Es schmerzt, meine Augenlider wollen sich nicht heben. Als wenn die Lider tonnenschwer wären. Langsam wird aus Schwärze ein kleiner Schlitz. Mein Gehirn registriert weißes, schmerzendes Licht – ohne etwas zu erkennen. Nicht mal Schemen oder Farben. Dem Fiepen in den Ohren nach habe ich wohl einen kleinen Gehörsturz. So jedenfalls lautet die erste Diagnose meines akustischen Systems. Nach gefühlter Ewigkeit sind die Augen halb geöffnet, es fühlt sich an, als würde ich direkt in die Sonne schauen, ich erkenne Tageslicht und erste Umriße. Ein Glück, ich hatte schon fast aufgegeben. Wer weiß, wie endlos lange dieser Vorgang gedauert hat. Im Anschluss meldet das Gehirn Schmerzen aus allen Bereichen. Ich fühle von Innen in meinen Körper… hier ist es etwas passiert, was nicht normal ist, aber ich scheine es überlebt zu haben.
Als die Augen einigermaßen arbeiten, erkenne ich, dass ich völlig verdreht im Gartenstuhl liege, die Vögel mich aufmunternd anschreien und mein feiner schwarzer Zwirn völlig zerknautscht aussieht. Ein Schuh fehlt und auch mein neuer Pork-Pie-Hut liegt in näherer Umgebung. Alter, war das das eine Party, denke ich, denn mir fällt wieder ein, was gestern passiert sein muß. Wir waren auf dem Live-Konzert von SKAOS, die dort ihre neue LP “Catch this Beat” vorgestellt haben. Alle Muskeln, die ich fühle, schmerzen und brennen wie unter Feuer. Der Rest des Körpers freut sich über ein Remis im Kampf gegen das bio-chemische Gemetzel im Innern, welches jede Sekunde zur falschen Seite ausschlagen könnte.
Aber der Reihe nach…gestern Abend gegen 19 Uhr holt mich die Crew, bestehend aus The Rat samt Freundin Sally, Rude Rudy und Sting in mit dem alten Londoner Taxi ab. Das Taxi hat The Rat von seinem Vater organisiert bekommen und nach entsprechender Umgestaltung mit Schwarz-Weiß-Optik sind wir damit ganz weit vorne im Ska-Fahrgeschäft. Logisch, dass uns andere Crews um das Fahrzeug beneiden. Wie gesagt hat es der Vater von The Rat, der geschäftliche Beziehungen nach England hat, dem Sohn besorgt. Wir begrüßen uns knapp, im Wageninneren läuft bereits “Ghost Town” von den Specials, man groovt sich für das Konzert warm und erster Alkohol wird verteilt. Wir sehen alle ziemlich stylish aus in unseren schwarzen Outfits. Wir lieben alle den Ska, diesen Stil der Musik, der sich in den späten 50ern auf Jamaika gebildet hat, sich nun nach der Hochzeit Ende der 70er bis Mitte der 80er von Grossbritannien nach Deutschland ausgebreitet und sich eine feste, ständig wachsende Fangemeinde erspielt hat. Wir sind alle mit den Größen – den Specials, The Beat, Madness, The Selecter, The Beat und den Bad Banners – der sogenannten 2-Tone-Welle aufgewachsen und verfolgen dank BFBS (einem britischen Radiosender) hautnah die Szene in London.
Nun steht also das Konzert von Skaosan – einer deutschen Ska-Band aus Krumbach bei Günzburg, die sich dort als Septett gegründet hat. Nach anfänglichen Covern ihrer Idole wie Madness und den Specials bringt man 1987 die erste EP heraus. “Catch this Beat” ist ihr zweites Album und was man so gehört hat, wohl ein richtiges Hot Rotation. Wir stehen erwartungsvoll in der kleinen Halle eines Kulturzentrums einer namenlosen Kleinstadt. Der Alkohol wird weiter herumgereicht, vom Band laufen Klassiker wie “Our House” von Madness, “Rudi can’t fail” von The Clash und “On my Radio” von The Selecter. Und plötzlich, ohne Übergang, fällt der Vorhang und Skaos beginnen ihren Set mit “Do The Ska”, dem Opener des Albums.
Die Meute geht sofort mit, es ist unerträglich laut und die Bläserfraktion raubt dir den Verstand. Es wird geskankt. Wer hier keinen Spaß hat, ist tot oder Ostwestfale. Das Tempo ist nochmal angezogen und Bass und Drums treiben, als gebe es kein Morgen. Ohne Pause geht es über in “Oh Sally!”, ein schöner Song über Sally. Auch hier werden alle Ska-Elemente in bestechender Qualität gebracht… insbesondere der Offbeat der Gitarren, der wie “Skant! Skant! Skant” klingt, macht tierischen Spaß. Mittlerweile schweißnass mache ich einen Song Pause und lausche “Straight to your Heart” an der Bar bei einem eiskalten Bier. Es ist toll zu sehen, wie die Meute der Band folgt und auch bei diesem Song, der eher ein wenig gebremst daherkommt, das Tanzen nicht sein läßt.
Etwas später in der Setlist erkenne ich “Jungle-Beat”, den Song vom Ende der Seite A des Albums. Die Drums am Anfang und die Dschungelgeräusche machen sofort gute Laune, Der Rest der Band setzt ein und wir feiern eine Dschungel-Party. Unterbroschen durch kurze “Hey”-Schreie, läuft der Song 1A auf Uptempo. Hier gefallen mir besonders die eingeschmissenen Gitarren-Riffs, die sich in den Song einfinden. “I do the Monkey” singt der Sänger und macht Späße auf der Bühne. Es folgen weitere Tiere und eine Menge Spaß.
Später kommt dann “Everything (Girl) but you”, welches das Publikum mit einer Blasfanfare mal richtig durchrüttelt. Auch dieser Song ist ein absoluter Mitsinger und läßt kein Bein ruhig stehen. Also weitergemacht und geskankt. Mein Gott, solche Tage dürften kein Ende haben. Auch “Better beware” ist eine absolute Party-Bank. Es gibt Lieder, die kannst du nicht zerstören und Skaos habe an diesen Abend alle Fäden in der Hand und spielen die Puppen . Hier hört man das Ska-typische Gesangsgestottere und die fantastischen Sieben machen aus der Kleinstadthalle eine Dancehall.
Längst ist die Luft zum Zerschneiden, der Alkohol wirkt. Aber die Band spielt weiter auf, als gälte es, die Titanic vor dem Untergang durch Musik zu retten. “Better beware” ist einer meiner absoluten Faves. Könnte ich Endlosschleife hören, aber Skaos haben noch ein paar Asse im Ärmel. “Superhero” ist so ein As. Ein Song, der soviel Druck hat, dass es dich an die Wand drückt. Dazu kommt ein Highspeed-Sound der allerfeinsten Sorte. Ich erinnere mich noch an “Living in Bavaria”, eine wunderschöne Hommage der Band an ihre Heimat. Gespickt mit einer Prise Ironie erzählen Skaos, wie es ist, in Bayern zu leben. Man hört Bierkrüge aneinander klingen und ab und an eine Tuba. Ich gehe noch mal zur Trinkpause an die Bar, das eiskalte Bier zischt ohne Wirkung durch und ich bestelle noch zwei. Ich merke, wie jede Faser meines Anzug an mir klebt. Nie war ich glücklicher. Ich stürze mich noch einmal in die Crowd und gebe mein Letztes.
Nach diversen Zugaben leert sich der Saal nur widerwillig. Auch unsere Crew findet sich nach und nach im Taxi ein. Wir halten noch einmal, um uns an einer Tankstelle mit Sprit, Zigaretten und Dosenbier einzudecken. Alle sind total erschöpft und niemand beneidet den Fahrer, der sich sich durch die späte Nacht Richtung Heimat quälen muß. Irgendwann gehen bei mir auch die Lichter aus und ich falle in einen tiefen Schlaf.
Als ich erwache, liege ich auf der Sonnenliege, es ist schönstes Sommerwetter. Ich realisiere, dass es Sonntagnachmittag sein muß und ich einen tollen Traum gehabt haben muß. Ich erhebe mich und stolpere mit den Flip-Flops über diverse geleerte Dosen Bier. Darauf kann ich mir keinen Reim machen, ich trinke seit Jahren kein Dosenbier mehr, sondern Vino Rosso. Ein Windstoss lässt einen schwarzen Pork-Pie-Hut mit schwarzweißen Schachbrettmuster als Banderole durch das Gras rollen…. ich stehe mit offenem Mund da und verstehe die Welt nicht mehr.
Ich gehe ins Haus zu meiner Plattensammlung und nehme die Nachpressung der Platte von 1989 (auf Pork Pie erschienen) in die Hände. Bis auf sehr wenige Details haben die Black Butcher Classics das Cover wie im Original gelassen, was ich absolut begrüße. Leider ist die aktuelle Produktion auf 300 Kopien streng limitiert, so dass ein Großteil der Republik ohne dieses fantastische Re-Issue auskommen muß. Die stolzen Besitzer der Scheibe können sich an zehn frischen Ska-Songs erfreuen, die von ihrer Kreativität und Spaß nichts über die Jahre eingebüßt haben. Der Rhythmus wird geschickt variiert, ist omnipräsent und wird immer auf Tempo gehalten, die Gitarren lassen die Ska-typischen Elemente wie die Offbeats hören und die Bläserfraktion bläst dir dazu direkt unter die Gehirnschale. Nicht zuletzt sorgen Bass und Drums für eine verläßlich hohe BPM-Rate ohne je aus dem Konzept zu kommen. Legt die Platte auf und es ist fast unheimlich, aber irgendwelche Körperteile nehmen den Rhythmus sofort auf und fangen sich an zu bewegen. Auch die englisch gesungenen Texte, insbesondere die Refrainzeilen sind leicht zu lernen und man singt sofort aus voller Kehle mit. Genre-Kenner kennen “Oh Sally“, „Bonehead (I Just Can‘t Stand It)“, „Do The Ska“ oder „Better Beware“ im Schlaf.
https://youtu.be/3CflS2mF2VA
https://youtu.be/F3Qa8Jz8IPE
Das wirklich fantastische Album kauft ihr am besten hier beim Label. Danke an das Black Butcher Records Label, dass man dieses Album wieder veröffentlich hat.