Kein Baum wächst an einem Tag. Ähnlich verhält es sich auch mit Musik. Und, dass es sich lohnen kann, auf richtig gute Musik auch mal ein knappes Jahrzehnt zu warten, durfte ich erst kürzlich feststellen. Fast neun Jahre nach seinem letzten Album veröffentlicht Zedd mit “Telos” sein drittes Studioalbum, eine beeindruckende Reise, die sowohl langjährige Fans als auch neue Hörer überraschen dürfte. Mit einer Fülle von Gastkünstler*Innen und einer Mischung aus klassischen sowie modernen Elementen zeigt “Telos”, dass Zedd den Anspruch verfolgt, seine eigene “ultimative” Vision der elektronischen Musik zu erreichen und das auf eine qualitativ hochwertige Art und Weise wie man es von dem russisch-deutschen Musikproduzenten schon lange gewöhnt ist. Nicht ohne Grund bezeichnet Zedd selbst Telos als sein bestes Album jemals.
Eröffnet wird das Album mit “Out of Time”, in Zusammenarbeit mit der Künstlerin Bea Miller. Hier treffen atmosphärische Streicher auf sanfte Synthesizer, die sich allmählich in einen energiegeladenen, bassbetonten Track verwandeln. Diese Intro-Nummer setzt den Ton für das Album und baut die emotionale Spannung auf, die sich durch alle weiteren Titel zieht. Nahtlos geht es über zum zweiten Track “Tangerine Rays”, wo Miller ebenfalls die Vocals übernimmt. Durch die Mischung aus Piano-Progressionen und energiegeladenen Beats sowie der Kombination aus Pop und EDM erhält der Song eine Eingängigkeit, die für Zedd charakteristisch ist und durch Millers Stimme zusätzlich emotional aufgeladen wird.
Eine der vielen Besonderheiten dieses Albums ist die Vielfalt an überraschenden Gastkünstlerinnen und Gastkünstlern. Als Gitarrist fiel mir direkt der Song “Automatic Yes” auf, in dem kein Geringerer als John Mayer zu hören ist. Mayer, bekannt für seinen bluesigen Rocksound, bringt seine charakteristische Stimme und Gitarrenklänge in den Track ein, die sich nahtlos mit Zedds dynamischen Beats verbinden. Aber auch darüber hinaus lebt dieses Album durch die Vielfalt, welche die vielen GastkünstlerInnen beitragen. Diese Fusion aus den unterschiedlichen Bereichen wie Blues, Folk oder Pop gepaart mit Zedds charakteristischem EDM Sound wirkt dabei erstaunlich organisch und hebt “Telos” von typischen elektronischen Alben ab.
Zedd experimentiert auf diesem Album auch mit weniger erwarteten Einflüssen und Stilen. “Shanti” und “No Gravity” sind Beispiele für seine Arbeit mit Tribal-House-Elementen. “Shanti” bringt klassische Orchesterklänge und wechselnde Rhythmen in Einklang mit treibenden Basslines und elektronischen Drops, was ein spannendes Spannungsverhältnis zwischen den Stilen aufbaut.
Mein persönliches Highlight ist aber der Track “Sona”, an dem die irische Band The Olllam mitgewirkt hat, die für ihre modernen Interpretationen keltischer Musik bekannt ist. In “Sona” fusioniert elektronische Musik mit irischen Klängen, was besonders durch den Einsatz irischer Flötenmelodien und echter Trommeln, eine vielschichtige Atmosphäre erzeugt. Im Zusammenhang, mit der durchaus ungewöhnliche Taktart, hebt sich “Sona” deutlich von klassischen EDM-Tracks ab, was mich bei jedem Hördurchlauf wieder positiv überrascht hat und definitiv charakteristisch für das Gesamtwerk ist.
Ein besonderer Gänsehautmoment ist der Abschluss des Albums mit “1685”, einem Track, der mit dem Einfluss von Bach experimentiert und die Band Muse als Feature enthält. Dieses Stück ist etwa sechs Minuten lang und inspiriert sich an Bachs „Das wohltemperierte Klavier“, kombiniert mit einem dramatischen Rock-Twist und modernen Synths. Muse’s Sänger Matthew Bellamy bringt seine unverwechselbare Stimme und einen Hauch von Rock-Dramatik in den Song, was ihn zu einem grandiosen Finale macht. Zedd zeigt hier seine Liebe zur klassischen Musik und lässt eine Fusion aus alt und neu entstehen, die das Album mit einem intensiven Gefühl von Finalität abschließt.
Insgesamt lässt sich sagen, dass “Telos” ein Album ist, das Zedds charakteristischen EDM-Sound beibehält, ihn aber gleichzeitig durch mutige Experimente und Kollaborationen erweitert. Seine Fähigkeit, unterschiedliche KünstlerInnen und Stile zu integrieren, lässt “Telos” wie eine musikalische Reise wirken, die auch nach dem ersten Hören noch viel zu entdecken bietet. Durch die größtenteils nahtlosen Übergänge zwischen den einzelnen Tracks wirkt Telos, nicht wie eine aneinandergereihte Sammlung von EDM-Tracks. Ganz im Gegenteil, es ist ein musikalisches Abenteuer, das unterschiedliche Genres und Emotionen miteinander verbindet. Mit komplexen Arrangements und einem atemberaubenden Gespür für Melodien ist Telos nicht nur ein Album zum Tanzen sondern auch eines, welches zum Nachdenken anregt. Für Fans elektronischer Musik und solche, die mehr als einfache EDM-Banger suchen, ist dieses Album ein absolutes Muss. Veröffentlicht wurde die Platte auf Interscope Records und wer mag findet sein eigenes Exemplar auf JPC.
Viel Spaß beim Hören!
Jan