Von 0 auf 100 in sofort. Der Gitarrist liefert ein Solo, wie Euroboy zu Turbonegros Glanzzeiten und kurz darauf setzt der Sänger mit einem enthusiastischen Gekeife ein, wie ich es seit Snapcase und auch deren Glanzzeiten nicht mehr gehört habe. Na aber hallo, da haben wir schon nach 30 Sekunden zwei Referenzen ganz nach des Riedingers Gusto. Kurz darauf gesellen sich Moshparts der Marke Comeback Kid dazu. Mensch, das wird ja immer doller! Der Energiehaushalt bei Slow Jams, ansässig in Berlin, stimmt. Da ist Leidenschaft, da ist Power da. Ich mach eben mal noch bisschen lauter.
Später dann noch weitere Anleihen. In “In Riddles” wird kurz an Nirvanas “Stay Away” (der ruhigere Strophenpart) erinnert und auch die darauf folgende, größtenteils akustische Nummer lässt an die Grunge-Überväter denken. Diese zwei Songs mögen zwar, müssen so aber kein Zufall sein. Zu “In Riddles” sagt Sänger Bruno, der Song handele davon, sein wahres Ich zu zeigen. Dies sei ein hartes Stück Arbeit. “Oft verstecke ich mein wahres Ich, da ich schnell das Gefühl bekomme, dass Menschen einen schlechten Eindruck von mir bekommen.” Mit solchen und ähnlichen Gefühlen mag sich Kurt Cobain auch herumgeplagt haben, glaubt man den zahlreichen biographischen Veröffentlichungen und Interpretationen über ihn. Schön, dass Slow Jams sich dieser Thematik musikalisch annehmen, denn sicherlich sprechen sie damit vielen Menschen aus dem Herzen.
Ja, “Musikalisch” ist das Stichwort. Da ist ja einiges los im Hause Slow Jams, wie ihr den bisherigen Ergüssen entnehmen könnt. Da scheint der Albumtitel “Punk Standards” einerseits dann auch nicht aus der Luft gegriffen. Andererseits mögen sich Slow Jams mit dem Begriff “Standards” selbst keinen Gefallen getan haben, denn das Album ist kein bloßer Abriss von eben jenen gängigen Standards. Auch wenn sie das Rad sicherlich nicht neu erfunden haben, so gelingt es ihnen dennoch, auf “Punk Standards” Versatzstücke aus – nennen wir es mal überbegrifflich – harter alternativer Musik auf interessante Weise zusammen zu puzzeln.
Nicht nur, dass die Band selbst international zuhause ist (die Mitglieder stammen aus Italien, Frankreich, Rumänien und Deutschland). Nein, auch die Veröffentlichung von “Punk Standards” obliegt einer Riege an Labels aus nicht aller, aber wenigstens ein paar Herren Länder. I.Corrupt.Records dürfte wohl hierzulande euer Ansprechpartner sein. White Russian Records aus den Niederlanden, Monument Records aus Schweden und Fresh Outbreak aus Italien sind die weiteren Beteiligten. So viel Vernetzung über die Grenzen hinaus legt die Vermutung nahe, dass Slow Jams sich überall zuhause fühlen und deshalb vielleicht auch die nächstbeste Gelegenheit nutzen mögen, den verstaubten Tourbus aus der Garage zu holen. Au ja, bitte, bitte. Da muss ich dann nämlich dringend hin. Zu Good Riddance und Anti-Flag abzuhotten geht zwar immer noch, bzw. wieder, so ein bisschen frischer Wind kann aber auch nicht schaden. Danke dafür, liebe Slow Jams.
Platte ist schon seit dem 8. April draußen und in turquoise oder purple erhältlich. Ranklotzen, Leute! Zum Lesen liegt dem Ohrenschmaus auch was bei; das Inlay bietet sämtliche Songtexte und das ein oder andere Linernötchen zum Schmökern. Das Plattencover ist ein in Rosatönen gehaltener Ausschnitt aus dem Dschungel. Irgendwie erweckt es den Eindruck, dass da jetzt gleich ein blutiges Gefecht wie in diesen Vietnam-(Anti)kriegsfilmen losbricht. Die Idylle trügt. Synchron dazu sind Slow Jams ebenfalls für eine Überraschung in einem eigentlich zur Genüge bekannten Genre gut. Checkt das aus, z.B. bei I.Corrupt.Records.