Am 19. Juni 2020 erschien das langersehnte Album der All-Girl (ist das eigentlich noch wichtig zu sagen?) Punkband Bad Cop/Bad Cop. Wie schon ihre Werke zuvor stand Fat Mike himself als Produzent mit in den diversen LA-Studios in denen BC/BC diese Scheibe aufgenommen haben.
“The Ride” erscheint mir als ein sehr emanzipiertes, erwachsenes Album. Waren Bad Cop Bad Cop bis dato noch eher Vertreterinnen von Feelgood-Funpunk wie ihre KollegInnen der Bombpops, sind auf The Ride ernstere Töne zu hören.
Das Album startet mit dem sehr starken Originators, der vorerst gar nicht so stark rüberkommt. Eher untypisch für einen Album Opener geht es erst nach zwei ruhigeren Strophen richtig los und die Stimmen der vier Amerikanerinnen entfalten sich im Chorus. “We’re greater than we’re taught or told” ist das Credo mit Mut für sich und ein soziales Umdenken einzustehen. Coole Bassline auch noch dabei, Nick mag.
Mein Favorit ist Certain Kind Of Monster, der mit einem schönen Frauenchor losgeht und dann direkt in einen Part mit Hook-Riff übergeht, wie man sich das von energetischem Punk eben so wünscht.
Take My Call ist textlich wenn ich richtig interpretiere eine Entschuldigung für Fehler in der Vergangenheit und gleichzeitig ein Abrechnen mit sich selbst. Das passt, hat doch Leadsängerin Stacey kürzlich erst mit ihrer Drogensucht abgerechnet. Vor allem aber ist der Song mit vielen Ups and Downs in den Parts sehr schön geschrieben!
Dann folgt auch schon die Single-Auskopplung Simple Girl, das neue Lieblingslied meiner Frau. Verständlich, macht die Hook des Songs super viel Spaß und mit dem Text kann ich mich auch identifizieren: Man hat seine Vergangenheit, die einen zu einem komplexen Menschen – das muss in einer Beziehung oder einer Freundschaft eben drin sein, nicht “simple” zu sein! Vor allem scheint mir aber der Text auch sehr persönlich für Stacey zu sein; darüber hinaus hat eine Frau noch wesentlich mehr damit zu kämpfen, dass Männer vermeintlich “einfache” Frauen ohne Ecken und Kanten treffen möchten, Diese Luschen, Stacey Lee for president.
Das Album fällt für mich was die Energie und mein eigenes “Excitement” angeht jetzt ein wenig ab, Breastless ist ein cooler Song, dessen Wortspiele und Akkordfolgen förmlich nach Fat Mike Songwriting riechen. Der könnte glatt aus Home Street Home sein. Cooler Song mit schönen Backgroundvocals, aber kein Killer wie die Songs zuvor.
Sich selbst lieben zu lernen, nicht den Rest der Welt verantwortlich zu machen, darum geht es in Perpetual Motion Machine, ein sperriger Songname mit cooler Message. Der Text gefällt mir wahnsinnig gut und die Hook, die aus dem Fast-Zungenbrecher des Songtitels besteht, hat seltsamerweise Mitsingpotenzial (ich werde es noch betrunken testen!). Leider ist mir der Songaufbau etwas zu fad und das Tempo mir persönlich zu langsam. Da freue ich mich lieber auf…
Community! Wieder ein cooler Punkrock-Song, wie er auch vor 10, 20 oder 30 Jahren schon hätte geschrieben worden sein, ist oberflächlich gehört eine coole Punk-Hymne über die “chosen family”. Mit dem Hintergrund vor dem Stacey und ihre Kumpaninnen ihre Songs geschrieben haben, hat das Ganze natürlich noch eine ganz persönliche Note: sozusagen eine Danksagung an alle Supporter durch die dunklen Zeiten.
Politisch geht es dann mit Pursuit Of Liberty weiter, der ganz unverhofft von Bassistin Linh gesungen wird. Zurecht, denn es geht um ihre Familie, die aus Saigon in die USA fliehen musste. Für mich ganz wichtig, denn ohne irgendjemandem etwas unterstellen zu wollen, so hat doch auch der US-Punk, den wir alle so lieben, regelmäßig Probleme mit Bands oder Bandmembern, die trotz ihres Genres konservative und flüchtlingsfeindliche Ansichten vertreten.
The Mirage will mir irgendwie nicht so sehr ins Ohr. Vielleicht sind mir die Akkordfolgen zu generisch, vielleicht Drumbeat-Wechsel und Partübergänge zu viel. In diesem Song passiert musikalisch sehr viel, als würden Bad Cop Bad Cop ein bißchen einen Versuch Richtung technical Skate-Punk zu machen. Das ist schade, dass mich der Song nicht abholt, denn The Mirage ist irgendwie der Titeltrack des Albums: “There is no destination – there is only the ride!” – auch so ein geiles Credo, das man sich auch mal unter die Haut stechen lassen könnte…
Der gerade mal 1:05 lange Song (das habe ich frecherweise nachgeschaut und nicht beim Schallplatte hören auf die Stoppuhr geschaut) I Choose gehört auch zu meinen Favorites. “I’m the contructer of my imagining […] I’m the master manifester of all my dreams” sind so Zeilen, die schon sagen wo es lang geht in dem Song. Kurz und auf den Punkt ist dieser Song. Fun Fact: Die soeben verwendeten Textauszüge reimen sich, obwohl sie in verschiedenen Strophen stehen! Verrückt!
Mein zweitliebster Song des Albums ist der Vorletzte: Chisme (zu übersetzen mit Klatsch oder Tratsch) geht genau um dieses Thema. Ich denke, in diesen kurzen Song, der aber mitunter am meisten Text auf dem Album hat, kann man viel hineininterpretieren. Es geht um Menschen, die sich über dich und deine Fehler das Maul zerreißen, aber auch um ein Musikbusiness und eine vermeidliche Szene.
Das Album schließt mit der mutmachenden Hymne Sing With Me, die meinetwegen auch wie im Intro akustisch hätte bleiben können. Das instrumentale Arrangement ist eine Abwechslung zum Sound, den man von den Punkrockerinnen gewohnt ist: Irgendwo zwischen Against Me und Frank Turner. Doch die Damen hauen hier vor allem ihre ganze Stimmgewalt raus und zeigen hier deutlicher als zuvor, wie mehrstimmig geht. Das ganze wird noch verstärkt von einem Gang-Chor aus der Fat Wreck Family. Sing With Me macht Mut, sich frei auszudrücken, sein wahres Ich nicht zu verstecken und den Mund aufzumachen. Er richtet sich an Frauen, aber vielleicht auch Männer, an Homo- und Transsexuelle, überhaupt an alle, so denke ich zumindest. Just well done.
Alles in allem sollte man Reviews nicht mit der Floskel “alles in allem” abschließen, doch auf dieser Platte stimmt nun mal zumindest fast alles in allem. The Ride ist nicht zu lang und nicht zu kurz und wird noch oft über meinen Plattenteller fliegen. Auf Songs wie Chisme, Sing With Me oder Certain Kind Of Monster freue ich mich jetzt schon live (Oktober 2021 wie ich hörte!) Der einzige kleine Kritikpunkt, den ich vielleicht hätte: Bei all den Singalongs und tiefen Texten fehlt mir hier und dort ein bißchen der Bumms, sozusagen das, was einen wirklich ausrasten lassen möchte. Das haben Jennie, Stacey, Linh und Myra für mich schon mal etwas besser hinbekommen – aber The Ride muss man als Album auch erstmal toppen können!
Hier könnt ihr euch das Album direkt besorgen: jpc I flight13