Werte Leserschaft, heute habe ich für euch etwas besonderes im Angebot. Einen Hybrid aus Plattenreview und Konzertbericht. Unser aller Hamburger Lieblingslabel La Pochette Surprise beschert uns just in diesen Tagen eine große Freude und releast den nächsten Geniestreich der Konstanzer Garagenrockkapelle Bikini Beach mit dem vielversprechenden Titel “Appetizer”. Und eben dieses wurde gestern zünftig anhand einer Releaseparty im wohl besten Club zwischen Nord- und Südpol, dem Horst Klub in Kreuzlingen, gefeiert. Tja, und wie’s der Zufall – oder aber der Keg (Booker vom Horst) – so wollte, durfte meine Wenigkeit mit dabei sein bei der Taufe dieses Kleinods auf Vinyl.
Mit meiner Band, den Neat Mentals, durften wir diesen schönen und außerordentlich gut besuchten Abend eröffnen und es ist immer wieder toll, erleben zu dürfen, wie das Kreuzlinger Publikum schon von Anfang an dabei ist und hungrig jeden live gespielten Akkord aufsaugt. Bester Club, bestes Publikum, sagte ich schon. Ansonsten fällt es mir natürlich schwer, unseren eigenen Gig aus neutraler Beobachterposition zu beurteilen. Aus meiner Warte war es dank des famosen Bühnensounds ein Gig, der richtig Spaß gemacht hat zu spielen und ich denke, das Publikum konnte das auch spüren und dementsprechend honorieren. Nach uns dann das Kopenhagener Garagenduo A Mess. Mit minimalistisch-melodiösen Mitteln kreiert aus LoFi-Gitarre, Drums und Gesang, einer klar pro-feministischen Attitüde und einer superguten Interaktion mit dem ja sowieso superguten Publikum sorgten sie für eine knappe Stunde bester Unterhaltung. Unbedingt mal auschecken!
Dann war es soweit und Bikini Beach enterten die Bühne. Instant stand der Horst Kopf und die Glückshormone drohten überzulaufen. Verglichen zur Musik auf “Appetizer” lieferte die Band live ein deutlich grungiger angehauchtes Set. Sonic Youth, Nirvana, Mudhoney… Bikini Beach ließen mich all diese Bands, die ich leider nie gesehen habe, intensiv und hautnah spüren. Der druckvolle Sound in einer Lautstärke, die gerade noch im Bereich des Erträglichen war, tat sein Übriges. Bestes Konzert seit langem und auch die Nacht war laaang, weil es soviel zu besprechen gab, mit lieben Menschen, die man so lange nicht gesehen hatte. An dieser Stelle nochmal ein schriftliches Dankeschön an Keg für die Einladung, an A Mess für die netten und informativen Gespräche u.a. über die derzeitige Politik Dänemarks, an Bikini Beach dafür, dass sie mit ihrer Releaseparty überhaupt erst den Anlass geschaffen hatten und last but not least an alle Leute, die den Abend mit ihrem Besuch bereichert haben.
Nun aber zur Platte “Appetizer” – und somit zum Teil dieses Beitrags, der euch unwesentlich mehr interessieren dürfte. Wie schon erwähnt, live orientierten sich Bikini Beach weitaus mehr am Sound aus Seattle von Anfang der 90er. Wobei die bloßen Riffparts auf “Appetizer” die Liebe des Trios zu diesem Sound schon klar durchblitzen lassen. Von einer reinen Grungeband sind Bikini Beach dennoch meilenweit entfernt. Zu vielseitig sind die verbastelten Spielarten. Ein paar Beispiele gefällig? Ja? Na gut. Da wäre etwa “Black Witches”, ein Song, der nicht nur vom Titel her, sondern auch dank seines schwer atmenden und groovenden Riffs gut ins Sortiment von Black Sabbath (soundtechnisch in etwa auf deren Platte “13”) passen würde. Oder das easy surfende “She’s So”, das mich an die Euroboys oder auch die Boss Martians denken lässt. “Rabbit Hole” hat dann was von Rival Schools und der letzte Song “Zwölfachtel” gar von den experimentellen Monster Magnet. The Fuzztones, The Cramps, Slut, Clowns, Electric Six, L7, The Charlatans, Dead Moon, The Subways (deren Mastermind Billy Lunn das Album gemixt hat)… sie alle sind mit von der Partie und über allem liegt eine dicke Schicht Staub aus der Garage und beim Mischen war die Hand von Billy Lunn sicherlich immer schön brav am Hallregler für die Vocals.
Ihr seht also, Bikini Beach verbasteln da zwar so einiges, machen aber auch definitiv ihr eigenes Ding draus. Und das Ding flutscht in einem Hui durch! Ein Traum! Woran man dann definitiv erkennen mag, dass die Band aus Kindern der 90er besteht: die haben doch tatsächlich einen Hidden Track versteckt – auf Platte! “Don’t leave me, baby” wird da wehgeklagt. Auf gar keinen Fall, liebe Bikini Beach. Vielmehr hoffe ich doch hart, dass wir uns sehr bald wiedersehen werden. Bis dahin begnüge ich mich mit “Appetizer”.
Bleibt mir noch einen Appell an mich selbst zu richten, nämlich die Platte schon mal als Platte des Jahres für unsere hauseigene Rubrik am Jahresende vorzumerken und sie euch final seeehr ans Herz zu legen. Entweder auf schwarzem Vinyl, oder limitiert auch auf schickem orangenem. Zu haben bei JPC.