetwas zu verstehen. Drei Typen mit langen Haaren haben mit Emoattitüde jedwede Macker-Hardcoreband weggeknallt. Mir war jedes Konzert, jedes verdammte Mal hören dieser Scheibe (und die NOOK) ein Fest. Danach kamen noch zwei gute Scheiben, auch mit dem bisschen Elektro… noch oke. Seitdem bin ich raus. Elektropop. Ui. Dann legte ich im Frühjahr nach zwei Bier diese Platte auf. Ein bisschen lauter, noch ein bisschen lauter. Verdammt ist diese Scheibe gut!
H: EA80 – grüner apfel (1995)
Eine weitere Band, mit der ich mich sehr sehr schwer tat. Aber der damalige (1994) Gitarrist unserer Punkband HÜNERSÜPPCHEN hörte die “schauspiele” rauf und runter. Die mochte ich nicht. Dieser tiefe Gesang und die dunklen Texte dazu. Dann kam eine neue Platte raus. Als Doppel 10inch. Ich glaube, ich bestellte sie bei flight13 mit. Ich legte sie auf und mir bretterte “prestissimo” entgegen. Danach “kamaki” und “guru mosh”. Vow. GENIALE Texte. “diese Welt gehört nicht uns, Moleküle, Wellenlauf, ein kleiner Teil und der stirbt langsam, jeden Tag (tag tag) ein bisschen tot…” Seitdem. Alle Platten. Und so einige Konzerte, von denen jedes ein anderes Set gespielt wurde. Unvergessen “Draesch-Feschd” in Mannheim 2004. 25 Songs in 25 Minuten.
I: RANTANPLAN – kein schulterklopfen (1996)
Ich mochte diese bekannte Vorgängerband so gar nicht. Zu viele Metallgitarren. Und dann kamen die mit diesen oberschlauen Texten und Off-Beats um die Ecke. Catchy Melodien und einem Songwriting zum niederknien. “zwei” “atheismus” “hamburg 8° regen”… LOS NUEVOS MUTANTES waren für mich der Einstieg in die Ska-Punk-Mucke. Wenn ich mal Gute Laune Musik haben will, dann führt kein Weg an RANTANPLAN vorbei!
Abschliessend: J, K, L, M,…. ich würde noch Kleinbuchstaben dazu nehmen, wenn ich könnte. Wer meine absoluten Lieblingsscheiben auch noch kennen lernen möchte, liest DAS!
Irgendwie fehlt immer etwas in der Liste, wenn ich zurück an die Zeit 1989 bis 1998 denke. Keine Ahnung, was ich mit auf eine einsame Insel nehmen würde. Viel dürfte daran gelegen haben, daß eine Band mit unfassbar eingängigen Rhythmen, NIRVANA, die Herzen der Mädchen 1989 eroberte. Wir wollten aber SHEER TERROR spielen und haben nicht verstanden, wieso die Mädels nach zwei Proben nicht mehr zu Besuch kamen, haha. Es war erstmal Wut, die gebändigt werden musste und so war NewYorkHardcore ein paar Jahre ständiger Begleiter. Ich hab den Punk nie aus den Augen verloren und bin echt froh, daß es Bands gibt/gab wie die erwähnten EA80 oder Boxhamsters oder K.G.B. oder ANATOL, Antitainment, KLOTZS, Pisse und und und. Punkrock saved my life.