Hallo Hagi,
ich bin schon seit Tagen gespannt, was für eine Vinylsünde du wohl in deiner Schallplattensammlung hast? Warum ist ausgerechnet diese Schallplatte die Sünde deiner Sammlung? Wie bist du zu dieser Sünde gekommen und warum hast du sie noch?
Hey Nico, Dank dir für deine Anfrage. Du gibst mir damit einen Grund, endlich auch mal wieder in den hinteren Ecken des Kellers abzustauben. Dort, wo der Kram lagert, den man eher selten bis gar nicht benötigt – bis jetzt.
Du musst wissen, ich bin nicht der größte Vinylsammler auf Erden und lege mir nur noch neue Platten von Bands zu, die mich live total gepackt haben. Das ist meine selbstauferlegte Vorgabe. So entgehe ich der Bredouille, aus Platzgründen irgendwann etwas verkaufen oder wegschmeißen zu müssen.
Die „Best of“ von den Bee Gees sprang mir quasi entgegen. Die Platte ist nicht nur nervtötend, sie steht gleichzeitig auch für eine Reihe von Vinylsünden, die ich seit Übernahme der Plattensammlung meiner Eltern gut gehütet versteckt halte. Nicht falsch verstehen, da sind auch einige Schätzchen dabei – u. a. von Santana, den Stones oder The Who –, für die Sammler die ein oder andere Mark geben würden. Aber die bleiben schön hier, und um die geht es ja auch nicht. Es geht um die Platten, die ich zwar mit schönen Kindheits-/Jugenderinnerungen verbinde, aber eben nicht, was die musikalische Untermalung betrifft.
Eine dieser Erinnerungen ist Folgende: Stell dir vor, du fährst mit deinen Eltern zusammen im Auto Richtung Spanien. Scheiß auf die lange Fahrt, es winken 2 Wochen Sonne und Meer. Du hast den Kassettenrekorder mit 4 Batterien bestückt, 4 weitere als Ersatz sind ebenfalls in weiser Voraussicht eingepackt. Auf die Ohren gibt’s Queen, Guns´n´Roses, Nirvana sowie Ärzte und Hosen. Soweit so gut. Doch anders als heute, wo ein Handy-Akku für stundenlanges „Spotifyen“ reicht und der Zigarettenanzünder danach für ausreichend Strom sorgt, ist die Power damals gut für 1 bis 2 Alben. Was also tun, wenn die durchgehört sind und auch der Bruder vor selbigem Problem steht und nicht mit der neuen Scheibe von den Prinzen aushelfen kann? Richtig: Rote Autos zählen und die Musik aus den Boxen von vorne hören. Die Eltern hatten die Macht über den Sound und ausreichend Munition in Form von Kassetten, bespielt mit Teilen der zuvor erwähnten Plattensammlung. Und damit begann das Martyrium.
Denn ich wurde lautstark mit „Oldies“ von Elton John, Paul Mc Cartney und Italopop versorgt. Oder soll ich sagen: gefoltert? Immer wieder tauchten nämlich auch die Bee Gees auf und versetzten mich in Angst und Schrecken. Diese sägenden Organe… War da schon der Sackabreißer von Wattenscheid aktiv? Falsett ist definitiv nicht mein Ding! Dazu übertriebene Geigengewitter, Dosenkeyboards und Drums, die klingen, als wären sie auf Omas Topfset eingeklöppelt worden. Die Band hat eine Soundära geprägt, die meiner Meinung nach nicht zu den stärksten in der Geschichte der Musikproduktion zählt. Apropos Band: Muss es nicht eher Chor oder Boygroup heißen? Oder hatten die Herren Krakenarme und haben jeder 5 Instrumente bedient? Ich entscheide mich mal für die Urform einer Boygroup, das trifft es wohl am ehesten. Auch, weil immer viel Wert auf Optik und Outfit gelegt wurde. Das Cover der „Best of“ dient definitiv als Beweis. Irgendwie sehe ich hier große Parallelen zu den Flippers.
Zurück zur Autofahrt: Noch heute bin ich der festen Überzeugung, dass die Übelkeit nicht vom Lesen oder zu viel Raider kam. Aber ich habe es tapfer ertragen und wurde schließlich am Urlaubsziel mit einer tollen Zeit belohnt – bis zur Rückfahrt.
Es bleibt die Frage: Warum wurden die Vinyl-Schätzchen eigentlich nie auf Kassette überspielt? Ich bin meinen Eltern rückblickend sogar dankbar dafür. Denn ein kleiner Revoluzzer will doch rebellieren. Und wer weiß, wohin sich mein Musikgeschmack dann entwickelt hätte. Ich denke, ich muss als fürsorglicher Vater gleich mal die Playlist im Auto „verforstern“