Man bekommt als Redakteur beim Vinyl-Keks immer wieder Gelegenheit, Musik kennenzulernen, mit der man sonst wahrscheinlich nie in Berührung gekommen wäre. Während ich früher Visions & Co. verschlungen habe, um bloß keine Neuerscheinung zu verpassen, fehlt mir dafür jetzt einfach die Zeit. Und ehrlich gesagt auch die Motivation. Im Falle der Band Amber aus Bielefeld wäre ein Übersehen jedoch ein kleiner Skandal gewesen, denn die mir jetzt vorliegende LP “Room for Understanding” ist ein echtes Prachtstück.
Ein Raum für Konfliktlösungen ist eine wunderbare Vorstellung. Verständnis, Zuhören, andere Meinungen akzeptieren: Inhaltlich „geht es um das Verlorensein in einer Welt, welche die Weichen gegen dich gestellt hat, und um die Suche nach Auflösung”, sagen Amber selbst über ihr Debütalbum.
Gegossen werden diese Themen in die musikalische Schnittstelle von Indie, Shoegaze und Wave. Und manchmal, wenn das Tempo anzieht, fühlt man auch die Hardcore/Punkeinflüsse der Bandmitglieder, die sich bereits aus Schulzeiten kennen, und seit nun gut drei Jahren als Band zusammen musizieren. Aber geschrien wird auf “Room for Understanding” nicht, ganz im Gegenteil.
Mit klarer und dynamischer Stimme trägt Sänger Levin Mertelsmann sein Inneres nach außen und lädt die Hörer*innen damit in den melancholischen Momenten zum Wegschweifen und Träumen ein. Dabei hilft auch der Rest der Band, die natürlich auch namentlich erwähnt werden sollen: Yanic Rusch (Guitar), Tillman Coronett (Drums) und Tim Saure (Bass) sorgen für ein unglaublich packendes musikalischen Grundgerüst, auf das die Stimme „nur noch“ aufsetzen muss. Und neben der Melancholie funktionieren viele Songs auch im tanzbaren Konzert- oder Dancefloor Kontext.
Songs wie der Opener „Spine“ und „Gravity“ beispielsweise gehen gut nach vorne, ein wirklich besonders gelungenes Stück ist „Chadwick“, das mich an die großartigen Songs von At the Drive-in und Sparta erinnert. Mir fallen noch weitere Bands ein, mit denen ich die Musik von Amber spontan assoziiere, aber keine davon passt so richtig: Editors, Placebo, ein wenig The Killers und ganz hinten auch The Cure. Oder Flood of Red und Dredg. Und so weiter…
Ist doch aber ein gutes Zeichen, das man Amber eben nicht auf einen ganz eindeutigen Einfluss reduzieren kann, denn das energiegeladene Spektrum reicht eben auch von Punk über Wave zur Indie und zurück zum Emo.
Leider ist nach einer guten halben Stunde mit dem punk-rockigen „Le Mal Nécessaire“ auch schon wieder Schluß, aber da es auf „Room for Understanding“ keinen einzigen Filler gibt, ist das eigentlich auch genau richtig so. Das Album ist bereits im Juni bei Room 11 Records erschienen und ist jedem Genre-Fan ans Herz gelegt.
Zu erwerben in diversen tollen Ausführungen hier auf Bandcamp.
Manchmal ärgere ich mich richtig darüber, dass die Zeit für deutschen Indie oder Punk/Postrock gerade so schwierig ist. Amber müssen unbedingt mal mindestens aus ihrem Bundesland hinaus und das ganze Land bereisen. Für Hamburg bestelle ich schon einmal 10 Tickets vor…
lieber Maik, das hast du mal wieder wunderbar geschrieben und auf den Punkt gebracht. Vielen Dank dafür. Und das die Musik dich an so wunderbare Bands denken lässt, lässt mich sofort und in freudiger Erwartung die Lieder raussuchen um reinzuhören.
tolles Album…