Rattster – Das Short Story Review
Folge #1 – Bloodstrings, Album: “Heartache Radio”
Ratte zog seinen Wollmantel fester um sich, als er den regennassen Weg entlang huschte. Unter seinem Arm hing ein fleckiger Stoffbeutel, in dem sich das neue Album der Bloodstrings befand. Dieses hatte er heute erst umständlich und ungeschickt im Plattenladen mitgehen lassen. Ein Wunder, dass er nicht erwischt wurde. Er hasste es zu klauen, konnte er sich doch nichts anderes leisten, aber um dieses Album war er schon seit der Veröffentlichung im Juni 2023 bei Dackelton Records geschlichen. Aufgenommen wurde das Album zuvor in den Heavy Kranich Studios der bekannten Band DONOTS in Münster. Ratte hatte vergeblich versucht, Kronenkorkenpfand zu sammeln oder Gelegenheitsjobs als Lagerarbeiter bei den Eichhörnchen anzunehmen, obwohl er diese Eichhörnchen-Arbeit hasste. Doch immer, wenn er fast die ganze Summe beisammen hatte, kam etwas dringendes dazwischen. Mal war es eine Pulle Wodka mit Kakao, mal waren es ein paar Dosen vom feinsten Hundefutter, dazu Popcorn mit Prosecco und eine getrocknete Sonnenblume für Hamster.
Er hatte sich kurz ein wenig schlecht gefühlt, als er die Platte jetzt in der Vorweihnachtszeit bei JPC (Jede Pladde Cult) mitgehen ließ. Aber schnell waren die Gewissensbisse verzogen und verflogen. Die Freude über dieses Kleinod des temperamentvollen Punkabilly mit sozialkritischer Attitüde, ließ sein Wanderratten-Herz höher schlagen. Er wusste ganz genau, dass auch Hamster sich total freuen würde, da sie sich besonders durch die beiden Songs „Heavy Cross“ und den deutschsprachigen Aggroknaller „Ich hab’s schonmal gesagt“ auf krachige Art und Weise abgeholt fühlte. Lauthals hatte sie auf dem Konzert der Aachener Bloodstrings in der ersten Reihe zusammen mit einer Feminismaus mitkrakeelt: „Dein Cat Calling ist so unglaublich ekelhaft, es fliehen schon die Hunde in der Nachbarschaft“. Klar, dass Sängerin Celina schon mal in der Interviewreihe “Frauen im Musikbusiness” beim Vinylkeks vertreten war.
Hamster ließ sich nicht die Körner vom Brot nehmen und mit ihr war auch nicht gut Kirschenessen beim Thema Catsismus. Die beiden hatten sich beim Konzert gratis reingeschlichen und sich ein verwaistes, halbvolles Bier geteilt. Aber natürlich hatten die Wirtschaftsgüter nicht für eine LP oder eines der Longsleeves oder T-Shirts mit Grave-Motiv am Merch gereicht.
Ratte hastete weiter durch den Novemberregen und musste dabei jeder Pfütze mit einem O-Beinigen Hopser ausweichen, indem er angestrengt versuchte, seinen Rattenschwanz nicht in Pfützen dippen zu lassen. Es war anatomisch ganz schön kompliziert, als Ratterich aufrecht zu laufen, weil ständig dieser widerspenstige, sperrige Rattenschwanz in die Quere kam. Er zeigte in der zweibeinigen Position halt direkt nach unten und ließ sich nur schwer nach oben biegen.
Er versuchte den alten Handtaschentrick und klemmte sich seinen Rattenschwanz unter den noch freien Arm, wie eine Clutch. Das funktionierte, ha!
Normalerweise war es ihm egal, ob sein Schwanz über den Boden schliff. Aber bei Nässe war er empfindlich, das gefiel ihm genauso wenig wie Kälte. Gegen Kälte und Nässe hatte seine Tante Härtha ihm damals mit der Strickliesel einen bunt geringelten Schwanzwärmer gestrickt, allerdings hatte er den schon wieder vergessen anzuziehen. Er fühlte, wie seine Nagezähne zitternd aufeinander schlugen vor Kälte. Er war dadurch schon wieder mies drauf.
Deshalb begann er jetzt als Gegenbewegung laut den besten Song von der Platte zu summen, der ihm dazu einfiel: „Noone Makes It Out Alive“.
All the ups and downs you face Why not appreciate? Fuck your legacy Let's just enjoy to be As long as we survive 'Couse none makes it out alive (Noone Makes It Out Alive, A-Seite, Bloodstrings) (Übersetzung: All die Höhen und Tiefen, die du erlebst / Warum nicht sie würdigen? / Scheiß auf dein Vermächtnis / Genießen wir einfach unser Dasein / Solange wir überleben /Denn niemand schafft es lebendig raus)
„Kontrabass und Posaune machen gute Laune!“, lachte er in sich hinein, es ging ihm schon besser. Der Song war absolut energetisierend, wenn auch etwas ruhiger, als die anderen Songs auf dem Album.
Die Straßenlaternen zeigten in der spiegelnden Nässe, wo der Weg entlang ging, während die Autos vorbeifuhren und das von den Reifen aufgewirbelte Spritzwasser auf seinen nackten Pfoten zerstäubte.
Er beeilte sich, nach Hause zu kommen, in den Unterschlupf, der in einem alten Abrisshaus lag. An der Pforte des verlassen daliegenden Gebäudes quetschte er sich durch einen Spalt in den Gitterstäben hindurch, wobei sein Mantel an einem Stück hervorstehenden, rostigen Eisens hängen blieb und aufriss. Schnell hechtete er durch den jetzt immer intensiver werdenden Regen auf die Baracke zu, ohne das neue Loch in seinem alten Mantel zu beachten.
Hatte er dort nicht gerade die phosphoresziert wirkende Iris einer Katze im Schatten wahrgenommen? Das lauernde Gebäude starrte ihn aus den dunklen Höhlen seiner zerbrochenen Scheiben an. Sein Herz pochte bis zum Hals. Wie ein Mantra sang er bebend vor sich hin:
Don’t let your heart stop Don’t give in to the void Don’t let your body drop Don’t die die tonight (Don't Die, A-Seite, Bloodstrings) (Übersetzung: Lass dein Herz nicht stehen / gib dich nicht der Leere hin / lass deinen Körper nicht fallen / stirb nicht, stirb heute Nacht)
Es war der Refrain des temperamentvollen, schnellen punkabilly Songs „Don’t Die“. Das gab frische Power und die Angst ließ ihre klammen Finger von seinem Nacken.
Jetzt reckte Ratte seine Nase hoch in die Luft, schnupperte nervös aber scharf, blickte um sich und sprang dann mit einem eleganten Satz in eines der finstren Fenster.
Es knirschte in der Dunkelheit unter seinen ledrigen Pfotensohlen von den zertretenen Glasscherben, als er sich ins Innere bewegte. Ratte zückte sein Zippo, öffnete es mit einem metallischen Klacken des Deckels und die Flamme entzündete sich am stotternd drehenden Rädchen. Leise versuchte er sich durch den Staub am Boden voranzutasten. Ein zitternder Lichtschein floh voll aufkeimender Panik an den Wänden voran, wie ein versterbender Schrei. Der Widerschein züngelte stetig vor ihm durch den Raum, während er einen Hauch von Benzin in die Luft streute. Ratte hustete unterdrückt, öffnete die Tür am Ende des Raumes und lief gebückt einen langen Gang entlang.
Endlich, endlich, endlich kam er nach einer verwinkelten Odyssee in einem versteckten Räumchen ohne Fenster an. Hier entwich die ganze Anspannung aus seinem Körper, als sich ihm der Anblick ihres wohlig, gemütlichen Lagers aus gesammelten Lumpen bot. Darin leuchtete eine kleine Papier-Schirmlampe mit Petroleum, dort gab es einen altersschwachen Plattenspieler vom Sperrmüll mit einem hässlichen Holznachbildungsdekor und zwei unterschiedlichen Stereo-Boxen.
Am Boden standen einige alte Transportkisten, in denen ihre Plattensammlung untergebracht war. Hamster und Rattes ganzer Stolz, ihr Precious.
Der Kompaktplattenspieler stammte wohl etwa aus den 1970er Jahren, hatte einen eingebauten Verstärker und tat noch immer seinen Dienst. An diesen war eine merkwürdige Konstruktion aus verschiedenen Keilriemen, Spulen, Zahnrädern und Kabeln angeschlossen, die bis zu dem Laufband führte, dass an der Wand stand.
Hamster sprang Ratte jetzt entgegen. Sie hatte ein Stirnband aus schwarzem Frottee auf ihrem rotgoldenen Hamsterschopf und fiel Ratte sofort um den Hals. Unterdessen wiederholte sie in einer Tour: “Hast du sie, hast du sie?“ „Ja, ja, sicher“, lachte Ratte und triumphierte, „rate mal, was ich hier in meinem Beutel habe?“ Und schon hielt er eine hellgraue LP-Hülle empor, auf der drei Männer und eine Frau, die einen violetten Vokuhila hatte und ein Blumenhemd trug, vor einer flachsfarbenen Fotowand zu sehen waren. Es waren Sängerin Celina, Bassist Nick, Gitarrist Manni und Drummer Patrick, in Szene gesetzt von Celinas Schwester Chiara Baluch.
„Zeig, zeig!“, rief Hamster, wobei sie aufgeregt hoch und runter hopste, während sie ihre Pfote nach der Vinyl reckte. Ratte war glücklich über diesen Freudentanz, hatte er sich doch nicht umsonst verbogen. Jetzt gab Ratte ihr die Platte und schmökerte selbst im Lyric Sheet, das mit Fotos der band angereichert war. Hamster ließ einige Sekunden verstreichen und holte sie dann ehrfürchtig hervor. Enttäuscht blickte sie über das orangefarbene, transluzente Vinyl. „Ach, du hast die Orangene geholt, eigentlich hätte ich lieber die Violette gehabt.“
„Na super, auch noch Ansprüche!“, schnauzte Ratte etwas verärgert und setzte nach, „du weißt doch, ich musste mich total beeilen beim Stehlen und konnte nicht prüfen, ob jetzt die lila oder die orange Platte in der Hülle war. Sorry, nächstes Mal kannst du wieder die Platte holen!“ Er verschränkte zurecht beleidigt die Pfötchen vor der Brust.
„Wollen wir sie auflegen?“, kreischte Hamster und hörte schon gar nicht mehr zu, denn sie hatte die Platte bereits feierlich auf den Plattenteller gelegt und die Nadel bei den ersten Rillen der A-Seite aufgesetzt. „Okay, ich habe Hummeln im Hintern, du kannst chillen!“, quiekte sie. Es war definitiv ihre Uhrzeit, denn sie war extremst nachtaktiv. Damit rannte sie schon in einem langen Satz auf das Laufband und fing an wie wahnsinnig loszuspurten.
Die Keilriemen und Zahnräder begannen sich eins nach dem anderen quietschend in Bewegung zu setzen, der Dynamo surrte leise und dann drehte sich auch schon der Plattenteller. Erst natürlich etwas ruhiger und langsamer, was bei dem “Prologue”, der aus einem von Celina Baluch gespielten Pianostück bestand, jedoch kein wirkliches Problem war. Dieser technische Makel ihrer bodyresource-betriebenen Soundmaschine war nämlich nicht annähernd so seltsam, wie es sonst bei mancher Punkband der Fall war, die etwas schneller startete.
„Genial, ich würde sagen, diese LP ist wie für uns gemacht. Hier können wir endlich langsam die Geschwindigkeit auf 33 ½ rpm steigern, ohne dass es groß nervt,“ seufzte Ratte zufrieden. Dann setzte auch schon der Sound vom ersten knalligen Song der A-Seite ein. „Burning Hearts“ überflügelte alles und stieg gleich mit einem raschen Tempo ein. Augenblicklich steigerte Hamster ihren Speed, bis sie in der perfekten Geschwindigkeit über das Laufband jagte. Der Plattenteller drehte sich im dreißiger Tempo: „Oh what a Sound!“
Hamster war der absolut unerbittlichste und eisernste kleine Plattenspieler-Motor, den man sich hätte wünschen können. Mit ihrem Stirnband und dem Schriftzug ACAB – All Cats Are Bastards- auf ihrem Bauch, sah sie aus, wie eine Ninja in einem verkehrten 80’er-Jahre Aerobic-Video. Dabei hielt sie unentwegt den perfekten Takt und rannte, wenn sie sich erstmal eingegrooved hatte, so unnachgiebig wie ein Schlittenhund. Ablenken ließ sie sich nur noch einmal am Ende von Celinas etwas langsameren Piano-Epilogue, was den Sound unauffällig leiern ließ, bevor sie das 30er Tempo wieder hatte. Der “Epilogue” am Ende machte mit der Wiederholung eine runde Sache aus dem Album und gab dem Ganzen einen offiziellen Anfang und ein offizielles Ende. Unterdessen hatte sich Ratte den nassen Wollmantel ausgezogen und sich mit einem leicht angeschimmelten, harten Brotkanten bequem auf dem Lumpen-Lager niedergelassen. Er hörte entspannt und zufrieden dem Sound der Bloodstrings zu. Ein Abend aus punkiger Aggression gemischt mit Rock’n’Roll-Spaß.
Ja, wenn er gekonnt hätte, er hätte es den Bloodstrings gegönnt und sich die Platte natürlich hier direkt bei Dackelton bestellt und liefern lassen. Das wäre mal ein Fest gewesen! Es hatte sich definitiv gelohnt, die Platte zu ergattern.
Welche LP Ratte und Hamster als nächstes auf ihrer Soundmaschine hören und welche Ereignisse ihnen dabei widerfahren, lest ihr in der nächsten Rattster-Folge, wenn es wieder heißt: Hamster und Ratte, hören gerne Platte.
Alle anderen Folgen von Rattster kannst du nachlesen und zu einem fetten Soundtrack erfahren, was auf dem Roadtrip bisher geschah. Bei Vinylkeks in der Specials Kategorie Rattster findest du die ganzen Folgen.
Video: Bloodstrings – Don’t Die
Video: Blodstrings – Ich Hab’s schonmal gesagt
Meine Tochter hört Punk
Ich komm aus dem Rock n Roll
Ich besorg mir diese LP
Ich will die anderen Songs und
möchte mehr von Ratte und Hamster hören
Muddy