In dieser Folge von MusInclusion steht mir René aus Flensburg Rede und Antwort. Einigen dürfte er vielleicht als Gitarrist und Sänger der Metalband GRIND bekannt sein (hier geht’s zu Renés Vinylsünde). Er erzählt uns im Folgenden, wie er zur Musik kam, wie seine Behinderung seine Musik beeinflusst und was er zum Thema Inklusion und Barrierefreiheit in der Szene zu sagen hat.
Hallo René! Schön, dass Du etwas Zeit für uns gefunden hast. Erzähl uns doch zunächst einmal ein bisschen etwas über Dich!
Ich wohne mit meiner Familie seit langer Zeit in der Nähe des schönsten Dorfes der Welt: Düsseldorf. Musik mache ich seit meinem siebten Lebensjahr. 2002 wurde bei mir Multiple Sklerose (MS) diagnostiziert und ich benutze seit fünf Jahren einen Rollstuhl. Ich war aber immer bis heute musikalisch aktiv und habe vor dreieinhalb Jahren die Idee gehabt, nochmal eine Metalband (GRIND) zu gründen – nach diversen anderen Spielarten gewissermaßen zurück zu meinem musikalischen Ursprung. Und ich bin sehr glücklich darüber, das mit alten Freunden aus Schulzeiten teilen zu können. Wir sind in ganz Deutschland verteilt, chatten miteinander, sammeln Ideen und treffen uns abwechselnd in Flensburg, Düsseldorf und Ulm, um diese dann weiter auszugestalten. Das sind dann kleine Events für uns mit gemeinsam Musik hören, Kochen und so. Dass daraus ein kleiner Deal mit dem Label Dedication Records zustande gekommen ist, hätten wir uns als wir anfingen wahrlich nicht erträumen lassen…
Wann hast Du angefangen Musik zu machen und gab es Hindernisse, die Du dabei überwinden musstest?
Alles fing mit Schulchor und Blockflöte an. Mit zwölf Jahren habe ich dann am Lagerfeuer bei den Pfadfindern die ersten Akkorde gelernt. Dann kam ein Bluesprojekt im Rahmen einer schulischen Projektwoche. Helmut Belle, ein Musiklehrer, hatte da bei mir Talent gewittert und mich weiter ermutigt und gefördert. Seitdem gaben sich diverse Bands bei mir die Klinke in die Hand (unter anderem Versus Nature, Nachtblind). 1999 bin ich dann fürs Studium nach Düsseldorf gezogen und habe dort die Noiserockband neruda gegründet. 2002 kam dann die Diagnose MS. Zu der Zeit habe ich mir das Plektron mit Gaffatape an die Finger geklebt, damit ich es nicht verliere. Zunehmend konnte ich meine Finger nicht mehr bewegen, war auf einem Auge blind, die Beine wurden schwach und ich musste fast wieder bei Null anfangen, was meine Fingerfertigkeit betrifft. Klassik spiele ich seitdem nicht mehr, ich sehe schlecht, meine Finger sind nicht mehr so gelenkig und taub. Aufgrund dessen entstand mein Spiel mit Delay, da ich nicht mehr so sicher greifen konnte und es auch teils schlichtweg nicht mehr kann. Meine Beine wurden schwerer und ich musste mich bei Konzerten öfters setzen, was mir von einigen im Publikum teils als Arroganz ausgelegt wurde. “Der Rockstar setzt sich bei ruhigen Stücken hin” und so. Häufig waren die Bühnen immer nur über Treppen begehbar, Kabel als Stolperfallen inklusive. Das ist bei unsicherem Stand eine große Herausforderung. Als Sänger und Gitarrist fiel mir also das Auf-der-Bühne-stehen immer schwerer und ich habe 2008 dann sogar für einige Jahre aufgehört, aktiv in Bands zu spielen.
Zum Thema Hindernisse: Die Barriere, die sich da ergab, war in erster Linie in meinem Kopf. Ich war immer der Sänger und Gitarrist, stehend im Ausfallschritt am Mikro. Schreien im Sitzen ist vom Empfinden her völlig anders. Ich hatte aber tatsächlich damals immer das Bild vor Augen, härtere Musik muss im Stehen gespielt werden. Das ergibt auch einfach eine ganz andere Energie. Als ich das nicht mehr konnte, habe ich schließlich aufgehört. Aus heutiger Sicht irgendwie dumm, aber so war es. Auch war ich immer schon eher ein stiller Mensch und kam damit nicht zurecht, was das Publikum oder andere Bands so von mir dachten. Ich wollte mich nicht erklären, mich nicht zu wichtig nehmen. Ich musste da viel lernen und mich neu definieren.
Inwiefern betrifft Dich das Thema Inklusion persönlich, inwiefern im Bandkontext? Versteht ihr Euch als inklusive Band?
Inklusion beschreibt für mein Verständnis das Bestreben, die Verschiedenheit im Gemeinsamen anzuerkennen, das heißt der Individualität und den Bedürfnissen aller Menschen Rechnung zu tragen. Wer so lebt, versteht Inklusion – wie meine Frau Sonja sagen würde – nicht exklusiv, vielmehr gehört sie zum täglichen Miteinander. In der eigenen kleinen Welt kann das auch so umgesetzt werden. Leider sieht es da draußen anders aus. Auf das Thema Gehbehinderung und Konzerte kommen wir ja noch zu sprechen. Erst kürzlich erzählte mir meine Tochter, dass sie von zwei Jungs in der Schule gemobbt wurde. „Du bist dumm, weil dein Vater ist behindert…“. Das macht mich echt wütend und das spielt sich in einer Schule ab, in der ‚Inklusion‘ sichtbar stärker gelebt wird als an anderen Schulen. Woher kommen solche Sprüche und warum muss meine Tochter so etwas ausgesetzt sein? Es gibt da draußen leider so viel unreflektierte Meinungen zu Menschen, die „anders“ sind. Die Verantwortung sehe ich aber nicht bei den Kindern, sondern bei jenen, die sie in ihrer Entwicklung begleiten. Ich will hier aber auch nicht komplett schwarzmalen. Es gibt auch viel Gutes.
Zu unserer Band: Wir verstehen uns nicht exklusiv als inklusive Band. Ich würde uns aber wohl als solche sehen. Wir sind verschieden, gehen respektvoll miteinander um und sind daher achtsam im Umgang miteinander.
Beeinflusst Deine Behinderung Eure Musik und wenn ja, inwiefern?
Im Miteinander würde ich sagen nicht. Für mich persönlich ist es eine permanente Überwindung von Barrieren. Ich muss mehr üben als früher, kann nicht mehr alles umsetzen, was ich an musikalischen Ideen im Kopf habe und muss stetig an mir arbeiten. Ein Beispiel ist der Gesang, sofern mein Geschrei als Gesang durchgeht. Ich hab das lange nicht gemacht und nehme Medikamente, die entspannend auf meine Muskulatur einwirken. Schreien ist sehr kraftintensiv und ich habe mit meiner Physiotherapeutin darüber gesprochen und monatelang vor den Aufnahmen Zwerchfellübungen gemacht. Früher konnte ich das einfach und da hat mir Jan Erner – unser Hauptsänger – durch seine lockere, unaufgeregte wie spielerische Art sehr geholfen, Hemmungen und Ängste abzubauen. Zusammengefasst: Da wir nicht wöchentlich proben, bedeutet das für mich sehr viel üben vor der nächsten Probesession. Aber die Arbeit lohnt sich. Wenn wir Musik machen bin ich in den besten Momenten frei.
Welche Erfahrungen hast Du in den letzten Jahren mit dem Thema Inklusion in der Szene gemacht?
Als ich noch keinen Rollstuhl hatte und nicht lange stehen konnte, war es teilweise schwer, von Mitarbeiter:innen in Clubs einen Hocker oder ähnliches zu bekommen. In die Clubs zieht mich jetzt aber auch nichts mehr. In den Niederlanden war das übrigens nie so. Da wurde mir immer geglaubt und pragmatisch nach Lösungen gesucht. Mittlerweile macht der Rollstuhl meine Behinderung sichtbar und das führt zu mehr Sicherheit der anderen im Umgang mit mir. Das widerstrebt mir zwar, so exponiert zu sein, macht aber vieles einfacher. In den Clubs, die ich mir ausgesucht habe, treffe ich in der Regel auf hilfsbereite Mitarbeiter:innen, die irgendwie dafür sorgen, dass ein Konzert auch für mich gut wird. Bei Clubs, die ich noch nicht kenne, recherchiere ich vorher, ob es Informationen zu den Begebenheiten vor Ort gibt und/oder schreibe denen. Gerade im Metal ist das Publikum durchweg inklusiv, hilfsbereit und aufmerksam. Da habe ich nie schlechte Erfahrungen gemacht.
Das Thema wird aber bisher kaum von anderen, präsenteren Bands aufgenommen. Als sehr schönes Beispiel möchte ich hier in der Hinsicht Petrol Girls und War on Women nennen oder auch Algiers. Die sind grundsätzlich und in ihrem ganzen Habitus inklusive Bands.
Bis heute sieht man eher wenig inklusive Bands auf Konzertbühnen. Hast Du das Gefühl, es gibt seitens der Veranstalter:innen Hemmungen, inklusive Bands zu buchen? Wenn ja, woran könnte das liegen?
Eine Gehbehinderung ist beispielsweise sichtbar, eine Depression wohl eher weniger. Und da bin ich mir sicher, dass es viele Musiker:innen gibt, die damit zu kämpfen haben. Gehen wir von meiner Vorstellung aus, was Inklusion bedeutet, so haben wir ganz viele inklusive Bands. Da sind im Grunde alle Bands inklusiv, da jede Konstellation einzigartig ist.
Kennst Du andere Bands, in denen Menschen mit Behinderung spielen, speziell im Bereich Punk / Hardcore / Metal?
Nicht persönlich. Im Metal gibt es den Sänger von Possessed oder einen Gitarristen von Psychotic Waltz, die beide im Rollstuhl sitzen. Der Schlagzeuger von Def Leppard spielt mit nur einem Arm und der Schlagzeuger von Billy Talent hat ebenfalls MS. Vielleicht fangen viele erst gar nicht mit dem Musik machen und Konzerte spielen an, oder sie hören auf, weil sie ähnlich gehemmt sind, wie ich vor über zehn Jahren. Vielleicht hat es wirklich was mit Stereotypen in den Köpfen zu tun.
Wie definierst Du Barrierefreiheit?
Jeder Mensch hat aufgrund von räumlicher Gestaltung und durch ein Bewusstsein aller Mitmenschen hinsichtlich möglicher Barrieren – und insbesondere der Bereitschaft, diese gemeinsam zu überwinden – die Freiheit, sich frei zu bewegen, sich verständlich zu machen und zu entfalten. Das ist vielleicht etwas abstrakt. Mit dem Rollstuhl sind es in räumlicher Gestalt beispielsweise Rampen, Fahrstühle etc., die mir helfen, mich frei zu bewegen. Wenn all dies nicht gegeben ist, so hoffe ich auf sensibilisierte Mitmenschen, die mit mir gemeinsam nach anderen Lösungen suchen. Ein:e Analphabet:in hat mit ganz anderen Barrieren zu tun. Soziale Herkunft und mangelnde Unterstützungsstrukturen determinieren Entfaltungsmöglichkeiten, um nur einige weitere Beispiele zu nennen. Da sehe ich uns alle in der Verantwortung, nach Lösungen zu suchen und fortwährend zu reflektieren.

Wie würdest Du die Barrierefreiheit in den Clubs im Allgemeinen und im Speziellen auf der Bühne (in denen ihr schon gespielt habt) einschätzen?
Nur aus meiner Perspektive: In Deutschland sind Clubs das reine Grauen! Wege sind furchtbar, die Veranstaltungsräume manchmal nur durch Treppen erreichbar und dadurch für mich nicht zu besuchen. Auch Toiletten sind teils nur über Treppen zu erreichen. Manchmal darf ich im Fotograben sitzen und komme da aber auch nicht ohne weiteres raus (also bloß nichts trinken). In größeren Hallen sitze ich zusammengepfercht auf Podesten, die weit weg sind von der Bühne. Wenn du dann auch noch schlecht sehen kannst, überlegst du dir zweimal, ob das noch Spaß macht. Aber es gibt auch gute Beispiele: Das zakk in Düsseldorf ist toll!
Grundsätzlich wird aber einfach nach Lösungen gesucht und es ist irgendwie ok. Die Niederlande (wie eingangs schon mal erwähnt) sind hier weiter, obwohl es auch hier in größeren Clubs diese Podeste gibt, aus denen du so ohne Weiteres nicht mal eben wieder rauskommst und vor allem von Freund:innen getrennt dir das Konzert anschaust. Da ist aber auch vom gesellschaftlichen Miteinander alles irgendwie selbstverständlicher. Eines meiner schönsten Konzerterlebnisse war auf dem le Guess Who? Festival in Utrecht. Der Veranstaltungsort des Festivals ist aufgebaut wie ein modernes Multiplexkino. Da bekam ich eine Karte und konnte damit die Fahrstühle für Bedienstete nutzen und selbstbestimmt überall hin.
Zu den Bühnen: Mit GRIND haben wir noch nie live gespielt, da das logistisch ein Riesenaufwand bedeutet und ich mir auch nicht sicher bin, ob ich die Doppelrolle mit Gitarre und Gesang wieder hinbekomme – aber sag niemals nie, ich würde gern. Auf großen Bühnen stand ich nie. Wenn ich so zurückdenke, gab es aber bei kleineren Clubs immer Stufen und wackelige Bühnenbauten.
Gibt es etwas, was Du gerne in diesem Zusammenhang mal loswerden würdest?
Neben baulichen Defiziten liegt die größte Chance, Barrieren abzubauen und inklusiv miteinander zu leben, in unseren Köpfen. Nehmt eure Mitmenschen wahr, seid empathisch und lebt nach dem kategorischen Imperativ Immanuel Kants. Dann wäre die Welt in Ordnung.
Vielen lieben Dank für Deine Zeit und Deine Offenheit!
Hallo Christian, danke für Deinen Kommentar und Dein Interesse an dem Interview. Ich leite Deinen Kommentar gerne an Rene weiter ! Viele liebe Grüße und weiterhin viel Spaß mit Deiner Grind CD 😉 Nathalie
Sehr interessanter Bericht….
Im normalen Hören /Videos gucken, macht man sich keine Gedanken, warum der Sänger sitzt.
Dachte, das wär Teil der Performance ….
Ich finde, die Musik gibt euch Recht, macht bloß weiter -\,,/
Ich möchte auf meine Grind-Cd im Auto nicht mehr verzichten 😉
Würde mich auch sehr freuen, wenn Ihr den Mut / Möglichkeiten findet, die Mucke auf die Bühne zu bringen!
Lieber Christian,
ich danke dir für das Feedback und freue mich, dass die GRIND CD einen guten Platz bei dir im Auto gefunden hat:-). Ich hätte nie gedacht, dass es so gut tut, diemeine Geschichte nochmals zu reflektieren und zumindest mit einer kleinen Öffentlichkeit zu teilen.
…und ja, Konzerte wären schon was…