Nebel wabert durch abgestorbene Felder schwarzer Baumstümpfe. Man sieht die Hand vor Augen kaum, stattdessen dieser anhaltende Geruch nach Moder mit einer feinen Note an Süße, die nichts Gutes verheißt. Das Tageslicht hat längst der Dämmerung Platz gemacht und die einzige Hoffnung ist ein kaum wahrnehmbares Licht oder Leuchten. Bei Näherkommen entpuppt sich das Licht als schummrig beleuchtetes Fenster einer kleinen Kapelle, aus der ganz weit entfernt eine Melodie ertönt, die mich magisch anzieht. Ich öffne die Eingangstür und setze mich in die letzte Bankreihe. Ich erkenne im Vorraum des Altars eine weibliche Gestalt, die im Gegenlicht diese Melodie durch ruhige Bewegungen auf ihren Instrumenten erzeugt. So könnte ein Filmausschnitt aussehen, zu dem das Album „VOID“ von CORECASS passt.
Diese Klangschamanin (siehe Porträt auf dem Innencover) heißt Elinor Lüdde und steckt hinter CORECASS, hinter dessen Deckname die Künstlerin seit 2014 über den konventionellen Ansatz hinausblickt und Instrumenten wie Harfe, Akkordeon, E-Gitarre und ihre natürliche Stimme mit Feldaufnahmen, Foleys und digitalen oder synthetisierten Instrumenten den Raum gibt sich zu etwas wirklich kreativem Neuen zu werden. Aus dieser Alchemie entsteht eine Gemengelage, die elegisch, episch und sehr düster mit den Tönen elektronischer und nicht-elektronischer Instrumente spielt. Das Ergebnis ist ein innovativer Breitbandklang in Cinemascope, der perfekt zu der Vertonung des „Necronomicon“ von H. P. Lovecraft passen würde.
Der Albumtitel „Void“ bedeutet Leere, aber man findet diese Leere auf keinen Fall in den drei nach dem Albumtitel benannten VOID I, II und III. Die Leere findet sich eher dazwischen. So wird das Finale mit „Breath“ ein angenehmes Rauschen von Wellen. Ein Geräusch, das seit jeher beruhigt. Und das ist nach dem 25 minütigen Trip auch dringend notwendig. Die drei Hauptstücke, welche die EP dominieren und dem Gesamtwerk seine Struktur geben, sind dermaßen aufwühlen wie Wagner‘sche Opern. Es ist wird sehr dramatisch und düster; die Stimmung gleicht den Momenten vor einem Gewitter oder einem herannahenden Unwetter. Im Video wird diese dunkle Atmosphäre hervorragend in Bilder einer leeren beängstigenden Landschaft umgesetzt, in der eine Frau verunsichert versucht, der nahenden Bedrohung,^ zu entkommen.
„VOID II“ ist für mich der Wahnsinn! Hier kommt die Kirchenatmosphäre zum Tragen, in der das Album aufgenommen wurde. Die sieben Minuten werden episch angelegt, Elinor Lüdde setzt ihre Instrumente sehr akzentuiert ein, langsam schälen sich ihre Dämonen aus dem Dunkeln hervor. Die Beschwörung nimmt ihren Lauf vervielfacht die Emotionalität der Situation – einen Ausweg gibt es nicht. Die Kirchenorgel bäumt sich noch mal auf, doch unaufhörlich bewegt sich der Strudel und man ergibt sich der Musik vollends.
Das Album „Void“ sucht in 2020 seines Gleichen. Eine absolute Bereicherung, das den Spagat zwischen den filigranen Passagen und den donnernden, aufwühlenden Bereichen mit großer Dynamik, mühelos schafft. Den mutigen Hörern aus dem Bereich des Dark Wave (Dead Can Dance, Cocteau Twins und andere frühe Label-Mates von 4AD), aber auch einfach interessierten, nach neuen Suchenden, sei das Album ans Herz gelegt.
Idealerweise genießt ihr das Album in entsprechendem Ambiente, mit einem Glas Rotwein und einer Anlage, die auch mal ihre Dynamik und Lautstärke ausfahren darf. Dann wird sich dem Hörer ein Wohlgenuss, Gänsehaut eingeschlossen, erschließen.
Wer es kaufen möchte, tut das idealerweise hier:
Interpret | Keine Daten vorhanden |
Titel | Keine Daten vorhanden |
Veröffentlichung | Keine Daten vorhanden |
Label: | Keine Daten vorhanden |
Lagartija Nick
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Another excellent review of yours. Very atmopherice music which, depending on my mood, I might even listen to. Just asking myself where the video has been recorded.
Wieder mal ein guter Artikel von dir, Thomas! Du schreibst wirklich spannend und es macht neugierig, sicher, daß ich mir die Scheibe auch hole (sollte eigentlich auch hier in meinem Laden stehen)!