Schon beim Schreiben des Buchtitels „Ich brauche eine Genie“ machte sich die algorithmusierte Männlichkeit des Alltags bemerkbar. Diese verfluchte Autokorrektur löscht ständig das entscheiden „e“. Und dies scheint bisweilen symptomatisch für unsere Gesellschaft zu sein. Auch die (linke) Musikszene ist davon betroffen und dass will ja nun wirklich niemand, niemand der sich dieser zugehörig fühlt. Das will erst recht niemand hören und bitte nicht wahrnehmen. Es könnte unser eigens liebevoll zusammen gepuzzeltes Bild der linken Szene besudeln. Doch genau das ist nötig und eigentlich erheben wir doch gerne den (moralischen) Zeigefinger und machen aufmerksam. Und genau das macht auch dieses Buch auf die schönste Art und Weise.
„Ich brauche eine Genie“ ist ein Songbook in dem ausschließlich feministische Songtexte zu finden sind und macht an Genregrenzen nicht halt. Herausgegeben ist das Buch von den Schwestern Kersty und Sandra Grether, erschienen am 30.08 beim mikrotext Verlag.
Die beiden sind alte Häsinnen im Kampf gegen patriarchale Strukturen, sei es mit ihrer Band The Doctorella und den beiden Alben „Drogen und Psychologen“ und „Ich will alles von dir wissen“, oder ihrem Indie-Lable Bohemien Strawberry Records mit dem sie weiblich gelesenen Musiker:innen eine Plattform bieten, „weil es nichts Schöneres gibt als einer Frau* zuzuhören!“ Auch als Autor:innen haben sie sich längst mit „Madonna und Wir“ einen Namen gemacht. Von Kersty gibt es außerdem die Romane „Zuckerbabys“ erschienen beim Ventil Verlag, sowie „An einem Tag für rote Schuhe“, zu lesen.
Jetzt aber zum Buch. Dieses Songbook ist vollgepackt mit Texten, geschrieben von weiblich gelesenen Musiker:innen und schönstem Artwork, auf rund 300 Seiten. Da es unmöglich ist hier alles Band zu benennen, die ihre Texte für diese Sammlung zur Verfügung gestellt haben, hier eine kleine, tatsächlich zufällige Auswahl. (Augen zu und mal sehen wo der Finger drauf tippt) Neben den Texten gibt es auch immer eine kurze Info zu Band, zum Beispiel von The Toten Crackhuren im Kofferraum, Schlampen ficken besser, Luise Pop, Jolly Goods, Finna, die Lassie Singers, CULK, Babsi Tollwut und Acht Eimer Hühnerherzen.
Wie ihr seht, ein breites Spektrum an Bands und Musik, so divers wie wir es sind, Frauen, Menschen… Und so unterschiedlich wird auch der Feminismus in den fein ausgewählten Songs beleuchtet. Wenn man sich einmal mit weiblich gelesenen Songwriter:innen auseinander setzt, fällt auf, dass es viel mehr von ihnen gibt als Line-Ups bei Festivals sichtbar machen und um so schwieriger erscheint mir Bands und einzelnen Texte für diese Sammlung auszuwählen. Aber Kersty und Sandra ist dies vortrefflich gelungen.
Wer mag setzt sich hin und ließt dieses Buch an drei Abenden von Anfang bis Ende. Aber für mich ist es ein Buch was niemals den Couchtisch verlassen sollte, außer vielleicht als Weglektüre auf Reisen. Es lohnt sich immer und immer wieder durch die Seiten zu Blätter, denn es hat eine Wimmelbuchhaftigkeit an sich. Nicht in der Gestaltung an sich, aber mit jeden zufälligen Aufschlagen einer Seite, eines Songs entdeckt man neu Sachen, neue Impulse zwischen den Zeilen und auch das Artwork will einfach immer und immer wieder betrachtet und entdeckt werden.
Unter dem Titel „Ich brauche einen Genie“ gibt es bereist einen Blog der beiden (findet ihr hier), genauso wie eine Veranstaltungsreihe, in diesem Jahr sind noch ein paar Termine geplant. Daten findet ihr unter anderem in eben jenem Blog.
Das Buch „Ich brauche eine Genie“ bekommt ihr direkt über den mikrotext Verlag und ich kann es nur wärmstens Empfehlen, auch denen, die sich mit Feminismus bis jetzt nicht auseinander gesetzt haben, sei es auf Grund ihres Geschlechts, oder warum auch immer.
ein paar Fragen, die beim Lesen des Buches und bei dem Schrieben dieser Review aufkommen sind habe ich Kersty und Sandra gemailt und das interview könnt ihr in unserer Reihe Musik trifft Literatur nachlesen.
Ach, und die Spotify Playlist, in der ihr die Songs zum Buch findet darf natürlich nicht vergessen werden. Aber ihr könnt die Songs auch selber nachspielen, Akkorde sind nämlich auch bei einem Großteil der Lieder notiert.