Gefühlt sitze ich immer noch auf der Couch. Die Plattennadel hat längst die letzte Spur überschritten und es ist nur das leise, regelmäßige Knacken aus den Boxen zu vernehmen. Ich grinse, zumindest fühlt es sich noch so an und ich schaue mir zum gefühlt tausendsten mal das Artwork der Platte an. „Brett“ denke ich mir.
Mehr Umschreibung fällt mir zu jenem Zeitpunkt nicht ein. Was mich da in so euphorische Fassungslosigkeit versetzte, war die aktuelle Scheibe „Transitional Forms“ von Sharptooth, welche am 10. Juli 2020 diesen Jahres über Pure Noise Records erschien. Die Tage danach läuft die Scheibe des Fünfers aus Baltimore, Maryland (USA) auf Heavy-Rotation. Grund genug, sich unterwegs auch nochmal die Vorgängerscheibe „Clever Girl“ aus dem Jahr 2017 anzuhören. Liest man die schiere Begeisterung die ich für diese Band entwickelt habe eigentlich heraus?
„Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Fresse halten“ wäre wohl die sinngemäß passende Übersetzung zum Opener „Say Nothing (in the Absence of Content)“. Sängerin Lauren Kashan hält textlich gesehen nicht hinterm Berg: „Now this is the part of the song where we slow shit way down for you, so you can all kill each other, it doesn’t even matter what I’m saying here anyway, can you even understand a fucking word I say?“. Diesen Leberhaken einen Seitenhieb zu nennen, wäre untertrieben. „It must be nice to say nothing.“ Auch wenn Sharptooth im dazu veröffentlichten Video zwar Lady Gaga und Katy Perry auf die Schippe nehmen, macht sie doch eindeutig klar, dass sie ihre eigene Szene mit eben erwähnten Künstlerinnen auf eine Stufe stellt.
Es geht direkt mit „Mean Brain“ weiter, die erste Single die Sharptooth nach ihrem Album „Clever Girl“ veröffentlichte. Ein wenig das Tempo rausgenommen, dafür aber eine ordentliche Ladung Groove hinzugemischt, kommt der Song da her als hätte man einen Monstertruck zum Lowrider umfunktioniert. Und so sitzt Lauren Kashan wieder lachend hinterm Steuer und zermalmt einfach diejenigen, die behaupten Sängerinnen würden alle gleich klingen – in nur 2:37 Minuten stellt sie ihren Stimmumfang unter Beweis. Gleiches gilt für „153“: Kashans rotziger Gesang, der sich stellenweise mit ihren markanten Shouts paart, die bei manch anderem die Lunge kollabieren lässt, untermalt von fast hymnischen Punkrock-Riffs. Ich grinse schon wieder.
Auf „Evolution“ erhalten Sharptooth Unterstützung von Anti-Flag Frontman Justin Sane. Dass vor allem Lauren bekennender Stray from the Path und Anti-Flag Fan ist, daraus macht die Sängerin kein großes Geheimnis. Auch wenn Anti-Flag und Sharptooth inhaltlich gleiche Ziele verfolgen, Sane ist bei Anti-Flag doch einfach besser aufgehoben. Mit Sharptooths brachialem Sound und Kashans Vocals wirkt er fast etwas mickrig. Dennoch gilt „We can only overcome when we recognize that we are one.“
Sharptooth sind, wie das Kerrang Magazin es beschreibt, die Band, die der Hardcore aktuell braucht. Eine Szene in der vor allem Kashan eine Gemeinschaft fand in der sie sich wohlfühlte und nun immer mehr das Gefühl hat diese Zugehörigkeit gehe verloren. Das Sharptooth Musik machen, die nicht jeder mag ist völlig in Ordnung. Leider ist zum Teil der einzige Grund die Tatsache, dass Lauren nun mal weiblich ist. Für mich nicht nachvollziehbar gerade in einer Szene, die das Wort Gemeinschaft so sehr preist. Lauren Kashan legt nicht viel Wert auf Diplomatie und blumige Umschreibungen: „Your always silent when there’s work to be done; you’re not a feminist just because you fucked one.“ heißt es im Song „Hirudinea“. So lautet im übrigen der Fachbegriff für einen (Blut-)Egel.
Gerade in ihrer Anfangszeit wurde Lauren von Bands abgelehnt, einfach weil man ihr den Job als Sängerin nicht zutraute. Allerspätestens jetzt zum Schluss zu „Nevertheless (She Persisted)“ beißen sich diese Bands, insofern sie überhaupt noch existieren, gewaltig in den Arsch. Hier erscheint nochmal die ganze Bandbreite zu der sie fähig ist: engelsgleiche, cleane Vocals die rasant in weißglühende Growls umschlagen, die einen überlegen lassen welchen Exorzisten Sharptooth da eigentlich an die Regler gelassen haben. Kein geringerer als Brian McTerman (Ex-Battery), der dieses Jahr ebenfalls mit seiner Band Be Well ein Knalleralbum mit „The Weight and the Cost“ rausgebracht hat!
Sharptooth haben mit „Transitional Forms“ ganz klar ein Album rausgebracht wie ich es mir schon lange mal wieder gewünscht habe. Für mich eindeutig eines der besten Alben 2020, welches ich mir auf den Plattenteller lege und in einem Rutsch durchhören kann und auch kein Problem damit habe nach der B-Seite einfach wieder umzudrehen. Ich freue mich wirklich auf den Tag, an dem ich sehe, dass Sharptooth in München gastieren werden. Weil ich auf jeden Fall da sein werde.
Das Album, als Orange-Brown Splatter Vinyl, mit weißem Sleeve, Lyrics Sheet und Cover, erhaltet ihr natürlich wie immer auch hier:
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Label: | Keine Daten vorhanden |
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