Oh Mann! Jetzt wirklich? Ernsthaft? Warum? Das waren so meine ersten Gedanken als ich die ersten Klänge von „Bob Hiob“ den Opener des neuen Albums von Geier Sturzflug „Ska Reggae – In der großen Tradition der kleinen Haushaltswaren“ hörte. Es klang für mich danach, als ob ein Produzent (eher keine Produzentin) sich dachte, ach komm, ich reaktiviere mal wen aus der NDW-Zeit, verpasse ihm/ihr ein paar zeitlose Klänge, ein paar aktuelle Texte und das Dingen wird schon laufen. Damit habe ich jedoch der Band großes Unrecht getan. Der Vorteil von Vinyl: Man skippt nicht einfach weiter oder streamt gleich was anderes, sondern man hört sich Song für Song durch.
Wer in den 1980er mit Mainstream Musik aus dem elterlichen Autoradio sowie der ZDF Hitparade (mit Dieter Thomas Heck) sozialisiert wurde, kam an der Bochumer Combo Geier Sturzflug nicht vorbei. Sie profitierten vom Hype der Neuen Deutschen Welle, doch tatsächlich kamen und kommen sie vom Jazz und dem Blues. Sie verstanden es wie kaum wer anders, politische und sozialkritische Texte leicht und unterhaltungsgerecht zu verpacken. „Besuchen sie Europa (solange es noch steht)“ ist aktueller denn je und ja, es erfüllt die Band zumindest teilweise mit Stolz, wenn Florian Silbereisen auch 2022 noch singt: „Eins kann mir keiner nehmen und das ist die pure Lust am Leben.“ Auch dieser Song trifft damals wie heute noch zu, all den Pandemien und Kriegen zum Trotz. Dazu empfehle ich euch den Podcast „Der Soundtrack meines Lebens“ (überall wo es Podcasts gibt) mit dem Ex-Geier Klaus Fiehe. Die Kunst des Reggae und auch des Ska war es schon immer, leichte tanzbare Musik zu benutzen, um höchst brisante Themen aus Gesellschaft und Politik an die Hörerschaft zu bringen. Ich erinnere mich nur allzu gut daran, wie ich das allererste mal in der Disco, der Zeche Bochum, war und mich an dem Abend zu „Nelson Mandela“ von The Specials bewegte, ohne genau zu wissen, worum es in dem Song ging und mal ehrlich, wer dachte bei Eddie Grants „Gimme Hope Johanna“ unmittelbar an die Apartheitspolitik Südafrikas? Sänger und Kopf Friedel Geratsch von Geier Sturzflug gelingt dies meist auch grandios auf der neuen LP und das auch noch mit Deutschen Texten. „Fünf vor zwölf“ ist, und Gentleman mag es mir verzeihen, das für mich beste Deutschsprachige Reggae Stück, was ich bis dato hören durfte und dabei den Klimawandel thematisiert. „Der letzte Zug“ behandelt die baldige Legalisierung von Cannabis aus der Sicht der Dealer:innen, die sich in naher Zukunft einen neuen Job suchen dürfen. Alles in allem zaubert die LP schon ein entspanntes Schmunzeln auf meine Lippen.
Die LP bekommt ihr in rotem und schwarzem Vinyl. Sämtliche Texte wurden in einem Einleger mitgeliefert. Bestellen könnt ihr beide Versionen direkt beim verrückten Metzger.