Calgary?
Ja, Calgary, Alberta, Kanada!
Die zweite „große“ Veröffentlichung von Territories nach dem Debut-Album 2018, das ebenfalls auf Pirate-Press erschienen ist, und der „kleinen“ EP namens „When the Day is Done“ (hier geht es zum Review) liegt vor mir. Das gute Stück heißt „Colder now“ – im ersten Moment erscheint mir der Titel doch sehr surreal, nachdem Kanada zuletzt mit Waldbränden in den Schlagzeilen war, nicht mit einer Kältewelle. Nun gut, eine LP ist ja auch keine Nachrichtensendung. Und wenn ich so darüber nachdenke… Calgary war 1988 Gastgeber der olympischen Winterspiele und im Eiskanal finden immer noch regelmäßig Rennen im Bobfahren und Rodeln statt.
OK, ich schweife ab.
Bogen zurück: Winter – Schnee – Territories-LP. Das Cover ist in schwarz-weiß gehalten. Eine lange, einsame Straße ins Nichts geradeaus. Ringsherum liegt Schnee, Zaun und Büsche verschwinden im Schnee-Nebel-Gemisch. Was mich da wohl erwartet? Sieht ja jetzt nicht nach Punkrock-Party aus, was Territories da vor hat.
Ist die orangene Platte, die die Hülle ausspuckt, nun eine letzte Warnung? Ein ACHTUNG! Gleich wird’s „Colder now“?
Und wie das mit Warnungen so ist, jetzt bin ich erstmal richtig neugierig und lege das Scheibchen gespannt auf meinen Plattenteller. Der dreht, ich warte und warte… Und looooos geht’s!
Die Gitarre beginnt, „Quiet now, I think I hear a ghost“ (das mit den Widersprüchen hört also noch nicht auf), dann auch Schlagzeug, alles nach bester Punk-Manier, melodisch mit ordentlich Tempo. Ein bisschen Singalong ist auch dabei. Jetzt muss ich in der Lautstärke nachregulieren von „nachbarschaftsverträglich“ auf „nachbarschaftsnerven-strapazierend-weil-zu-laut“ und ein zufriedenes Grinsen erscheint auf meinem Gesicht.
Dadurch, dass die Songtexte beiliegen und praktischerweise die Strophen sich meist wiederholen, fühle ich mich schnell textsicher (obwohl das natürlich nicht stimmt). Ich glaube, das ist der Mix, der mich mitnimmt. Die Melodien gehen ins Bein, der Singalong-Faktor kommt nicht zu kurz. Die Stimme des Sängers ist meist eher hell, wie oft bei Skate-Punk-Bands üblich. Allerdings empfinde ich es hier als stimmig, während mich sonst so typischer Skate-Punk gar nicht abholt und mich wegen der fiepsigen Stimmen schnell nervt.
Kyle, der Sänger der Territories, kann aber auch etwas tiefer wie in „7lbs of hope“. Hier fallen mir auch – wenn mich nicht alles täuscht – ein paar Moll-Akkorde auf. Die Abkürzung „lbs“ sagt mir im ersten Moment nix, weil nicht nicht-angelsächsisch-stämmig. Heißt aber nur „Pfund“, keine geheimen Botschaften, die es zu entschlüsseln gilt. Oder doch? Ui, da wird eine traurige Geschichte angedeutet, aber nicht ausgetreten. Trotzdem ist das keine Ballade, wie man vermuten könnte. Im Gegenteil, das Tempo wird nicht rausgenommen, nur das „hoooope“ gedehnt. Dazwischen die Zeile „you’ll never walk alone“ – oft zitiert, aber hier bitterschön in Szene gesetzt.
Schon beim ersten Lesen sind mir die vielen „I“, „you“ und „they“ in den Texten aufgefallen. Dazu passt dann, was im Promo-Sheet so zusammenfasst wird: „tackling big issues, but always articulted from a relatable, personal perspective“ (oder eben sinngemäß: Die großen Probleme der Welt werden im Kleinen erzählt). Im ersten Moment fand ich das recht schmalzig. Aber es trifft den Kern ganz gut, denn es wird nicht auf das große Ganze geschimpft.
An einigen Stellen erinnert mich die Platte an Social Distortion, wenn sie gerade keine Balladen singen, aber auch musikalische Nähe zu Epitaph-Bands wie Descendents und Bouncing Souls ist rauszuhören. Nur die Stimme – wie bereits erwähnt – ist mir wesentlich angenehmer. An dieser Stelle sei auch Knucklehead erwähnt, dem Vorgänger der Territories.
Die insgesamt 11 Songs laufen in einer guten halben Stunde ohne große musikalische Überraschungen durch. Abgesehen vom Opener, der die zwei Minuten gerade so nicht knackt, haben die meisten Lieder zwischen zwei und drei Minuten. Ausnahme (neben „No Ball & Chain“) ist die letzte Botschaft „Recognize the Game“. Hier hat sich auch der Albumtitel versteckt. Ups, sorry für den Spoiler.
Hihi, ganz am Ende auf dem Textblatt entdecke noch ich folgende Zeilen:
„Thank you if you are still reading“ (-> das dürfen Territories erwarten, wenn ich rezensiere)
„Thank you for listening to this record“ (-> ich habe zu danken und ziehe meinen imaginären Hut)
„- play it loud!“ (-> als ob ich es geahnt hätte!).
Kanada kann also nicht nur Waldbrand und Winterspiele, sondern auch Punkrock. Davon möchte ich künftig mehr hören und liebend gerne auch sehen!
Kaufen? Möglich seit dem 3. November da (direkt über Pirate Press) und da (über JPC)! Übrigens, wenn dem Plattenregal das knallige Orange nicht steht, kann auch passend zum neuen Herbst-Pulli die Scheibe in Neon-Violett erwerben. Allerdings gibt es davon nur 300 Stück, von den anderen 700 Stück.