Beim ersten Durchlauf von The Verge kommt mein Sohn rein und kommentiert, das Saxophon ist zu laut, man hört das Schlagzeug gar nicht, aber das Fill war ziemlich nice. Okay, ich glaube er hat recht. Die Rede ist vom ersten Track, dessen Name ich noch nicht herausgefunden habe, weil die Titel auf der Rückseite der Plattenhülle entlang der Graden eines Heptagons gedruckt sind. Ich kann mich kreisförmig durch diese geometrische Figur arbeiten, aber wo ist der Anfang? Ich befürchte das ist so gewollt, es würde mich wundern wenn nicht.
Der zweite Song ist dann alles auf einmal, alle Instrumente treiben sich gegenseitig an. Es geht nach vorne, als wenn die Apokalyptischen Reiter einem auf den Fersen wären. Es passiert so unheimlich viel, dass ich in völliger Überforderung auf der Strecke bleibe. Ein tongewordenes Stroboskob-Licht (finde ich auch immer wahnsinnig nervig, unangenehm und unnötig) quasi. Leute macht mal langsam, ich bin vom Zuhören gestresster als von nem Kindergeburtstag in so ner Spielelandhölle und das ist eigentlich gar nicht möglich, weil nur der Gedanke daran.. egal. Ich werde erhört, denn mit dem nächsten Song wird es ruhiger und bleibt es.
Wir blättern zu Seite 2 und jetzt wird es sehr ruhig, repetitiv, fast meditativ, wenn der klang nicht so düster wäre. Aber dabei bleibt es natürlich nicht, der Grundton wird konterkariert von einem Saxophon, was sich ganz typisch über die Düsternis legt. Diese Dissonante vertreibt jedoch die melancholische, düstere Grundstimmung nicht, sondern geht eine schräge Symbiose ein. Wild, das war zu erwarten, nimmt sich der Song selbst auseinander.
Alle sieben Songs erfüllen genau meine Erwartungen, die sich in mir aufbauen, wenn ich Post vom norwegischen Label Is it Jazz Records? erhalte. Wie wild und absurd kann es noch werden? JA.
Und The Verge die zeigen mit jedem Track was sie können und mit jedem Track eine andere Facette dessen, was möglich ist. Jeder Song von einer anderen Person aus der Band geschrieben, zeigt wunderbar was Vielfalt kann und im Ganzen ist das Album ein wunderbares Bild dafür, wie viel Freiheit im gemeinsamen Schaffen liegt und wie abhängig diese Freiheit von der Gemeinschaft ist. Jazz alleine geht halt nicht. Vielleicht sollten Vertreter*innen des Neoliberalismus mehr Jazz hören, aber den Gedanken führe ich jetzt mal nicht weiter aus.