100 Blumen haben wohl kein unbeschriebenes Blatt mehr. Fast 10 Jahre ist das ursprüngliche Ein-Mann-Projekt zu einer Band gewachsen.
Sie haben also eine Menge Zeit gehabt, und sie genutzt, sich ganz ordentlich in die Herzen der Synth-Punks melodiedisiert. Vermutlich war die Hörer-Grundsteinlegung mit dem Release “under siege” in 2015 bei Raccoone Records und Sleeping Cat. Es ging dann über Plastic Bomb Records zu Rookie Records, bei denen dieser neue Longplayer vor Kurzem erschienen ist.
“Hoffnung, Halts Maul” heißt das gute Stück. Streetart-Artwork. Als limited Edition mit Laser-Cut-Cover (heißt: irgendwo ne arme Socke saß tagelang mit einem Skalpell am Schneidebrett und hat den Karton ausgeritzt – natürlich nicht!)
Seit dem letzten Release hat sich einiges getan, mal abgesehen von dem “ihr wisst schon was”: Akki von Oiro ist am Bass bei 100 Blumen eingestiegen und dengelt einen ordentlichen Teppich unter Brett, welches die andern Blumen schon genagelt haben. Mir fiel das neulich schon mal bei Alte Sau auf: so ein Bass taugt recht gut bei einer Rockband, dass kann man zu 110% so unterschreiben!
Und während die ersten Takte von der Videosingleauskopplung “ey, die vögel” läuft, frage ich mich, ob Synth-Punk irgendwie DAS neue Ding ist. Sind wir langsamer geworden beim Tanzen, keinen Bock mehr auf “pogo, Pogo, POGO!” und die Musik hat sich angepasst; oder wollen alle Musiker tanzbare Musik machen?
Mit diesem Midtempokracher geht es los, und ich hoffe ihr wisst sofort, was ich meine mit “melodiesieren”, einer Wortschöpfung, die mal so ganz spontan aus mir heraussprudelte, beim Hören.
Alle Elemente des Synthie-Krams enthalten: Minimalismus, Effizienz, Abwechslung, Melodie.
“ein drittel hass” ist ein superschwerer Kopfnicker geworden. Fast schier endlose 5 Minuten und 20 Sekunden drückt der Beat auf die 1 und 3 die Basedrum. Dazu ein tiefer Text, lyrische Lines, die nachdenklich machen. Der Synth schmiert Industrial an die Wände während sich der Dark-Wave mit seinem spröden Charme an die umliegenden, offenstehenden Stahlträger klammert.
Vor allem das Schlussstück, das Outro “schlachthaus” hört man, aber man denkt nichts, es kommen keine Worte, ist irgendwo zwischen “verdammt cool” und “eine Nummer zu viel”.
Da ist nur Geschrei. Dann etwas Synthie, der Bogen beginnt sich zu spannen, ein schleppendes Schlagzeug, etwas Melodie, mehr Geschrei. Ein paar Worte zur Erklärung auf dem Inlay.
Ich wünsche mir, dass ihr ihre Konzerte besucht und von der Band, dass sie dieses Stück spielen! Es ist ein Statement, wie ich lange keine gehört habe.
100 Blumen können allerdings auch mit etwas melancholischem Humor ans Leben gehen. Sehr feinsinnig bebildert in “kaputt”:
Nach zwei Runden auf meinem Plattenteller möchte ich zwar gerne mit einer Umarmung aus dem Betroffenheitsbad abgeholt werden, doch ich darf 100 Blumen ein großes Kompliment machen: sie machen das richtig richtig gut. Eingängig und nie zu melodös, fast schon schön ohne anbiedernd sein zu wollen. Da ist eine spürbare Veränderung durch die Band gegangen. Der Sound, das Songwriting, alles top. Klar, es die Rohheit der vorigen Releases ist weg; was, verdammte Hacke, aber sowas von überhaupt nicht blöd ist!
Gibt es bei GrandHotelVanCleef (auch noch als Lasercut-Cover!) oder bei Flight13.
Ich drop mal hier ein paar lohnenswerte Bands mit Synthies: Phileas Fogg, Dunkle Strassen