Wir blicken auf einen Abschnitt eines schwarzen Felsens. Nichts passiert. Plötzlich bewegt sich ein Steinchen minimal. Eine Täuschung des Auges? Wahrscheinlich. Weiterhin fokussieren wir den schwarzen Felsen. Da wieder, ein kleines schwarzes Felsstückchen scheint kurz zu vibrieren. Nach und nach scheint das Phänomen sich auf weitere Steinchen in unserem Blickfeld auszubreiten. Wie eine Krankheit scheint sich die Vibration auszuweiten. Dann wieder Ruhe. Plötzlich das bekannte Vibrieren der Steinchen und ein übles Geräusch, einem langsamen Knochenknacken gleich. Das nächste Geräusch gleicher Art erzeugt wieder eine Gäsehaut, gibt aber Aufschluss über seine Herkunft: Der schwarze Fels reißt und weist erste Risse und Spalten auf. Das Ganze schaukelt sich weiter und weiter auf, die Erde vibriert mittlerweile deutlich mit und jeder versteht – Hier ist Gefahr im Verzug. Erste Spalten geben ihr zähes, feuerrotes Blut frei und lassen es langsam austreten. Blasen entstehen und platzen wie eitrige Mitesser, die Erde tanzt mittlerweile, es riecht nach Schwefel und Hölle und die Hitze wird unerträglich.
Der plötzliche Ausbruch hat sich zwar minutenlang angekündigt, überrascht aber mit seiner geräuschvollen, lautstarken Inszenierung von olfaktorischer und akustischer Überbelastung für die Sinne. Schwarze Wolken verdunkeln das Bild und nehmen Sicht und Luft. Später, viel später, der Rauch ist längst verflogen und die Erde hat sich beruhigt, erkennt man einen schwarzen, glatten Monolithen nahe der Ausbruchsstelle. Ein Handschuh mit Hitzeschutz greift danach und man erkennt die Aufschrift in der Farbe der Lava, die sich deutlich gegen das Schwarz des Monolithen abhebt: “Rarbarbara”. Bild und Ton reißen ab und im Hier und Jetzt halte ich das Tape in der Hand und denke darüber nach wie extrem sauber das Gehäuse gearbeitet wurde. Der maschinenbaustudierte Autor erkennt es als 3D-Druck und ich bewundere die Flächengestaltung und die exakten Spaltmaße des Tapes. Ein wirklich tolles, stylisches Outfit und auch der Beipackzettel läßt keine Wünsche offen. Ein Hintergrundbild eines altes Fords am Strand bildet das visuelle Gegengewicht zur Trackliste. Das hat Stil und wirkt trotzdem alles durchdacht, abgestimmt und vor allem hand made.
Insgesamt hat uns der Godfather of Minimal Electronic Jörg Steinmeyer 24(!) Perlen in eine Muschel gelegt. Das sind in etwa neunzig Minuten Spielzeit für ein Spektrum an Bands, die sich an diesem Sampler beteiligt haben, das seines Gleichen sucht. Hier findet sich alles aus dem bunten Spektrum des Electronic wieder: Minimal, Synth-Pop, Electronic, Ambient, New Wave, Dark Wave etc. pp. Und damit es richtig bunt wird, kommen die Bands unter anderem aus Deutschland, den Niederlanden, Belgien, Schweden, Japan, Großbritannien, Kanada, Mexico und den Vereinigten Staaten. Meist Bekannte, Freunde oder Wegbegleiter des Kernkrach-Imperators. Es finden sich Instrumentale ebenso wieder wie gesungene Tracks. “Die Bands haben begeistert auf die Anfrage reagiert”, so Jörg Steinmeyer, der dieses Tape initiiert und realisiert hat.
Auf die Nachfrage, “wie man denn auf so eine Idee kommt”, lacht Jörg kurz auf und merkt an, dass er von mir (dem Autor), Hans-Georg aus der Leserille, eine nicht unbeträchtliche Menge an Musikkassetten bekommen hat. “Irgendwas mußte ich ja mit den hunderten von Kassetten anfangen”, so Jörg. Da war der Weg zum Tape-Sampler als Idee nicht mehr weit. Eine Interpretation des Namens “Rarbarbara” kann ich ihm nicht entlocken. Ich kann mich nur an das WhatsApp-Gefecht erinnern, als wir gemeinsam nach einem Namen suchten. Dann kam besagter Name und man befand ihn als gut. Das dieser Tonträger einen absoluten, speziellen Stellenwert im Kernkrach-Universum bekommt, zeigt die vierstellige Artikel-Nummer Hertz 4444. Diese Nummern werden nur bei absoluten Highlights vergeben.
Kommen wir aber zum schwarzen Monolithen, der Musikkassette. Schon der erste Song “Bizarr” von Tanz86 aus Großbritannien lässt keinen Zweifel daran, was den Hörer hier erwartet. Eine schweißtreibende Party über die gesamte Länge der Kassette. Es folgen wirklich sehr abwechslungsreiche Stücke der Bands. Mal hört man ein wenig Goth raus, mal ist es zuckersüßer Pop. Ein anderes Mal hört man die gute alte NDW in neuem Gewand wieder. Dann wird es mal trashig oder industrial, aber immer in den Leitplanken des Minimal Electronic. Und das macht es aus; zu erleben wie man aus ähnlichen Zutaten durchaus vielfältige und unterschiedlich geschmackliche Gerichte zaubern kann. Und, trotz mehrfachen Abhörens des Bandes, hat es der alte Magier aus Warendorf geschafft, die Songs gleich Perlen an einer Kette aufzureihen, dass auch bei mehrfachem Hören keinerlei Langeweile aufkommt. Im Gegenteil, das Stück wird von Mal zu Mal besser und der Spaßfaktor nimmt nicht ab. Da wird seine Erfahrung als weltweit auflegender DJ schon ein wenig geholfen haben.
Mir fällt es schwer, einzelne Stücke heraus zu greifen, aber auf der A-Side ist es Pleasure Victim mit “Telecult Power”, was mir hängen geblieben ist. Mit spartanischer Instrumentalisierung ist der Song ein echter Ohrwurm, der von einem Duo sehr entspannt vorgetragen wird. Die ruhige Stimme des Sängers und die untermalenden, elektronischen Sequenzen unterstützen diese Ruhe, obwohl der Grundbeat recht flott unterwegs ist. Hier ein Live-Video von Pleasure Victim mit dem Song “Telecult Power” vom Tape.
Ebenfalls auf Seite A finden wir Mitra Mitra mit “Shortwave”. Ein wunderschöner Synth-Pop Song von der Mini-LP “Marionettes”. Der Song hat einen klaren Grundbeat, der von wechselnden Soundcollagen umspielt wird. Dazwischen hören wir die Sängerin mit verfremdeter Stimme singen oder besser gesagt ihre Spoken Words. Der Song ist wunderschön ruhig angelegt, gelegentlich hört man die Tasten der Synthies, aber ansonsten steht die eingängige Grundmeldodie absolut im Zentrum des Werks.
Auf der B-Side ist es Staccato du Mal aus den Vereinigten Staaten mit ihrem “Pour Une Nuit”, die mit ihrem spacigen Soundteppich an die 80er Jahre erinnern. Trotzdem schaffen Staccato du Mal es ihren eigen Stempel aufzudrücken und sich kreativ von den Vorbildern abzuheben. Die Melodie des Instrumentals zusammen mit diesem Beat machen mich verrückt. Das hat ebenfalls großen Ohrwurm-Charakter und bleibt hängen. Schaut mal hier nach.
Der vorletzte Song “Forms of Alien” von den fantastischen Dekay ist ein wunderschöner Dark Wave Song, der deutlich an die Spät-Achtziger / Früh-Neunziger-Songs entsprechender Bands erinnert. Die unterkühlte, verfremdete Stimme wechselt zwischen Gesang und Spoken Words. Zu einem flotten Grundbeat lässt man die Synthies klimpern und piepen. Dann schieben sich wieder Sound-Collagen rein. Einfach herllich. Um keiner der wirklichen hervorragenden Beiträge unrecht zu tun, möchte ich an dieser Stelle die gesamte Tracklist zeigen.
A1 | Tanz86 | Bizarr |
A2 | Pleasure Victim | Telecult Power |
A3 | Element 104 | Chance Meeting |
A4 | Nao Katafuchi | Dance To The Apocalypse |
A5 | Orbital Ego | Lunatic Asylum |
A6 | Staatseinde | Dans |
A7 | 4 Photographs Of God | Swamp Stomp |
A8 | Half A Twin | Mensch Aus Glas |
A9 | Ruinas para una era futura | Human Machine |
A10 | Mitra Mitra | Shortwave |
A11 | Mojo Beatnik | Hush |
A12 | THX 1971 | Raumpatrouille Antwortet Nicht |
B1 | STTLRN | Monoton |
B2 | Kord (2) | The Circus |
B3 | Pale Horse Pale Master | No Master, No Servant |
B4 | Error 144 | Spider People |
B5 | Oberst Panizza | Dancin´ With A Knife |
B6 | Braincracker | Twisted Mind |
B7 | Datafreq | Der Kommissar |
B8 | R00Bots | Always Dance Sexy |
B9 | Das Das | Wundervolle Menschen |
B10 | Staccato Du Mal | Pour Une Nuit |
B11 | Dekay | Forms Of Alien |
B12 | Siviyex | X-Staira |
Als Fazit von mir, das Tape ist ohne Frage der Tonträger des Jahres im Bereich des Minimal Electronic-Genres! Die liebevolle Zusammenstellung der Songs ist absolute Champions League und auf Dance ausgerichtet. Dazu kommt die hochwertige Verarbeitung der Hülle des Tapes sowie das Grundkonzept eines Tape-Samplers, denn Musikkassetten liegen ja wieder voll im Trend. Wer hier vorbei will, wird sich strecken müssen, denn die Latte liegt sehr hoch. Mittlerweile geht das Tape in den entsprechenden www-Kanälen steil. Von mir absolute Kaufempfehlung für das Tape – Bestellen könnt ihr hier.