Es ist soweit: Heute gibt es für Euch, nach den ersten beiden “MusInclusion”-Sendungen bei Punkrockers Radio (hier könnt ihr sie in der Vinylkeks Mixcloud nachhören oder auf dem YouTube Channel von Punkrockers Radio anschauen), wieder ein Interview zum Lesen. Der Comiczeichner Markus Magenbitter, der uns auch schonmal eine Vinylsünde hier abgeliefert hat, erzählt uns im heutigen Interview unter anderem etwas über seine Behinderung aufgrund der chronischen Erkrankung ME/CFS (=Chronisches Fatigue Syndrom), seine Einstellung und Erfahrungen zum Thema “Ableismus” (=Diskriminierung von Menschen mit Behinderung) in und außerhalb der Szene und sein Verständnis von Inklusion und Barrierefreiheit.
Hallo Markus, ich freue mich, dass Du uns für unsere “MusInclusion” Reihe ein paar Fragen beantwortest. Zunächst einmal würde ich gern etwas mehr über Dich erfahren: Wer bist Du, woher kommst Du und wo sind Deine persönlichen Berührungspunkte mit dem Thema Behinderung und Teilhabe?
Ich bin 39, wohne in Berlin und zeichne Punk-Comics oder gestalte Artworks für Bands. Früher war ich auch als Bassist in Bands aktiv, musste aber mit 31 Jahren aufhören. Damals erkrankte ich am Chronischen Erschöpfungs-Syndrom (ME/CFS – hier ein Video dazu). Das ist eine sehr krasse Erkrankung, von der Schwere her vergleichbar mit Multipler Sklerose, aber medizinisch ganz anders – ausgelöst durch Virusinfekte wie Pfeiffersches Drüsenfieber oder Grippe.
Von der Krankheit hört man derzeit ja auch öfter mal, da sie eine häufige Langzeitfolge von Corona ist: Viele Long-Covid-Betroffene haben ein Chronisches Erschöpfungs-Syndrom entwickelt.
Bei ME/CFS hat der Körper nicht mehr genug Energie, man ist nach einfachsten körperlichen Aktivitäten krankhaft erschöpft (=Fatigue). Dazu gibt es Probleme mit der Aufnahme und Verarbeitung von Sinnesreizen. Chemische Gerüche, laute Geräusche oder Lichtreize führen zu kognitiver Überlastung. Schwerstbetroffene Patienten sind bettlägerig und/oder müssen in Dunkelheit und mit Gehörschutz leben.
Die Versorgung im deutschen Gesundheitssystem und anderswo ist dramatisch unzureichend: es gibt viel zu wenig Anlaufstellen, noch kein Medikament dagegen und zu wenig Forschung danach, seit Jahrzehnten ein skandalöser Zustand.
Ich bin “zum Glück” nur mittelschwer betroffen, aber auch stark eingeschränkt. Daher bin ich Erwerbsminderungsrentner und arbeite nur ein wenig als Grafiker. Den Schwerbehindertenausweis mit GdB70 habe ich auch samt Merkzeichen für Gehbehinderung. Das ist auch das Schwierigste: Ich kann nur 700-800 m weit gehen, nicht lange stehen und keine schweren Sachen heben. Das macht Konzertbesuche etwas schwieriger und selbst in einer Band zu spielen ziemlich unmöglich. Ich falle also in den Bereich ’behindert durch chronische Erkrankung’ im Gegensatz zu den von Geburt an Behinderten, und hatte keine Berührung zu “typischen” Behinderten-Bereichen wie Assistenz, Werkstätten oder Wohnheimen.
Mir sieht man die Einschränkungen auch nicht an. Das ist einerseits ein Glücksfall, andererseits auch ein Fluch, weil man häufig erklären muss, und viele Menschen – auch Ärzte oder Physiotherapeuten – einem die Krankheitsschwere nicht abnehmen.
Vielen Dank für den persönlichen Einblick und die wichtige Aufklärung über diese Krankheit!
Ich bin eigentlich zufällig über einen Kommentar auf unserer Homepage auf Dich aufmerksam geworden. In der Frage ging es um Barrierefreiheit und “Ableismus” in der Szene. Du hast schon einiges dort angeschnitten, aber erzähl uns doch bitte hier nochmal kurz etwas über Deine Erfahrungen in der Szene bzgl. dieser beiden Themen!
’Ableismus’ ist ja ein recht neuer Begriff, der erstmal nach Behindertenfeindlicheit klingt, also bewusster Diskriminierung. Letzteres würde ich deutlich unterscheiden von fehlender Barrierefreiheit. Ich musste selbst erstmal bei Wikipedia nachschauen, was “Ableismus” überhaupt heißen soll, und es fasst ja anscheinend beide Begriffe zusammen. Das finde ich aber schwierig, denn fehlende Barrierefreiheit gibt es in Szene-Locations zwar häufig, aber wenn ich nach Hilfe oder einer Sitzgelegenheit gefragt hatte, hatte ich bisher immer nur solidarische und verständnisvolle Reaktionen in der Punk-Szene, sprich die Bereitschaft Menschen mit Behinderung zu helfen ist absolut da.
Ich finde also eher den Begriff ’Ableismus’ irreführend und anstrengend, da erst nachlesen zu müssen, welche akademischen Konzepte dahinter stehen. 😉
Mir war da einfach wichtig zu äußern, dass ich echt nicht den Eindruck habe, die Szene würde behinderte Menschen aktiv ausschließen oder wäre desinteressiert, sie mit einzubeziehen. Einen solchen Vorwurf halte ich nicht für gerechtfertigt.
Danke, dass Du dieses Thema aufgreifst. Ich stoße selbst oft bei Themen, die mich interessieren an sprachliche Grenzen und muss mich vorab aufwändig informieren und stelle dabei fest, dass ein Teil der Menschen durch diese sprachlichen Barrieren einfach schon von vornherein ausgeschlossen werden (oder zumindest die Beschaffung von Informationen für sie wesentlich erschwert wird.) Selbst bin ich dann schon so in diesem Strudel aus Fachbegriffen und Bezeichnungen gefangen, dass ich es selbst häufig vergesse, sie zumindest unmittelbar im Text zu erklären. Ich will da unbedingt daran arbeiten, denn ich kann mir vorstellen, dass viele Menschen auch einfach sonst die Lust verlieren, sich dann weiterhin mit diesen wichtigen Themen zu beschäftigen.
Du hast außerdem in deinem Kommentar die Tatsache angesprochen, dass “barrierefrei” ja nicht, wie es leider oft passiert, ausschließlich mit “rollstuhlgerecht” gleichgesetzt werden darf, da die Vielfältigkeit der Behinderungen mit bedacht werden muss, wenn es um Barrierefreiheit geht. Denkst Du, es ist überhaupt möglich, eine “absolute” barrierefreie Musikwelt zu schaffen?
Was wünschst Du Dir selbst als Konzertbesucher (von Veranstalter:innen, aber auch Publikum), was ist wichtig, damit Du selbständig einen entspannten Abend in einem Club verbringen kannst?
Ähnlich wie der René von GRIND (Anm.: zum MusInclusion Interview geht’s hier) brauche ich halt zwingend eine Sitzgelegenheit. In einigen Veranstaltungsorten gibt es welche, in manchen nur solche, von wo aus man die Bühne schlecht sieht. Bei auf Stehplätze ausgelegten Hallen wird es schwierig, dann müsste ich einen Campingstuhl mitnehmen, falls man mich damit reinlässt, oder für den Abend einen Rollstuhl mieten. Ich kann zwar gehen und stehen, aber nicht besonders lange, deshalb habe ich seit kurzem einen Elektro-Rollstuhl für manche Gelegenheiten.
Ich mache da den Clubbetreibern aber keinen großen Vorwurf, es ist einfach selten dass junge Leute nicht stehen können, ich kann das Problem ja mit einem Klappstuhl einfach lösen. Ärgerlicher finde ich das an Stellen, wo man an Gehbehinderte oder alte/gebrechliche Menschen denken müsste: Kliniken und Arztpraxen (wo man minutenlang am Empfang warten muss, ohne Sitzgelegenheit) oder im ÖPNV: es gibt in Berlin viele Bushaltestellen ohne Sitzbank bzw. in U-Bahnhöfen muss man weit laufen bis zur erstbesten Bank. Es wird zwar viel Umgebaut, aber da ist auch noch Luft nach oben.
Ja, in das Thema Barrierefreiheit in Öffentlichen Verkehrsmitteln und an Bahnhöfen / Haltestellen (sieht hier bei uns im Süden übrigens auch nicht besser aus…) sollte definitiv noch mehr Beachtung (und Geld!!) investiert werden…
Ich selbst habe schon auch den Eindruck, dass die Szene sich insgesamt solidarisch und offen zeigt, wenn es darum geht, Hilfe anzubieten und pragmatische Lösungen zu finden. Allerdings ist ja gerade dieses permanente “Um-Hilfe-bitten-müssen” und in dem Moment dadurch auch ungewollt im Mittelpunkt zu stehen etwas, was man vielleicht auch nicht immer möchte und vielleicht oft dazu führt, dass die/der Betroffene dann vielleicht lieber daheim bleibt. Hast Du eine Idee, wie dieses Problem umgangen werden könnte?
Als ich krank wurde, war es für mich als zuvor Gesundem auch schwierig, nach Hilfe zu fragen (generell war das Annehmen der Erkrankung und damit einen ausgeglichenen Umgang zu finden ein intensiver Prozess, der schon ein paar Jahre gedauert hat). Aber ich schätze, man muss einfach lernen, selbstbewusst nach nötiger Unterstützung zu fragen – daran führt kein Weg vorbei, und irgendwann ist es dann Routine.
Dennoch kann man es behinderten Menschen natürlich leichter machen, entsprechende Barriere-Hinweise auf einer Club-Webseite, eine Kontakt-Handynummer – einfach eine Bereitschaft signalisieren, das SO36 in Berlin macht das zum Beispiel sehr gut. Und manchmal gibt es ja diese Awareness-Teams, die könnten sowas natürlich anbieten.
Hast Du das Gefühl, dass sich in den letzten 10 Jahren beim Thema Teilhabe im kulturellen Bereich etwas getan hat? Jetzt mal abgesehen vom Thema Barrierefreiheit, die, wie Du auch schon erwähnt hattest, in kleinen Jugendzentren o.ä. baulich oft schwer umsetzbar ist. Sind die Menschen bereit für gelebte Inklusion, ist eine Art Sensibilität vorhanden, oder sind wir erst am Anfang? Und wie sieht es in Deinen Augen im Vergleich mit dem allgemeinen gesellschaftlichen Leben aus?
Zur Entwicklung kann ich nicht viel sagen, ich bin ja selbst erst ein paar Jahre betroffen, Andere können das besser einschätzen. Ich habe schon das Gefühl, es wird zunehmend auf bauliche Barrierefreiheit geachtet, bei modernen Museen beispielsweise ist das meistens top, mit Leitsystemen und Audioguides für Blinde usw.
Viele Firmen stellen sich ja derzeit besonders inklusiv, ethisch und divers da, aber ich befürchte das ist oft nur eine billige PR-Masche. Wichtiger als dieses Corporate Social Responsibilty-BlaBla ist, wie dann die Unternehmen im Arbeitsalltag wirklich mit ihren Beschäftigten umgehen.
Bescheuert finde ich diese Diskussionen in den letzten Jahren, dass sich Menschen, die weiß, und/oder männlich, cis/hetero, nicht- behindert usw. sind, für ihre Privilegien schämen bzw. zurücktreten und die Klappe halten sollen. Ich würde auf diese Weise niemals eine gesunde Person anklagen – man kann froh sein, keine Beeinträchtigung zu haben oder Diskriminierung erleben zu müssen, aber sollte sich deshalb nicht schlecht fühlen. Ich halte es auch für falsch, dass sich ausschließlich Betroffene zu einer Thematik äußern dürfen sollten – alle Perspektiven sind wichtig, auch die von Außenstehenden.
Es ist wichtig, Benachteiligte zu empowern, aber nicht mit moralischem Druck und Vorwürfen an die jeweilige Mehrheitsgruppe. Man muss stattdessen informieren und überzeugen.
Ich denke, das beste Mittel für eine offene, diverse Gesellschaft ist ein unverkrampftes Miteinander. Durch Begegnungen (am besten persönlich und nicht in sozialen Medien) kann man Berührungsängste abbauen und einen Menschen als gleichwertiges Individuum wahrnehmen, dann ist der Mensch an sich im Vordergrund, und wo er oder sie herkommt, und ob man behindert ist oder was auch immer, wird nebenrangig. Inklusion ist da schon der richtige Ansatz.
Ein unverkrampftes Miteinander – und nicht die Fehlersuche über die Bereitschaft meines Gegenübers, etwas (mit-) zu verändern zu stellen, das würde ich mir auch wünschen.
Da ich selbst das Thema auch noch aus der Perspektive einer Mutter eines behinderten Kindes betrachte, habe ich die Erfahrung gemacht, dass man beim Thema Inklusion von Anfang an eher auf sich alleine gestellt ist, d.h auch z.B., wenn es um das Recht auf Teilhabe im Kindergarten, der Schule, bei Hobbies usw. geht. Ich habe das Gefühl, dass behinderte Menschen oft unsichtbar gemacht werden, weil sie einfach nicht mitgedacht werden. Was sagt das Deiner Meinung nach über unsere Gesellschaft aus und was denkst Du, woran das liegen könnte?
“Unsichtbar gemacht” klingt für mich nach bewusstem Ausschließen, das würde ich nicht sagen, “oft nicht mitgedacht” trifft es gut. Irgendwo ist es ja verständlich, das Menschen gewisse Themen nicht so auf dem Schirm haben, die sie nicht selbst betreffen. Deshalb ist einfach entsprechende Lobbyarbeit äußerst wichtig, um die Belange von behinderten Menschen in die Gesellschaft zu tragen. Ich bin z.B. Mitglied im Sozialverband VdK.
Richtig, manchmal muss man echt ganz schön kämpfen, um berechtigte Anliegen bei Krankenkassen oder Ämtern erfüllt zu bekommen. Bei ME/CFS ist das besonders schwierig, die Krankheit ist schwer zu diagnostizieren, dann behaupten Ärzte oder Gutachter gern mal, die Beschwerden sind psychosomatisch, und man wäre in Wahrheit gesund und könnte in Vollzeit arbeiten, dann müssen wir Betroffenen um die Rentenleistungen oder einen Schwerbehindertenausweis kämpfen, während wir gesundheitlich und mental eigentlich gar keine Kraft dafür haben.
Bei solchen Sachen hab ich schon einiges an Diskriminierung erlebt, hier finden so hauptsächlich meine Kämpfe statt, da müsste sich gesellschaftlich dringend was ändern.
Ein gutes aktuelles Beispiel, wo nicht an Menschen mit Einschränkungen gedacht wurde, ist die geschlechtergerechte Schreibweise mit Interpunktionen. (Damit kritisiere ich nicht dich persönlich, sondern Medien und Verwaltungen – privat sollen ruhig alle so schreiben, wie sie es für richtig halten). Damit haben nämlich vor allem Menschen mit Lese-Rechtsschreib-Schwäche (Legasthenie), aber auch ein Teil der Autisten erhebliche Schwierigkeiten – das wird irgendwie gar nicht berücksichtigt.
Ich habe ja auch Probleme bei der Reizverarbeitung, wenn ich TV schaue oder lese, und bekomme schnell Kopfschmerzen, da ist dieser Sprachaktivismus ein zusätzlicher kleiner Störfaktor für mich. Ich habe ja nicht studiert oder komme aus der Polit-Punk-Szene, wo gendern üblich ist, dadurch ist das einfach sehr ungewohnt. So schlichte Formen wie “Mitarbeitende” oder geschlechtsneutrale Formen wie “Lerkraft” statt “Lehrer” find ich dagegen voll okay.
Nichts gegen den Gedanken an sich, ich bemängele aber, man hätte zu frühen Zeiten dieses Aktivismus darüber nachdenken müssen, welche Schreibweisen man da entwickelt, ob das leicht verständlich ist – besonders für andere marginalisierte Gruppen wie eben Legastheniker, Bildungsschwache oder Migranten. Ich finde “Leichte Sprache” einen sehr sinnvollen Ansatz, die komplizierte deutsche Sprache verständlicher und zugänglicher zu machen – das aktuelle Gendern läuft dem leider entgegen.
Ja, da gebe ich Dir Recht, wir scheinen in unserem Aktivismus oft nur in und für unsere eigene Blase mitzudenken und stoßen die anderen Blasen damit automatisch ab, verhindern so mannchmal vielleicht sogar die angestrebte Diversität und Inklusion. Ich selbst versuche zumindest meistens geschlechtsneutrale Formulierungen zu finden, verfalle aber da auch wieder in alte Muster – die in diesem Fall das erlernte Gendern mit Interpunktion. Wie wichtig findest Du die Rolle von Vorbildern auf der Bühne für junge Musikschaffende? Meinst Du, es wäre wichtig, mehr Musikschaffende mit (sichtbaren) Behinderungen auf der Bühne zu sehen? Und warum sehen wir überhaupt (bisher) eher wenige?
Diese Vorbild-Frage kann ich schlecht einschätzen, zu Jugendzeiten war ich noch nicht betroffen, und in diesem Alter sind Vorbilder ja am wichtigsten.
Und sonst: Mit Handycap ist der Alltag mitunter verdammt beschwerlich und umständlich, auch wenn alles mögliche barrierefrei sein würde. Instrumente spielen geht bei machen Behinderungen einfach schlecht, das ist sicher einer der Gründe, warum wenig Leute mit Behinderung in Bands sind.
Ich könnte höchstens noch als Singer-Songwriter aktiv sein, aber das ist nicht so mein Fall, lieber zeichne ich. Dass man jetzt am PC prima Musik machen, ist für viele Behinderte sicher eine super Möglichkeit aktiv zu werden.
Was denkst Du, warum behinderte Menschen in der Öffentlichkeit oft immer noch als leidende Menschen, von denen man nicht viel erwarten kann, dargestellt werden? Auch im kulturellen Bereich werden oft immer noch z.B. nicht-behinderte Schauspieler im Theater oder Film für die Rolle einer behinderten Person besetzt und auch im Bildungswesen / Berufsleben werden oft in erster Linie Sondereinrichtungen oder Werkstätten als einzige Möglichkeit angeboten.
Hast Du selbst diesbezüglich (in deiner Rolle als Künstler) schon Erfahrungen gemacht?
Das ist halt so ein Klischee von den bedauernswerten Behinderten, die auf gnädige Hilfe angewiesen sind. Es kann generell kritisch sein, wenn Helfer ihre Hilfstätigkeit oder Spenden-Aktionen dazu benutzen, um sich als gute Menschen zu präsentieren bzw. selber toll zu fühlen, oder wenn man im Hilfsakt die Hilfsempfänger nicht auf Augenhöhe behandelt sondern als unter einem stehend, dann schwingt da eine Erniedrigung mit – z.B. auch wie in unserer Kindheit von “den armen afrikanischen Kindern in der Dritten Welt” gesprochen wurde.
Andererseits gibt es ja auch einfach harte Schicksale, ich kenne selbst auch ME/CFS-Betroffene, deren dramatische Beschwerden ein erfülltes Leben verhindern. Das ist dann einfach furchtbar, als relativ junger Mensch bettlägerig zu sein und nicht mehr mal die kognitive Energie zu haben, um zu lesen, fernzusehen oder Hörbuch zu hören.
Behinderung ist halt so facettenreich, man muss die Leute einfach individuell betrachten, verallgemeinern geht nicht.
Dass ich sehr unter meiner Krankheit leide, muss ich schon sagen. Wenn machbar, wär ich lieber wieder gesund. Aber ich komme nach ein paar harten Jahren recht gut mit meiner Situation zurecht, kann trotz der vielen Einschränkungen auch mein Leben genießen und lasse mir nicht den Spaß versauen.
Zur Rollen-Thematik: Ich würde nicht befürworten, dass nicht-behinderte Schauspieler generell keine Behinderten spielen dürfen sollten. Wenn ein bekannter Filmstar in einem Fernseh- oder Kinofilm einen oder eine ME/CFS-Betroffene verkörpern würde (wir selbst würden die Dreharbeiten nicht durchstehen), fände ich das super. Bisher gabs noch keinen Spielfilm, in dem jemand mit ME/CFS vorkommt, das wär eine großartige Publicity für uns Betroffene.
Dass Behinderte mehr Rollen in Film- & Theater bekommen, ist aber wünschenswert. Gerade im Theater kann ja eigentlich jeder jede Rolle spielen, da können Behinderte super Nicht-Behinderte verkörpern.
So herum habe ich das noch gar nicht betrachtet…Gibt es etwas, was Du zu diesem Thema noch loswerden möchtest?
Humor finde ich als Comiczeichner natürlich sehr wichtig, und meiner Meinung sollte absolut auch über Kranke und Behinderte Witze gemacht werden dürfen, wenn dabei nicht die Absicht ist, sie zu erniedrigen – von Betroffen ebenso wie von Nicht-Betroffenen. Natürlich mit der entsprechenden Sensibilität, aber wenn man behinderte Menschen oder Minderheiten allgemein da ausnehmen würde, macht man sie ja auch unsichtbar.
Gehandicappte Künstler, die mir richtig gefallen, waren der querschnittsgelähmte Cartoonist John Callahan (gest. 2010, sehr provokant) und der vor drei Jahren ebenfalls verstorbene Musiker Daniel Johnston (hochgradig psychisch krank). Lustig finde ich auch Youtuber Peter mit seinem Kanal SpastFaktor.
Ansonsten vielen Dank für dein Interesse!
Wir haben zu danken, für das sehr interessante und offene Interview!
Die Comix und Grafiken von Markus könnt ihr euch auf seiner Homepage www.magenbitter.net mal anschauen, es lohnt sich!