So geil mit diesem Reissue bemustert zu werden! Noch dazu, wenn es ein derartiger Feger ist.
Sodom, die Band, die sich schon Anfang der 80er Jahre im Kohleabbaugebiet Gelsenkirchen gründete, und eine ganze Reihe von Bandwechseln (14) hinter sich gebracht hat, wie auch schon einige Alben veröffentlichte (auch 14 ?), bringt mit „Tapping the Vein“ einen, ich nehme es mal vorweg, Meilenstein ihrer Bandhistorie als Reissue nochmal raus.
Zwei Platten, die eine ist eine remasterte Version des Albums, die andere „Redux“. Was genau das bedeutet? Später mehr. Da es bisher kein Reissue gab, hat sich Andy Brings also dran gesetzt, dass dieses Album ein neues Hörerlebnis bekommt. Und zwar mit einem zeitgemäßen und einem (quasi) musikforensischen Update!
Zuerst etwas zum Recap, wie das so Anfang der 90er bei Sodom gelaufen ist: Sodom hatten ordentlich Erfolg mit „Agent Orange“ und „Better Off Dead“ und konnten sie sich nun ein größeres Budget ermöglichen. Drummer Chris Witchhunter durfte in den legendären Studios von Dieter Dierks seine Drums aufnehmen. Das Studio begann in den 70er-Jahren mit Produktionen von Krautrock-Bands wie Embryo und Tangerine Dream. Schnell kamen Ike & Tina Turner dazu, Scorpions, Die Toten Hosen und andere internationale Acts. Das Studio steht also eher für Hochglanz als für das so bekannte Schlagzeugspiel von Chris Witchhunter, der gerne „die Toms bis zum Ende spielt und nicht auf der nächsten 1 wieder auf der HiHat landet“.
Und hier das mir empfohlene Video mit Andy Brings, der im Blog von Moshpit Passion in den Hallen von Impulstreu erklärt, was die Unterschiede zwischen First Press (1992), Redux und Remaster (von 2024) sind. Hier ist also genaustens erklärt, was sich an Details geändert hat:
Was soll ich jetzt noch dazu sagen (falls ihr das brav angeschaut habt 😉 ) – das Remaster ist so unglaublich fett. So satt und knackig. Mal abgesehen von der unglaublichen Geschwindigkeit des Vortrags, die mich wirklich überrascht hat!
Die Redux-Version ist tatsächlich nicht nur ein einfaches Remaster, sondern mit vielen kleinen Extra-Spuren aufwarten kann. Andy Brings hat tief in den Archiven gegraben und nicht nur die Instrumente hervorgehoben (hier vor allem auch den Bass), sondern auch leicht geänderte Solis, Vocals, and whatever.
Man muss schon sehr liebevoll mit den Hörgewohnheiten der Fans umgehen und nicht einfach ein Remaster rausbringen, welches sich komplett anders anhört. Er wollte darstellen, wie sich die Band im Proberaum klingt; als würde sie direkt vor dir stehen. Und er erzählt auch noch was Entscheidendes, was mir direkt in den ersten Songs aufgefallen ist: „Die Band (Sodom) hört sich an, als würde sie einen Steilabhang runterlaufen und sich versuchen selbst zu überholen.“
Hier mal meine Favorites – und mir gefällt die Redux-Version tatsächlich am besten!
Klar, der erste Song „Body Parts“ ist schon ein echter Brecher. Wahnsinn, ist das schnell. Mich erinnert das sofort an die Rohheit des Slayer-Albums „Reign in Blood“. Wobei Sodom den Speed nochmal toppen, die Gitarre von Tom Angelripper in diesem Tempo schon fast zum Teppich wird, man die einzelnen Töne teilweise nicht wirklich definieren kann. Den Bass hört man nun recht gut. Ein geradezu apokalyptischer Sound, der sich megagut ins Klangbild einfügt. Warum ist der auf der Platte von 1992 nicht so deutlich zu hören? Darauf gehen die beiden in dem Video nicht ein. Ich nehme aber mal an, dass das damals nicht ungewöhnlich war und inzwischen ja auch Metallica ihr „…and justice for all“ mit lauterem Bass versehen hat. Vermutlich lag es daran, dass die Universum-Anlagen von damals einfach nichts ausgehalten haben und die Anlagen der Eltern dann „dran glauben mussten“.
Wenn die Double-Bass einsetzt, bin ich platt. „Skinned Alive“ ist so düster. Und die Gitarre schiebt ja die Akkorde wie ich so noch nicht gehört habe. Die Vocals von Tom sind präzise und zerschneiden die fast schon melodische Strophe. Zwischendurch hat man das Gefühl, die Drums werden schneller, wie geil ist das denn? Und on Top gibt es einen superfuckingfast Double-Base. Zwischen Speed- und Blackmetal hauen Sodom auch mal einen total straighter Knüppeltrack raus wie „The Crippler“.
Lyrisch würde ich sagen ist dieser Song ein Track über die Verrohung der Gesellschaft, dargestellt im TV. Zukunft vorweggenommen, die wir heute täglich kredenzt bekommen. „Wachturm“ ein Song in deutschen Lyrics. Im Grunde gegen das prophezeite Armageddon der „Gotteskinder“. Also ich konnte derart Songs damals schon nicht ernst nehmen und mochte auch den „witzigen“ Sexismus nie. Zumal der Song durch die deutschen Lyrics tatsächlich eher ein Rockstück ist, in dem die Lines oft nicht zum Rhythmus der Musik passen wollen.
Insgesamt: Die Basedrum pumpt mehr, die Gitarre zerrt und gemeinsam mit dem Bass beschwören sie Satan, die Apokalypse oder was immer, herauf. Die Vocals sind dann das gesprochene Necronomicon dazu. Das ist gut.
Warum es auch gut ist, das es ein Reissue gibt: Die First Press wird auf den einschlägigen Plattformen für mehrere Hundert Euro aufwärts angeboten. Das sind irrwitzige Preise und ich ich bin dann doch froh, wenn es Reissues gibt, die den Fans die Möglichkeit geben, das Vinyl noch zu erstehen.
Gibt es bei der Band im Shop (die Doppel LP in rotem Vinyl für günstge 30€) oder klar, bei JPC (hier auch die Box in rot mit schwarzen Swirl für knappe 100€) oder andern einschlägigen Mailordern.
Auf CD gibt es noch einige Live-Konzerte mit dazu.
Ein paar letzte Worte habe ich noch, das muss hier sein, ja. Denn bei einem Genre namens Metal, welches so ziemlich von Anbeginn mit Typen gespickt ist, die musikalisch und auch optisch vor nichts zurückschrecken, ist für mich ein Satz von Andy Brings schon sehr wichtig gewesen, dass es nämlich nur um die Musik auf diesem Album gehen soll. Diese Musik muss man schon aber auch in einen Kontext setzen können. Damals wie heute.
Seine Musik allerdings ist unerträglicher Rock-Schlager. Aber noch nicht mal das Ärgste an diesem Tag, was ich mir angucken muss bei der Recherche.
Wenn ich die Seite von Moshpit Passion aufmache, fällt mich, an dem Tag, an dem ich den Review schreibe, eine Band namens „Kanonenfieber“ an. Diese ganze Grauzone beginnt für mich schon immer genau da. Das hat nicht gleich was mit politischen Inhalten zu tun, dass hat immer etwas damit zu tun, WIE man sein Geld verdient. Das man welches verdienen will und kann und soll, ist okay, klar. Aber dieses endlose, oft mißverstandene und dadurch fälschlich interpretierte + angewandte Spiel mit dem Krieg?
Damit ihr mich also richtig einordnen könnt: dieses Album von Sodom ist ein Album mit (guter, abgefahrener) Musik. Um die geht es erstmal. Deswegen werd ich mir nun aber nicht jedes Metal-Album reinziehen. Und man sollte sich als Hörer IMMER die Zeit nehmen, die Texte, den Kontext der Band, in einen Zusammenhang mit der Zeit, in der das aufgenommen wurde, zu setzen! Das endet nämlich nicht immer gut.